Artikel

Die Barackenkirche Nöstlbach
Oberösterreichische Nachrichten

„Baraque“ bedeutet im Französischen eine Feldhütte, ein Behelfshaus. Ursprünglich Unterkunft für Soldaten, ist eine Baracke ohne Keller leichter gebaut und meist aus Holz. Linz war voll davon, und das schon seit dem Ersten Weltkrieg. Ab 1938 – einhergehend

20. April 2013 - Lorenz Potocnik
„Baraque“ bedeutet im Französischen eine Feldhütte, ein Behelfshaus. Ursprünglich Unterkunft für Soldaten, ist eine Baracke ohne Keller leichter gebaut und meist aus Holz. Linz war voll davon, und das schon seit dem Ersten Weltkrieg. Ab 1938 – einhergehend mit den wahnsinnigen Plänen der Nationalsozialisten – wuchs Linz bis 1945 von 109.000 Einwohnern auf fast das Doppelte (194.000).

Diese Menge an Menschen (zuerst Zwangs- und Fremdarbeiter, dann Flüchtlinge, Displaced Persons und „Ausgebombte“) konnte (und wollte) nicht durch normalen Wohnbau abgedeckt werden.

In der Folge lebten 1945 mehr als 40.000 Menschen in Barackensiedlungen primitivster Art. Noch 1953 waren dies 20.000. Anfang der 1960er-Jahre konnte der größte Teil der Lager aufgelöst werden. Aber noch 1970 bestanden acht Lager mit rund 950 Bewohnern. (Helmut Lackner: „Von der Gartenstadt zur Barackenstadt und retour“, 1986.)

Die Geschichte der Barackenkirche in Nöstlbach (Gemeinde St. Marien, Bezirk Linz-Land) ist nicht einwandfrei geklärt. Gerold Schiesser, Pfarrmitglied und Amateur-Historiker, verfolgt seit Jahren die Spuren dieses unscheinbaren Bauwerks. Anders als in Wikipedia zu lesen, stammt die Kirche wahrscheinlich aus dem Arbeiter-Wohnlager der damaligen Reichsbahn in St. Martin/Traun. 1940 errichtet, lebten hier („Lager 59“) nach dem Krieg 976 Aussiedler; volksdeutsche Flüchtlinge aus Rumänien und dem ehemaligen Jugoslawien.

Nach einer handschriftlichen Chronik wurde die Kirche ursprünglich 1946–47 gebaut und am Ostermontag, 7. April 1947, eingeweiht. Viele solcher Notkirchen wurden in Linz etwa am Bindermichl, am Froschberg oder in St. Martin errichtet. Mit Auflösung der Lager Anfang der 1960er wurden sie durch „echte“ Kirchen in den Neubaugebieten ersetzt.

Nun zu Nöstlbach: Dort gab es seit dem 14. Jahrhundert eine kleine Kirche. Die wurde 1786 von Josef II. aufgelassen und 1849 abgebrochen. Für den wöchentlichen Gottesdienst zu weit entfernt von St. Marien, bestand in der Gemeinde (heute 1550 Einwohner) der dringende Wunsch nach einer eigenen Kirche. 1963 wurde daher die frei gewordene und vorher zerlegte Barackenkirche aus St. Martin auf Eigeninitiative gekauft und auf dem extra erworbenen Grundstück aufgebaut. In letzter Sekunde kam die Bewilligung durch das Bischöfliche Ordinariat, um die erste Messe am 29. Dezember 1963 zu feiern.

Das Alter nagt

Dort steht sie nun seit einer halben Ewigkeit. Der Innenraum ist spartanisch. Annähernd im Originalzustand erhalten (Fenster und Türen wurden leider 1968 mit Standard-Ware erneuert) ist die Atmosphäre besonders: Der ganze Raum besteht aus Holz: Boden, Decke, Bänke. Dreigelenksrahmen schaffen einen offenen Raum und strukturieren ihn gleichzeitig. Im Winter spendet ein Holzofen Wärme.

Das Alter nagt an der Hütte, die wahrscheinlich nur für die Dauer von fünf Jahren vorgesehen war und heute komplett sanierungsbedürftig ist: Die Bodenbetonplatte zerbröselt, das Holz ist teils schwer in Mitleidenschaft gezogen. Das Dach muss erneuert werden.

Dieser Aufwand sollte nicht gescheut werden. Weniger, weil sie als Kirche automatisch unter Denkmalschutz steht, sondern weil sie ein Zeitdokument ist für eine Art zu bauen (materialsparend, extrem wirtschaftlich); aber auch das oben beschriebene, heute schwer vorstellbare Elend der 1940er- und 1950er-Jahre.

Absolut erhaltenswert

Das Besondere an der Barackenkirche ist aber die Lebendigkeit der Gemeinde und somit der Geschichte: Jeden Samstag finden dort nach wie vor Messen statt; auf Betreiben von Diakon Franz Landerl auch die regelmäßige Kinderkirche. Diese Gegenwärtigkeit macht die Holzkapelle so einzigartig und wertvoll auch für spätere Generationen. Und sie ist die einzige in Österreich noch bestehende und als solche genutzte Notkirche.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Oberösterreichische Nachrichten

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: