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Wenn die Kunst im Kreis verkehrt
Der Standard

Meist ist es bepflanzt, oft sogar ganz grausam bekunstet. Doch bei näherer Betrachtung bietet das kreisrunde, der Landschaft abgerungene Restgrundstück Potenzial für Nachdenken, Bauen und Wohnen.

5. Juli 2014 - Wojciech Czaja
Weintrauben, Weingläser, Birnenfiguren, korinthische Säulen, Kampfflugzeuge, Kühe, Krüge, Rosenbögen und allerlei angewandte Floristik: Das ist das zermürbende Bild der rund 260 Kreisverkehre im Land Niederösterreich, das damit - und zwar mit großem Vorsprung - bundesweiter Spitzenreiter des dauerlinks eingeschlagenen Lenkrads ist. „Jedoch ist der Kreisverkehr“, schreiben die beiden Kulturtheoretiker Marc Ries und Bernhard Keller in ihrem gleichnamigen Essay, „nicht nur ein verkehrstechnisches Arrangement, er ist auch eine Gestalt, ein Körper in der Landschaft.“

Und zwar einer, der niemals leer bleiben darf, der immer gestaltet und mit Kunst oder ähnlichen, dazu ernannten Stücken zu bestücken gehört. „In den meisten Fällen“, erklärt Katharina Blaas-Pratscher, Leiterin der Abteilung Kunst im öffentlichen Raum (KÖR) der Niederösterreichischen Landesregierung, „verwenden die Gemeinden den Kreisverkehr als Werbetafel und Marketinginstrument. Und manchmal darf sich auch der eine oder andere, ortsansässige Künstler darin austoben. Doch die künstlerische Qualität lässt bisweilen zu wünschen übrig.“

Um diesen Zustand zu ändern, fordert und fördert Blaas-Pratscher mit einer für drei Jahre einberufenen Jury - nicht nur, aber auch - musische Impulse für ausgerechnet jene kreisrunden Restgrundstücke, die der zunehmende Automobilverkehr der Landschaft und zu Fuß gehenden Menschheit ringsum abgerungen hat. Kunst im Kreisel, das ist vor allem auch eine Kunst der Dynamik und Distanz.

Zirkulare Ehrenrunden

Donnerstag, acht Uhr morgens. Der Pendler- und Güterverkehr hat Rush Hour. Auch hier, am erst kürzlich eröffneten und eingeweihten Kreisverkehr an der Autobahn-Ausfahrt Leobendorf bei Wien. Und trotz allmorgendlicher Hektik passiert es zu dieser Tageszeit nicht wenige Male, dass ein Autofahrer, anstatt den Ausfahrtsblinker zu betätigen, im Kreise bleibt und zugunsten der Kunstrezeption eine, manchmal sogar zwei zirkulare Ehrenrunden dreht. Das dazu anspornende Motiv, eine Skulptur der costa-ricanischen Künstlerin Priscilla Monge, hört auf den Namen The House.

„Ich war hier einige Male zu Besuch, und mich hat fasziniert, wie viele Leute rund um Wien das traditionelle, auf den ersten Blick offen erscheinende, letztendlich aber abweisende, verschlossene Wohnmodell Haus mit Garten für sich in Anspruch nehmen“, sagt Monge. „Und das trotz eines sehr großen Nationen- und Migrantenspektrums. Mich hat das fasziniert, in gewisser Weise auch irritiert.“

Die Verstörtheit an der österreichischen Raumplanung und Besiedelungspolitik ist mehr als offensichtlich. The House ist kein hübsches und auch kein konformistisches Domizil, sondern ein windschiefes Etwas, das einerseits an die expressionistischen Filme der 1920er-Jahre, andererseits an Alfred Hitchcocks Psycho-Haus hoch oben auf der Hügelkuppe erinnert. Die beiden in die Faserzementfassade eingravierten Worte unterstreichen die nicht ganz eindeutig zuordenbare Beziehung zum trauten Heim: „Heimlich“ prangt es auf der morgens beschienenen Fassade, „Unheimlich“ hingegen beansprucht die Schattenseite für sich.

