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Und ewig schallt das Opernklo
Spectrum

Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut: Der Sanierung und Neugestaltung der Opern- und Karlsplatzpassage fehlen Witz, Geschmack und der Mut zum radikalen Eingriff in die historische Substanz. Bericht aus einer Unterwelt ohne Schatten.

25. Oktober 2013 - Christian Kühn
So viel war klar: Hier muss etwas geschehen. Die unterirdische Verbindung zwischen Karlsplatz und Oper, einer der meist frequentierten Orte Wiens, war zusehends heruntergekommen, die Oberflächen abgenutzt und schäbig, Wasserschäden an der Decke, schlechte Beleuchtung. Irgendwann war der Drogenhandel dazugekommen, der für die Passanten zwar eine mehr gefühlte als reale Bedrohung darstellte, aber das Sicherheitsempfinden erheblich belastete.

Genau genommen handelt es sich um zwei Passagen, die Opernpassage, die seit 1955 existiert, und die Karlsplatzpassage, im Zuge des U-Bahnbaus Anfang der 1970er-Jahre errichtet. Letztere war ein typisches Produkt ihrer Zeit, ein Fußgängerkorridor für eilige Passanten, an dem sich kleine Geschäfte für den Alltagsbedarf angelagert hatten: Blumenläden, günstige Kleidung und Schuhe sowie Fast Food, von den großen Ketten bis zum Sushi-Laden und Süßwarenkiosk. Zwingend notwendig ist dieser Korridor, der Fußgänger aus dem Stadtraum abzieht und an der Oberfläche eine tote Zone schafft, nicht. Aber der Komfortverlust für Fahrgäste, die von den Straßenbahnlinien am Ring in die U-Bahnlinien U2 und U4 umsteigen wollen, wäre ohne ihn doch beachtlich.

Als Passage im engeren Sinn kann man von den beiden nur die Opernpassage bezeichnen. Zu diesem Begriff gehört nämlich untrennbar der Flaneur, für den der gut geschützte Weg vorbei an den Schaufenstern wichtiger ist als das Ziel. Diesem Anspruch wurde die Opernpassage in ihrer ursprünglichen Form durchaus gerecht. Im Jahr des Staatsvertrags und gleichzeitig mit der instand gesetzten Oper eröffnet, sollte sie den Wienern „den unbeugsamen Willen, Weltstadt zu werden“ vor Augen führen, wie es der zuständige Stadtrat zur Eröffnung ausdrückte. Sie war weit mehr als nur ein Verkehrsbauwerk, nämlich ein wichtiges Stück Nachkriegsarchitektur, oder genauer: ein Stück Architektur in der Nachgeschichte des Faschismus. Da gibt es den Neonröhren-Schick der 1950-Jahre, Materialien wie eloxiertes Aluminium, aber auch eine fast klassizistische Doppelreihe aus Säulen und kleine elegante Details, die auf die Wiener Architektur der Zwischenkriegszeit verweisen. Besucher aus den Bundesländern reisten extra nach Wien an, um dieses Ambiente zu erleben, mit der ersten Rolltreppe Österreichs auf und ab zu schweben.

Der Architekt der Passage, Adolf Hoch, 1910 geboren, hatte bei Peter Behrens an der Akademie studiert und von 1929 bis 1938 im Atelier von Behrens und Popp gearbeitet, wo er vor allem an der Planung der Linzer Tabakfabrik beteiligt war. 1938 machte er sich selbstständig. Als Mitglied der NSDAP seit 1933 hatte Hoch nach Kriegsende Berufsverbot, erhielt aber 1947 seine Befugnis zurück und entwickelte sich zu einem der produktivsten Architekten der Nachkriegszeit. Zu seinen Bauten zählen das Unfallkrankenhaus Meidling, das Lorenz-Böhler-Krankenhaus, das Stadion von St. Pölten sowie als exotischer Beitrag das Hotel Palace Ducor in Monrovia, Liberia, ein elegantes Beispiel internationaler Hotelarchitektur. Das Stadtbild am deutlichsten geprägt hat Hoch mit den Verkehrsbauten am Ring, der Opern- und Bellariapassage, von denen an der Oberfläche vor allem die zarten, verglasten Einhausungen der Abgänge in Erscheinung treten.

