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Baukultur denken ohne jedes Tabu
Der Standard

Die heurigen Baukulturgespräche widmeten sich der lebenswerten und gerechten Stadt. Dazu gehört auch die viel zitierte und selten eingelöste Leistbarkeit von Wohnraum

6. September 2014 - Wojciech Czaja
Vor wenigen Tagen gingen im hübschen Tiroler Kleinod Alpbach die Europäischen Baukulturgespräche zu Ende. Das übergeordnete Thema lautete heuer: „At the Crossroads. Lebenswerte und gerechte Städte schaffen“. Präsentiert wurden Initiativen und künstlerische Quartiersimpulse zwischen Ljubljana und Rio de Janeiro, Überlegungen zu einer neuen Form von urbaner Nachbarschaft sowie architektonische und stadtplanerische Reaktionen auf die stetig wachsende Stadt.

Und dann war da noch die Leistbarkeit, die in vielen Vorträgen und Diskussionen angeschnitten wurde. Denn leistbar - darin waren sich fast alle Diskutanten einig - ist das Wohnen in den Ballungsräumen schon lange nicht mehr. „Einen hohen, ernstzunehmenden Grad an Leistbarkeit zu erreichen erfordert Fokus und Durchhaltevermögen in der Willensbildung“, sagte Michael Wagner-Pinter, CEO der Synthesis Forschung Gesellschaft in Wien. „Das kann man nicht einfach an die Politik delegieren. Da muss die Privatwirtschaft mit anpacken.“

Teure Stadtzentren

Leichter gesagt als getan. Denn tatsächlich werden die Zentren immer teurer und teurer. Schuld daran sind nicht nur Grundstückspreise, sondern auch die kontinuierlich steigenden Anforderungen an den Wohnbau.

„Wenn wir von leistbarem Wohnen sprechen, dann müssen wir die Häuser für Menschen in Zukunft von jenen für Autos trennen“, forderte Verkehrspapst Hermann Knoflacher. „Wenn wir uns dazu nicht überwinden, wird das nicht klappen, denn ein großer Teil unserer Wohnkosten fließt in unterirdische Garagen.“ Und Georg Pendl, Präsident der Bundes-Architektenkammer, meinte: „Wir alle zitieren immer wieder die wunderbaren Wohnbauten der Pariser Architekten Lacaton & Vassal, wenn es um leistbares Wohnen geht. Völlig zu Recht! Doch die Wahrheit ist: Wenn ich so ein Haus in Österreich baue, dann lande ich im Gefängnis.“

Zu streng seien die Förderrichtlinien und Sicherheitsvorschriften hierzulande. Das verunmögliche es auch, sich der Anforderung an leistbaren Wohn- und Nutzraum in Österreich so zu nähern, wie dies andernorts der Fall ist. Beispielsweise in Amsterdam, wo der Vorarlberger Architekt Dietmar Eberle für einen privaten Investor 2010 ein 32.000 Quadratmeter großes Haus unter dem Titel „Solids Ijburg“ realisierte - und zwar ohne schon zuvor zugewiesene Funktion.

Gewünschter Funktionsmix

Das Mixed-Use-Objekt, das die konservative Immo-Wirtschaft vor ein schier unlösbares Rätsel zu stellen vermochte, wurde kurzerhand über Ebay versteigert. Mitbieten konnte jeder Interessent für Flächen zwischen 70 und 800 m². Das Ergebnis dieser ungewöhnlichen Verwertungskampagne ist eine Melange aus Minihotel, Montessori-Kindergarten, diversen Büros und 25 Prozent Sozialwohnungen für sieben Euro pro Quadratmeter. So sieht er aus, jener „lebenswerte und gerechte“ Funktionsmix, über den zwar alle sprechen, den jedoch niemand so richtig anzupacken wagt.

Wie man das Unmögliche auch hierzulande möglich machen kann, darüber wurde auf den Baukulturgesprächen in einem „World Café“ sinniert. Die erfrischend radikalen Lösungsvorschläge: Förderungen für die Errichtung von Multifunktions-Objekten sowie ein grundlegendes Überdenken von Bauordnung und Mietrechtsgesetz. Ein weiterer Wunsch war die Einführung von Leerstandssteuern und Strafen für spekulativ vom Wohnungsmarkt zurückgehaltene Objekte. Damit wurde ein riesiges Tabu in der Immobilienvorschrift tangiert. Applaus.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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