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Nur Durchblick, keine Aussicht
Nur Durchblick, keine Aussicht, Foto: Christian Kühn
Nur Durchblick, keine Aussicht, Foto: Michaela Seidler
Spectrum

Dieser Tage in der Wiener Innenstadt: Angehende Architekten üben die Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum und stellen die Frage, wem dieser gehört. Nicht länger den Architekten, wie es scheint - aber muß das ein Unglück sein?

6. Juli 1997 - Christian Kühn
Die Wiener Ringstraße zwischen Oper und Schottentor galt unter Architekten schon immer als Stadtraum zweifelhafter Qualität: eine Aneinanderreihung von Repräsentationsbauten, die Stadtkern und alte Vorstädte mehr trennt als verbindet. Die große Klammer des Kaiserforums, die Gottfried Semper aus den Hofmuseen und der Hofburg bilden wollte, blieb ein Torso: Der zweite Flügel der Neuen Hofburg wurde nie gebaut, das klassizistische Burgtor Nobiles, das dem Kaiserforum hätte weichen sollen, blieb dagegen als Trennung bestehen. Die mögliche Ahnung eines großen Platzraums wird schließlich durch die dichte Alleepflanzung an der Ringstraße endgültig zerstört.

All das hat nicht verhindert, daß dieser Ort zum geschichtsträchtigsten öffentlichen Raum Wiens geworden ist: ein vielachsiges, kaum geordnetes Aufmarschgelände mit dem Heldenplatz in der Mitte. Daß jede Veränderung an dieser Stelle auf ganz besondere Schwierigkeiten stößt, weiß man spätestens seit den Querelen um das Museumsquartier: Das letzte große Bauwerk, das hier raumprägend werden konnte, ist der Flakturm in der Stiftskaserne, dessen mächtige Masse die Hofstallungen überragt und die Achse des Platzraums beschließt.

Wer in den vergangenen Wochen den Ring entlangfuhr, konnte direkt neben dem Burgtor eine seltsame Konstruktion entstehen sehen: Baugerüste, mit Netzen verkleidet, daneben ein schwebender Körper, der an einen Zeppelin erinnerte, und eine begehbare Blase aus Kunststoff. In der Nacht wurden diese Körper als Projektionsflächen für Videos und Computeranimationen genutzt.

Diese temporäre Installation war die Abschlußarbeit zu einer Entwurfsübung, die Gerhard Steixner im Rahmen einer Gastprofessur am Institut für Raumgestaltung der Technischen Universität Wien betreute. Die Studenten sollten sich mit der Frage auseinandersetzen, was für sie einen öffentlichen Raum ausmache und wie der an diesem Ort entstehen könne.

Wäre diese Aufgabe vor 15 Jahren gestellt worden, so hätte die Mehrheit der Studenten versucht, die Form des Platzes zu thematisieren - den Torso des Forums zu schließen oder zumindest zu ergänzen - , in jedem Fall aber dem öffentlichen Leben irgendein Gefäß zu geben. Bemerkenswert an den Vorschlägen des Jahres 1997 sind weniger die Einzellösungen, ist vielmehr die Tendenz, dem Bauwerk das Potential zur Definition eines öffentlichen Raums abzusprechen. Öffentlichkeit sei Kommunikation, so wird argumentiert, und die erfolge heute über Medien, die den gebauten Raum immer weniger benötigen.

An den vorgestellten Konzepten lassen sich zwei grundverschiedene Antworten ablesen. Einerseits soll an die Stelle des Bauwerks das Kunstwerk im großen Maßstab treten: Da wird der ganze Platz mit einem System von Becken unter Wasser gesetzt, da wird die bestehende Struktur mit einem Raster kleiner Pavillons überlagert oder der ganze Platz von schwebenden Körpern überspannt. Es ist eine Art von naiver Flucht nach vorn: Wenn die Architektur nicht mehr ernst genommen wird, dann müsse sie eben den Status des autonomen Kunstwerks beanspruchen.

Die andere Antwort ist radikaler: Nur dort, wo Architektur leicht, unbestimmt und schnellebig wird, könne sie vielleicht noch eine öffentliche Rolle spielen. Neu ist eine solche Argumentation nicht: Die sechziger Jahre haben genug Konzepte für aufblasbare Strukturen und Medien-Environments hervorgebracht. Selbst Laurids Ortner, der heute mit dem Museumsquartier versucht, einen öffentlichen Raum im ganz konventionellen Sinn zu bauen, hat ja vor 30 Jahren als Haus-Rucker Klimakugeln, Mind-Expander und Blickzerstäuber entwickelt.

Die kurzlebige Installation am Burgtor hat sich als Zentrum für öffentliche Events jedenfalls bewährt: Bei den Parties rund um den psychedelisch beleuchteten Kubus drängten sich die Besucher. Als freilich eines Abends zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Wem gehört der öffentliche Raum?“ gebeten wurde, waren die geladenen Diskutanten beinahe unter sich - der Vergleich mit den sechziger Jahren scheint sich doch eher aufs Formale der pneumatischen Konstruktionen zu beschränken.

Auf dem Podium saßen mit den Museumsdirektoren Noever und Seipel auch zwei Schutzherren öffentlicher Räume, die sich zumindest darin einig waren, daß man Öffentlichkeit zwar nicht bauen kann, daß aber Gebautes durchaus dazugehöre.

