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Antiquität statt Sondermüll
Oberösterreichische Nachrichten

Klassische Altbauten der Gründerzeit gehören zur attraktivsten Bausubstanz, die österreichische Städte heute zu bieten haben. Neben charmanten Details und deren Flair sowie historischer Kraft zeichnen sie sich aber vor allem durch eine strukturelle Beschaf

9. März 2013 - Lorenz Potocnik
Ganz pragmatisch sind das erstens die offenen, robusten Grundrisse. Diese erlauben – und das ist gelebte Praxis – eigentlich fast jede Nutzung von der Wohnung über Büros und Werkstätten bis zu Kindergärten oder Arztpraxen.

Zweitens ist das die Raumhöhe von in der Regel mehr als drei Meter. Diese Raumhöhe ist Voraussetzung für die vielseitige Nutzung und trägt wesentlich zum Wohlbefinden im Altbau bei. Drittens sind das der Eingangsbereich und das Stiegenhaus.

Die Gänge sind breit und natürlich belichtet. Fenster aus den Wohnungen in das Stiegenhaus sind häufig. Die Erschließung ist mehr als nur funktionaler Weg, eine architektonische Kommunikationsmöglichkeit und Empfang.

Prototyp in Wien

In der Straße und im Viertel haben diese robusten Gründerzeithäuser mit ihren diversen Möglichkeitsräumen unmittelbare Auswirkung: Sie führen zu einer dichten, durchmischten Stadt mit in der Regel lebendigen Erdgeschoßzonen.

Hier wohnen und arbeiten Menschen unmittelbar nebeneinander. Städtebauliches Grundelement dafür ist demnach eine Antiquität, die bisher kaum übertroffen wurde. An diese Eigenschaften knüpft das „neue Stadthaus“ in Wien an. Es ist Ergebnis einer Studie einer Arbeitsgemeinschaft bestehend aus Erich Raith, Professor am Institut für Städtebau der TU Wien, dem Architekturbüro nonconform architektur vor Ort und dem ifa, Institut für Anlageberatung aus Linz. Ziel war, zeitgemäße städtische Bauwerke zu entwickeln, die dem Veränderungsprozess unserer Gesellschaft gerecht werden. Gefördert wurde die Studie mit 250.000 Euro von der Technologieagentur der Stadt Wien.

„Das meiste, was wir bauen, ist falsch in Bezug auf nächste und übernächste Generationen“, sagt TU-Wien-Städtebauprofessor Raith. Er fügt hinzu, dass es darum geht, nutzungsoffene Gebäude zu errichten, die nicht in 20 Jahren schon Sperrmüll sind. Nach wie vor entstehen aber vor allem im Wohnungssektor Bauten mit starren Grundrissen, die für vordefinierte Lebensmodelle maßgeschneidert sind.

Lebensverhältnisse ändern sich

Diese orientieren sich an der Kleinfamilie des postindustriellen Zeitalters. Die Familien- und Arbeitsverhältnisse verändern sich aber laufend. Gebraucht werden daher zukunftstaugliche, nutzungsoffene Bautypen. Nicht Büroimmobilien oder Wohnsiedlungen, sondern Häuser. Genau das soll das neue Stadthaus bieten.

Schon nächstes Jahr beginnt die ifa mit dem Bau eines Prototypen im zehnten Wiener Gemeindebezirk. Wie im Altbau werden die Raumhöhen drei Meter betragen. Im Sockelbereich sogar 4,8 Meter.

Gepaart mit großen Spannweiten und fast radikal offener Struktur, entsteht höchste Flexibilität für die Zukunft. Die Grundstruktur wird konsequenterweise in Fertigteilbauweise errichtet und ist auf Langlebigkeit ausgelegt. Zwischenwände und Haustechnik können leicht an aktuelle Standards angepasst werden. Eine Ausführung in Holz ist, wenn es die Gesetzeslage erlaubt, möglich. Umweltfreundlichkeit entsteht vor allem durch die Langlebigkeit dank struktureller Offenheit (Stichwort Lebenszyklus).

Diese fördert gemischte Nutzung und vermindert die durch Trennung der Funktionen in den Stadtregionen erzwungene Mobilität.

Hochwertige Materialien, die gut altern und Patina ansetzen können, großzügige Eingänge und Stiegenhäuser verstehen sich dann schon von selbst. Mit ein bisschen Glück entsteht in Summe eine „Antiquität“. Und in Linz? Das „Neue Stadthaus“ ist eigentlich sehr einfach. Die Eigenschaften sind auf wenige „Musts“ reduzierbar: Flexibilität durch Raumhöhe und strukturelle Offenheit sowie Qualität der Ausführung.

Neues Stadthaus auch in Linz

Grundsätzlich als Marke geschützt, können wir und jede Stadt sich nur wünschen, dass das Modell nachgemacht und vervielfältigt wird. Über die Raum- und Nutzungsqualität hinaus geht es nämlich um viel mehr als ein Stück Architektur. Das neue Stadthaus ist ein Regelwerk und hat das Zeug zu einem neuen städtebaulichen Leittyp. Die Fähigkeit zur Mischnutzung und zur Verwandlung stellt eine typologische Innovation beziehungsweise eine Wiederentdeckung vergangener Qualitäten dar. Architektur wird so als Halbfertigprodukt verstanden, das zu aktiver Mitgestaltung auffordert, statt den Nutzern ein fertiges Produkt aufzuzwingen.

Linz erlebt wie Wien Zuzug. Glücklicherweise gibt es viele Flächen für innerstädtisches Wachstum. Für genau diese Flächen (rund um die „Grüne Mitte“, zukünftige Hafenstadt, Tabakfabrik) ist das „Neue Stadthaus“ konzipiert.

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Für den Beitrag verantwortlich: Oberösterreichische Nachrichten

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