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Lehmbau macht Schule
Der Standard

Schulbeginn einmal anders: In Südafrika errichten österreichische Architekturstudenten zwei Schulbauten in Eigenregie. Zu Besuch in Johannesburg und an der Wild Coast im Süden.

31. August 2013 - Wojciech Czaja
Zwölf Uhr mittags. Ein junger Bub in Schuluniform rennt aus der Klasse und läuft über das Schulgelände. In seiner rechten Hand baumelt eine Schulglocke. Mit jedem Schlag ertönt ein schriller, blecherner Ton. Während sich der Schulhof allmählich mit Kindern füllt, die sich mit einem Teller Chicken and Rice in den Schatten setzen, wird auf der Baustelle eifrig weitergearbeitet. Eine Gruppe junger Architekturstudenten steht am Gerüst und stopft, Schaufel für Schaufel, feuchten Lehm zwischen zwei Betonstützen. Als Schalung dient Hasenstallgitter aus dem Baumarkt. Immer wieder wird die Wand bewässert, immer wieder wird nasse Erde nachgefüllt. Die Arbeit zieht sich über Stunden.

„Den Wandaufbau haben wir selbst entwickelt“, sagt Elias Rubin, Student an der Kunstuniversität Linz. „Holz oder Stahl sind in dieser Gegend erstens sehr teuer, und zweitens sind sie dem aggressiven Klimawechsel zwischen Sommer und Winter nicht gewachsen. Daher greifen wir auf die Lehmbauweise zurück, die hier seit langer Zeit Tradition hat.“ Mit einem Kniff allerdings: Statt Lehm wird ganz normale Erde mit Kies und Stein verwendet. „Das spart Zeit und Kraft“, so Rubin, „außerdem braucht man für diese Bauweise keine erfahrenen Handwerker. Das kann jeder.“

Schon seit einigen Jahren fahren regelmäßig Studenten aus Österreich, Deutschland, Slowenien und der Schweiz nach Zonkizizwe, rund 50 Kilometer südlich von Johannesburg, um dort in Zusammenarbeit mit den Einheimischen ihre besten Uniprojekte in die Realität umzusetzen. Zuletzt waren Studenten der TU Graz, der FH Spittal an der Drau und der RWTH Aachen vor Ort. Innerhalb einiger Wochen sind zwei neue Grundschulklassen mit sämtlichen Nebenräumen und einem schönen, überdachten Patio entstanden.

Die unsichtbare politische Kraft hinter dem universitären Austauschprogramm ist der österreichische Verein s2arch. Projektinitiator und Vereinschef ist der Wiener Gemeinderat und Landtagsabgeordnete Christoph Chorherr, der schon seit mehr als zehn Jahren Architekturprojekte in Südafrika abwickelt. Hauptsponsor ist die Wiener Vermögensverwaltungs- und Beratungsgesellschaft Ithuba Capital.

„Das Problem an herkömmlichen Entwicklungshilfeprojekten ist, dass es sich meist um One-Time-Shows handelt, die in keinerlei Wechselwirkung mit dem jeweiligen Ort stehen“, sagt Chorherr zum STANDARD. „Das ist nicht nur Geldverschwendung, sondern auch ein gefährlicher, schadhafter Eingriff in die sensiblen kulturellen und wirtschaftlichen Strukturen einer Gesellschaft. Dann lieber gleich lassen.“

Mehr als nur Baustelle

s2arch geht einen Schritt weiter. Hier geht es nicht nur um den Bau, sondern auch um die Etablierung einer eigenen Privatschule, um die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern und nicht zuletzt um die langjährige operative Begleitung eines noch jungen Schulapparats. Nebenbei wird auf diese Weise die Arbeitslosigkeit eingedämmt. Frauen und Männer aus den benachbarten Townships können für ein paar hundert Rand am Bau mitarbeiten.

Mittlerweile hat das Ithuba Skills College, so der offizielle Name der 2008 gegründeten Privatschule, rund 260 Schüler, die von insgesamt 15 Lehrern betreut werden. „Der Standard an öffentlichen Schulen in dieser Gegend ist extrem niedrig“, erklärt Schuldirektor Myheart Muusha. „In den meisten Fällen sind die Kinder nach Abschluss der Grundschule nicht einmal in der Lage, ihren eigenen Namen zu schreiben. Die Lehrer sind schlecht ausgebildet. Diejenigen, die es sich leisten können, flüchten an die guten Schulen in die Stadt.“

So wie etwa an die Leadership Academy for Girls in Meyerton, rund 25 Kilometer südwestlich von Zonkizizwe. Das Projekt geht auf eine Initiative von Oprah Winfrey zurück. Die US-amerikanische Talkshow-Königin erfüllte sich mit ihrer Wunderland-Mädchenschule nach eigenen Angaben ihren lang gehegten „Oprahs Traum, den Mädchen endlich zeigen zu können, was sich auf der anderen Seite der Tür befindet“ - mit klimatisierten Schulklassen, vegetarischem Bio-Catering und eigenem Wellness-Studio. Mit dem Südafrika diesseits der Tür hat das alles nicht viel zu tun.

„Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir wollen“, sagt Nora Müller, Projektleiterin und Assistentin an der RWTH Aachen. „Wir wollen keine Parallelwelt schaffen, sondern mit den vorhandenen Ressourcen und den Arbeitskräften vor Ort eine Architektur und Bauweise entwickeln, die alltagstauglich ist und die auch dann noch überlebt und weiterentwickelt werden kann, wenn wir schon wieder längst nach Hause zurückgekehrt sind.“

Manche Schulklassen sind aus Blech zusammengeschraubt, andere aus Holzpaletten und Polycarbonat, manche wurden aus Betonziegelsteinen gemauert und mit schlachthausartigen Metallschiebetüren versehen, andere wiederum riechen nach Stroh und Erde. Kanalrohre werden als Low-Tech-Klimaanlage zweckentfremdet, Bierkisten wachsen durch Stapelung und Verschraubung zu Küchenmöbeln heran, und statt kostspieliger Fenster werden verschiedenfarbige Flaschenböden eingemauert. Nicht immer bestehen die witzigen Studentenideen den Alltagstest.

Wertschöpfung in der Region

Das Budget pro Klasse beläuft sich auf 40.000 bis 45.000 Euro. Oberstes Prinzip bei jedem Projekt: Die Wertschöpfungskette muss in der Region bleiben. „So ein Kooperationsprojekt zwischen zwei Kontinenten macht nur dann Sinn, wenn es einen Langzeiteffekt gibt“, sagt Elias Rubin. „Einfache Baustoffe wie Stroh oder Lehm sind überall vorhanden. Auf diese Weise kann man auf billigste Weise Architektur schaffen, ohne dass große Ziegel- oder Zementkonzerne an der Errichtung mitnaschen.“

Die Ithuba School in Zonkizizwe war der Startschuss. Vor zwei Jahren expandierte die Ithuba Capital AG in den Süden und ist seitdem mit der Errichtung einer weiteren Schule beschäftigt. Das Bildungsniveau im Eastern Cape, dem oft verschrienen „Armenhaus Südafrikas“, ist noch viel besorgniserregender. Schuldichte und Bildungsniveau sind gering, die Analphabetismusrate liegt bei 70 Prozent. Besonders rückständig ist die schlecht erschlossene Küste, die sogenannte Wild Coast.

Inmitten dieser wildromantischen Landschaft steht der kleine Mzamba-Schulcampus. Ein wenig erinnern die schlichten, archaischen Lehmbauten an die Architektur des chinesischen Pritzker-Preisträgers Wang Shu. „Die Lebensbedingungen hier sind extrem rau“, sagt Markus Dobmeier, freischaffender Architekt und Assistent an der TU München. Er ist Leiter und Koordinator des Projekts und für den Masterplan verantwortlich. „Ästhetik ist zwar ein wichtiger Faktor, aber das Allerwichtigste ist, dass die Gebäude der starken Luftfeuchtigkeit und der durch die Gischt verursachten Erosion standhalten. Das geht mit Lehm am besten.“

In den rundum gemauerten Innenhöfen wird gespielt und getanzt. An schönen Tagen findet der Unterricht im Freien statt. „Diese Schule ist ein Geschenk“, meint Schuldirektorin Jacqueline du Toit. „Hier lernen die Kinder nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen, sie lernen auch, dass man auch mit ganz wenig Geld so etwas wie Schönheit und Geborgenheit erleben kann.“

Lehm, Schaufel für Schaufel

Derzeit besteht die Mzamba School aus zwei Grundschulklassen, einer Kindergartengruppe und einem Wirtschaftsgebäude. Im Endausbau sollen es sieben Klassen, ein Kindergarten, ein Verwaltungsbau und eine Bibliothek sein. Geht alles nach Plan, soll das Ensemble in vier bis fünf Jahren vollendet sein. Die Chancen stehen gut. Die Studenten aus Österreich und Deutschland haben immer noch Biss, stehen am Gerüst, hören Lady Gaga und stopfen, Schaufel für Schaufel, Lehm zwischen die Schalung.

„Richtige Entwicklungshilfe beginnt erst dann zu greifen, wenn der mediale Hype nachgelassen und die Arbeit zäh und mühsam, ja manchmal sogar langweilig geworden ist“, meint s2arch-Chef Christoph Chorherr. „Drei Viertel aller Entwicklungsprojekte gehen schief. Nachdem wir nach fünf Jahren immer noch zu tun haben, glaube ich, dass wir es richtig gemacht haben.“
Spenden: Erste Bank, BLZ 20111
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