Während das Haus im Kreisverkehr hierzulande eine unzugängliche künstlerische Botschaft für die schnell Vorbeifahrenden ist, wird es andernorts als genau das genutzt: als abgeschiedene, vom Umraum abgeschnittene Wohninsel für Obdachlose. „Ich habe einige Monate in Brasilien verbracht“, erzählt Leo Schatzl, der sich ebenfalls schon im Kreise gedreht hat. Im niederösterreichischen Zwiebeldorf Unterstinkenbrunn baute er in den Kreisverkehr sein fast sieben Meter hohes, leuchtendes Großes Zwiebelchen (2007, siehe Foto). „Und wenn man die Potenziale eines Kreisverkehrs zwischen hier und dort miteinander vergleicht, dann kommt man unweigerlich ins Grübeln.“

Gemeinsam mit seinen Studenten auf der Kunstuniversität Linz startete er vor einigen Jahren das Projekt Island Hopping, indem er die Kreisverkehre Österreichs zu einem artifiziellen Inselstaat von schützenden Landflecken inmitten des rauschenden Verkehrsstroms ernannte und mit seinen Studiosi sodann von Insel zu Insel hüpfte. „Kreisverkehre sind Inseln, die zu gewissen Inselträumen anregen können“, so Schatzl. „Bloß sind diese Flächen meist ausgeblendet und vergessen.“

Was man auf so einer Insel alles machen kann und machen könnte, beweist Ulrike Lienbacher mit ihrem Kreisverkehr, so der Titel der Arbeit, in Gänserndorf (2010, siehe Foto). Die Künstlerin bleibt der Fortbewegung treu und installiert auf der nur sieben Meter großen Insel eine Sportanlage mit vier nicht besonders langen und wohl auch nicht besonders leicht zu bestreitenden Laufbahnen. Die Ironie rennt mit.

Schon absurd

„Im Kreis zu laufen und nicht rauszukönnen, das hat schon etwas Absurdes“, meint Lienbacher im Gespräch mit dem STANDARD und verweist dabei auf den leistungsorientierten Wettkampf, dem wir in unserem täglichen Leben ausgesetzt sind. „Und in gewisser Weise ist der Kreisverkehr ja auch eine Laufbahn - zwar nicht für Karrieren und auch nicht für Sportler, aber für Autos.“

Und in Hainburg steht inmitten des Kreisverkehrs auf der B9 ein Grüppchen von Menschen. Die fünf Damen und Herren, die sich hier Ende 2013 zur Baubesprechung (Foto) eingefunden haben, sind eine Art verstecktes Denkmal für den niederösterreichischen Altlandeshauptmann Andreas Maurer, der für den Bau der Hainburger Donaubrücke verantwortlich zeichnet und nicht selten, mehr oder weniger genau hier, mit Ordnern und Planunterlagen gestanden sein soll.

Die Darstellung des Grüppchens im Maßstab 1:1, für das neben Maurer vier Hainburger Pate standen, wirkt so realistisch, dass Autofahrer immer wieder irritiert sind und nochmals eine Runde drehen, um den geheimnisvollen Gestalten im Kreise auf den Grund zu gehen. Damit ist den beiden Künstlern Hubert Lobnig und Iris Andraschek das gelungen, wovon die Verkehrsplanung so oft schwärmt.

„Man würde annehmen, dass ein Kunstwerk im Kreisverkehr von der Konzentration aufs Autofahren ablenkt“, erklärt der Wiener Verkehrsplaner Werner Rosinak. „Doch das Gegenteil ist der Fall. Untersuchungen haben ergeben, dass ein Irritationsmoment entlang der Straße die Geschwindigkeit reduzieren kann und dass die Autofahrer langsamer in einen Kreisverkehr einfahren, wenn die Sicht auf das Gegenüber verstellt ist.“ Zum Beispiel durch eine Zwiebel, zum Beispiel durch ein Haus.

Wie schreiben Marc Ries und Bernhard Keller über den Autofahrer? „Vielleicht empfindet er ein gewisses Unbehagen angesichts der mehr oder weniger einfallsreichen Ausgestaltung des inneren Kreises, jenes toten Gebietes, das er umfährt. Trotz aller Irritation wird er, wenn er den Kreis endlich verlässt, zufrieden darüber sein, dass er nur bremsen und nicht wie an einer Kreuzung anhalten musste.“

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