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Die Sonnenkönigsdisziplin
Der Standard

Letzten Samstag ging der Solar Decathlon 2014 zu Ende. Prämiert wurden innovative Projekte im Umgang mit solarer Energie

20. Juli 2014 - Wojciech Czaja
„Jetzt hör auf zu fotografieren und komm endlich her! Aber Cookies gibt's keine, nur dass du's weißt!“ Und schon steht man mitten in Holland, in einem Garten mit viel Grünzeug und Gemüse rundherum. Neben der Natur wächst eine Art Gewächshaus in den Himmel, die gesamte Fensterreihe im Obergeschoß ist aufgeklappt, der Luftzug zu dieser Tages- und Jahreszeit ein durchaus gewollter und bis zum letzten Komma kalkulierter.

Denn „Prêt-à-Loger. Home with a Skin“, eine Art Sofortwohnangebot für Grüne und solche, die es werden wollen, ist ein von der ersten Skizze bis zur buchstäblichen Schlüsselübergabe konzipiertes Plusenergiehaus, das die Energie- und CO2-Bilanz in den niederländischen Reihenhaussiedlungen am Stadtrand in kürzester Zeit und bei ebenso knapper Kasse auf ein absolutes Minimum runterdrücken soll.

Thermisch sanierungsbedürftig

„In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in den Niederlanden einen regelrechten Häuslbauerboom“, sagt Dennis Ijsselstijn, seines Zeichens Student an der TU Delft und Projektleiter dieses löblichen, ressourcenschonenden Unterfangens. Er sitzt auf der Hollywoodschaukel und winkt kurz rüber nach Frankfurt, Nantes und Barcelona. „Heute sind wir damit konfrontiert, dass diese Häuser katastrophale energetische Werte haben und dringend nachgerüstet werden müssen.“

Rund 110.000 dieser thermisch sanierungsbedürftigen Habitate gibt es in den Niederlanden. „Prêt-à-Loger. Home with a Skin“ zeigt vor, was man mit dieser ungeliebten Bausubstanz machen kann. Zum Beispiel. Letzten Samstag wurde das rekordverdächtige, hässliche Ziegelentlein mit der drübergestülpten Glashaube beim internationalen Solar Decathlon Paris mit dem Grand Prize in Bronze ausgezeichnet.

Ort des Geschehens: Cité du Soleil, ein temporär aufgebautes Messegelände, nur wenige Schritte vom Schlosspark Versailles entfernt. Wo einst Sonnenkönig Ludwig XIV. geherrscht hatte, ging nun zum zehnten Mal der solare Zehnkampf über die Bühne. Es ist der größte Architektur- und Ingenieurswettbewerb dieser Art weltweit. Teilnahmeberechtigt sind Studentengruppen in Zusammenarbeit mit Forschungs- und Industrieunternehmen.

Energetisch berechnet

„Dritter Preis! Nicht schlecht, was?“ Ijsselstijn erklärt die Funktionsweise des gläsernen Bausatzes, der wie eine zweite Fassade um so gut wie jedes normale Backsteinhaus gewickelt werden kann. „Das Prinzip ist ganz einfach: Im Winter dient der Wintergarten als Pufferraum und Isolierung, im Sommer entsteht auf diese Weise ein erweitertes Wohnzimmer, das aufgrund von Querlüftung und thermischer Luftzirkulation das Haus mit kühler Luft umspült.“

Zudem ist die zum Teil offenbare Konstruktion mit Photovoltaik-Zellen verkleidet. Ein unter dem Wintergarten eingebauter, flach liegender Tank dient als Wasserspeicher. Eine Wärmerückgewinnungsanlage sorgt dafür, dass kaum ein Watt abhandenkommt. Jedes einzelne Detail dieses Hauses wurde nicht nur geplant, sondern auch energetisch berechnet. Unterm Strich - und davon kann man sich auch hierzulande ein Scheibchen abschneiden - produziert das Haus im Betrieb mehr Energie, als es verbraucht.

„Our Solar King“

„Das allererste Mal hat der Solar Decathlon vor zwölf Jahren in Washington, D.C., stattgefunden, und ich hätte mir niemals gedacht, dass dieser Wettbewerb eines Tages so hohe Wellen schlagen wird“, sagt Richard King, Gründer und Direktor des internationalen Wettkampfs um die Sonnenergie, der nächstes Jahr erstmals auch in Südamerika ausgefochten werden soll. „Doch am meisten freut mich, dass sich der Preis professionalisiert und so weit entwickelt hat, dass nun die erwachsenen, berufstätigen Architekten von den jungen, innovativen, zielstrebigen Studenten lernen können, und nicht umgekehrt.“