Für solche Subtilitäten hatten die U-Bahnbauer der 1970er-Jahre wenig Verständnis: Sie ließen ihren Korridor in die Opernpassage einbrechen, als sei diese nicht mehr als ein praktischer Hohlraum zur Aufnahme von Fußgängerströmen. Ein Viertel der Passage wurde auf diese Weise demoliert, der Rest im Lauf der Jahre bis zur Unkenntlichkeit verändert, inklusive des ursprünglich voll verglasten zentralen Cafés, dessen nobles Interieur einer Ankerbrot-Filiale weichen musste. Das Denkmalamt meinte dennoch, dass die restliche Substanz eine Unterschutzstellung gebot. Vor diesem Hintergrund war die Sanierung der beiden Passagen für die Architekten Gerda und Andreas Gerner (gerner°gerner plus; realisiert wurde das Projekt von der Arge gerner°gerner plus, Ritter+Ritter und Vasko+Partner) von Anfang an eine Aktion im Kreuzfeuer unterschiedlicher Interessen: drei Stadtressorts (Verkehr, Kultur und Finanzen); die Wiener Linien; eine Bewilligung nicht nur nach Baurecht, sondern auch nach Eisenbahnrecht; die Interessen der Mieter, für die Ersatzflächen geschaffen werden mussten, so sie keine Ablöse akzeptierten.

Spannungen waren vorprogrammiert: Als bei der Sanierung der Opernpassage entdeckt wurde, dass die Verkleidung der Säulen ursprünglich aus Linoleum mit Marmor-Maserung bestanden hatte, verweigerte der Brandschutz seine Zustimmung zu einer Rekonstruktion. Die unsäglichen Musikersterne auf dem Boden und das kitschige Opernklo, aus dem 24 Stunden am Tag der Donauwalzer in die Passage schallt, erwiesen sich als vertraglich so gut abgesichert, dass an eine Entfernung dieser Peinlichkeiten nicht zu denken war.

Gerner und Gerners Konzept für die Karlsplatzpassage besteht im Wesentlichen darin, das Licht in dieser Unterwelt aufzudrehen. Auch wenn die eingesetzten LEDs in den nächsten Jahren noch etwas nachdunkeln werden, wird der Korridor ein schattenloser Durchgangsraum bleiben, in dem sich die von den Architekten erdachten bunten Lichtstreifen an Boden und Decke mit einem Kunstwerk von Ernst Caramelle in die Haare geraten, einem 70 Meter langen abstrakten Wandgemälde in dezenten Farbtönen, das vor allem nicht stört. Von den kleinen Läden sind eine Trafik und ein Schuhgeschäft geblieben, McDonald's, Starbucks und Ströck dominieren den Raum. Die Drogenszene hat sich an andere, touristisch weniger sensible Standorte verlagert.

Für die Opernpassage wurde mit dem Denkmalamt ein Gestaltungskatalog entwickelt, der irgendwann ein möglichst ursprüngliches Erscheinungsbild inklusive der Neonbeschriftung in den Geschäften herstellen soll. Dass der Denkmalschutz leider oft das Denken abstellt, beweist die Lösung, die für Säulen und Boden gefunden wurde: Erstere erhielten eine teure Glasummantelung mit aufgedrucktem Linoleumdekor, Letztere einen Natursteinbelag, der Linoleum ähnelt. Argument: Das hätte Adolf Hoch 1955 sicher auch gemacht, wenn das Budget gereicht hätte. Dass sich das Denkmalamt dabei explizit auf den französischen Denkmalpfleger des 19. Jahrhunderts, Eugène Viollet-Le-Duc, beruft, der berüchtigt dafür war, gotische Kirchen viel gotischer zu restaurieren, als sie es je waren, ist erstaunlich.

Um aus dem stilistischen Konglomerat der beiden Passagen etwas Substanzielles zu schaffen, hätte es Witz, Geschmack und den Mut zu radikalen Eingriffen in den historischen Bestand gebraucht. Davon ist hier leider nichts zu merken.

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