Auf Seipels provokante Frage an jene Studenten, die den Heldenplatz und seine Umgebung künstlerisch umgestaltet hatten, ob sich denn wirklich jede Zeit an einem Ort baulich abbilden müsse, gab es nur diffuse Antworten: Da wurde von Herrschaftsarchitektur gesprochen, zu der es keine innere Verbindung mehr gebe und die deshalb keine Existenzberechtigung mehr habe.

So sehr es auch erschrecken mag, daß angehende Architekten in einem historischen Ort wie dem Heldenplatz nicht mehr sehen können als eine Anhäufung von Ziegeln: Seipels Provokation geht an der Realität vorbei. Denn die besteht nicht darin, daß ununterbrochen gestalterische Angriffe abgewehrt werden müßten, sondern vielmehr in der völligen Tabuisierung des historischen Zentrums, die jene selbstverständliche, kontinuierliche Veränderung verhindert, die einen Ort erst davor bewahrt, zur touristischen Kulisse zu verkommen.

Das Museumsquartier ist nur ein Beispiel für die nachhaltige Wirksamkeit dieser Tabus. Selbst wenn es nun tatsächlich realisiert wird, bleibt es hinter die Kulisse eines mittelmäßigen barocken Pferdestalls geduckt.

Daß es möglich ist, sogar den Heldenplatz als Bauplatz zu denken, hat eines der Studentenprojekte überzeugend bewiesen: Es setzt Erweiterungssäle für die Nationalbibliothek auf Stützen in den halbkreisförmigen Raum vor der Neuen Burg und schafft darunter eine direkte Verbindung in den Burggarten. Wenn es gelänge, die Denkhemmung aufzubrechen, die einen solchen Vorschlag nur als Anschlag auf ein gewohntes Bild verstehen kann und nicht als selbstverständliches Weiterdenken bestehender Strukturen, wäre schon viel gewonnen.

Besonderen Anlaß zu Optimismus gibt es da freilich nicht. Tatsächlich scheint die Disziplin der Architektur eine immer geringere Rolle für den öffentlichen Raum zu spielen. Dort, wo die Politik größere Summen investiert, um diesen Raum lebendig zu machen - wie etwa bei den diversen Spektakeln am Rathausplatz - , ist Architektur auch kaum gefragt. Die freie Fläche zwischen Burgtheater und Rathaus ist dabei symptomatisch für die geänderte Auffassung von Stadtraum. Für Camillo Sitte, für Wagner und Loos war diese Fläche ein Paradebeispiel einer verunglückten Lösung, und alle drei haben Vorschläge zu einer urbanen Neudefinition gemacht. Heute kann die Fläche gar nicht undefiniert genug sein, um vom Zirkus bis zum Filmfestival alles zuzulassen.

Ein Beitrag der Architektur müßte unter heutigen Bedingungen ganz andere Strategien anwenden, und nur wenige Architekten wie Eichinger oder Knechtl haben sich bisher dezidiert mit dieser Aufgabe beschäftigt. Ob die Politik von der Architektur hier irgendwann einen Beitrag erfragen wird oder ob man sich weiterhin mit einer Mischung aus Wurstelprater und Magistratsästhetik abfindet, bleibt abzuwarten.

Zu schnell sollte man die Erlösung der Architektur von der Verpflichtung, ewige Werte zu schaffen, aber nicht begrüßen. Die Frage, wem der öffentliche Raum gehört, ist damit nämlich längst nicht beantwortet. Daß er nicht den Architekten gehört, um ihren Gestaltungstrieb auszuleben, werden wir gern akzeptieren. Aber das war immer schon mehr bösartige Unterstellung als ernstzunehmender Vorwurf.

Nach wie vor sollten Architekten aber Verantwortung für den öffentlichen Raum übernehmen und dafür auch entsprechende Rechte einfordern dürfen. Die Liebe der Politik zu den kurzlebigen, flüchtigen Strukturen hat nur wenig mit Demokratie zu tun; sie ist vor allem darin begründet, daß die Entscheidung leichter wiegt.

Die neuen Events finden aber nicht im Niemandsland statt, sondern an Orten mit starken räumlichen Qualitäten: Die Free- und die Regenbogen-Party sind schließlich nicht über die Brünner Straße gezogen, sondern über den Ring, und ein Filmfestival am Leberberg würde nicht nur an der schlechten Erreichbarkeit scheitern, sondern auch daran, daß es dort keinen geeigneten Freiraum gibt.

So hat vielleicht eine andere Installation die Lage besser getroffen: Im großen abgesenkten Oval der Schottentorpassage sind derzeit 300 weißlackierte Fensterrahmen aus Abbruchhäusern ins Gras gesetzt und mit Drähten abgespannt. Roland Graf und Michael Bieglmayr haben ein Konzept entwickelt, das den scheinbar ungehinderten Durchblick in der Wiederholung hinterfragt: In endlosen Reflexionen und Überlagerungen geht die Transparenz schließlich verloren.

Das freigestellte Fenster verweist dabei auf ein Abwesendes: die Behausung. Bei aller Faszination durch den virtuellen Raum dürfen Architekten und ihre Auftraggeber nicht vergessen, dem Qualität zu geben, was bleibt, wenn der Strom ausfällt.

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