Diese respektvolle Geste wissen die rund 600 Studenten, die sich heuer am Solar Decathlon beteiligt haben, zu schätzen. Niemand von ihnen nennt den Prinzipal des 2002 ins Leben gerufenen Wettbewerbs bei seinem eigentlichen Namen. Alle spähen sie hinüber zu den geometrisch zurechtgezupften Bäumen im Schlossgarten des einstigen Sonnenkönigs und stimmen sodann im Chor an: „Richard, our Solar King!“

Nicht nur Architektur wird bewertet

Das größte Verdienst des Solar Decathlon: Nicht allein die Architektur wird bewertet, sondern auch die Wirtschaftlichkeit, bauliche Logistik und bauphysikalische Eigenschaft des Gebäudes. Überall stehen Messgeräte. Jeder einzelne Raum wird aufgezeichnet, und das rund um die Uhr: Temperatur, Luftfeuchtigkeit, CO2-Gehalt, Behaglichkeit, Raumklima bei Stromausfall, eine nicht enden wollende Liste. In der Zentrale werden die Datensätze ausgewertet. Sie bilden die Basis für den Preis, der in insgesamt zehn Unterkategorien vergeben wird. Daher auch der Name.

Aufbruch. Wir spazieren nach Nantes und Rom. Ein wenig erinnert die provisorische Cité du Soleil in Versailles an einen Kirtag, an ein Wiesenfest der Ingenieure. 20 Studententeams aus aller Welt, einige von ihnen sind interdisziplinär und auch transnational zusammengewürfelt, haben sich heuer beteiligt. Die Resultate der insgesamt zwei Jahre dauernden Planungs- und Bauphase beweisen, wie vielfältig das Thema Passivhaus und Plusenergiehaus sein kann.

Speicherfähige Masse

Nantes. Hier sind die Preisträger in Silber zu Hause. „Philéas. Atlantic Challenge“ nennt sich ihr Projekt. Und auch hier wieder reagieren die Studentinnen auf eine reale Situation, ja sogar auf ein bestehendes, sanierungsbedürftiges Industriegebäude im Loire-Hafen. Dem 1895 errichteten Stahlbetonklotz setzen sie eine gläserne Haube aufs Dach. Die transparente Hutpracht dient den darunterliegenden Wohnräumen als Wärmepuffer, aber auch als Agraroase inmitten der städtischen Betonwüste.

Rom. Das Projekt „Rhome for Dencity“ hat heuer den Grand Prize in Gold nach Italien getragen. Das in Zusammenarbeit mit Rubner Haus entwickelte Projekt, eine schlichte Holzkiste in Rot und Natur, wirkt zunächst unauffällig. Erst auf den zweiten Blick entfalten sich die Features: Die Photovoltaik-Paneele sind zugleich klappbarer Sonnenschutz. Die in Leichtbauweise errichteten Wände sind zugunsten eines ausgeglichenen Raumklimas mit Sandkanistern gefüllt, die die Rolle der speicherfähigen Masse übernehmen. Und überall Querlüftungsfenster, soweit das Auge reicht.

„Wie ein gut funktionierendes Haus aufgebaut sein soll, weiß in Italien jede Oma“, erklärt Nicola Moscheni, Student an der Universität Roma Tre. „Und eigentlich haben wir nichts erfunden, sondern nur das optimiert, was uns unsere Großmütter schon beigebracht haben.“ Dem watscheneinfachen Rezept kann man seinen Erfolg nicht abstreiten.
„Noch eine Vision“

„Für mich ist dieser Wettbewerb ein Statement für die Zukunft“, sagt Robert Schild, Habitat-Manager für Österreich und Deutschland bei Saint-Gobain. Der weltweit tätige Baustoffproduzent hat beim diesjährigen Decathlon tonnenweise Isoliermaterial, Baufolien und Putze beigesteuert. „Und ich verfolge mit Begeisterung, wie innovativ die Studenten die Materialien einsetzen. Da kann sich die gesamte Baubranche etwas abschauen.“

Das italienische Studententeam hält seine wohlverdiente Glastrophäe in die Höhe, „Und jetzt tragen wir alle unsere Ideen nach Hause, denn das Land, aus dem wir kommen, kann frische Impulse gut gebrauchen“, sagt eine der Studentinnen im Taumel des Siegs. „Noch ist der Solar Decathlon eine Vision“, sagt Sonnenkönig Richard King. „Doch ich wünsche mir, dass der Preis eines Tages nicht mehr ein Blick in die Zukunft, sondern eine Zwischenbilanz über die Gegenwart sein wird.“
[ Die Reise zum Solar Decathlon Paris 2014 erfolgte auf Einladung des Baustoffproduzenten Saint-Gobain ]

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