Artikel

Das, was sich nicht fassen läßt
Spectrum

Bühnenbildner, Ausstellungsgestalter, Bildhauer, Architekt: Friedrich Kiesler entzieht sich jeder Zuordnung. Das Wiener Historische Museum stellt diesen „Gesamtkünstler“ mit einer umfassenden Ausstellung vor. Eine Empfehlung.

10. Januar 1998 - Christian Kühn
Um mit dem Ende anzufangen: Friedrich Kiesler starb im Alter von 75 Jahren am 27. Dezember 1965 in New York. Bei seinem Begräbnis rollte Robert Rauschenberg einen Autoreifen durch das Kirchenschiff, stellte ihn in der Nähe des Sargs auf und bemalte ihn blau, gelb, grün, weiß und rot. E. E. Cummings hielt eine Rede, und das Juilliard-Streichquartett spielte Kompositionen von Mozart und Schönberg.

Geboren wurde Kiesler 1890 in Czernowitz, aufgewachsen ist er in Wien. Er studierte ein Jahr Architektur an der TU Wien, danach Malerei an der Akademie. Über Professionsgrenzen hat er sich stets hinweggesetzt, vielleicht mehr als jeder andere Künstler dieses Jahrhunderts. Kiesler war Bühnenbildner und Ausstellungsgestalter. Er war Maler, Architekt und Bildhauer, und er verstand sich zumindest in den dreißiger und vierziger Jahren auch als Vertreter einer neuen Wissenschaft der Gestaltung, die er als „Correalismus“ zu etablieren suchte.

Aber keine dieser Zuordnungen wird Kiesler wirklich gerecht: Wer seine Skulpturen als das Werk eines Bildhauers betrachtet, seine von ihm „Galaxies“ genannten Bildensembles als Werk eines Malers und seine Theorien als wissenschaftliche Abhandlungen, wird seltsam unbefriedigt bleiben. Kiesler war „Gesamtkünstler“, aber er hat, wie Dieter Bogner schreibt, die traditionelle Ästhetik des Gesamtkunstwerks weit hinter sich gelassen zugunsten „einer Architecture Magique, die in der Totalität des menschlichen Wesens wurzelt“.

Hauptwerke sind zum größten Teil nur über Photographien und Werkskizzen erfahrbar: Die Bühnenbilder und Ausstellungsgestaltungen, für Kiesler ein wesentliches Experimentierfeld, waren temporär; das wenige, das er tatsächlich gebaut hat, ist, abgesehen vom Schrein des Buches in Jerusalem, zerstört; viele Architekturprojekte sind kurz vor der Umsetzung gescheitert. Auf Philip Johnsons spitze Bemerkung, er sei „der größte nichtbauende Architekt“ unserer Zeit, erwiderte Kiesler, daß er es vorziehe, nicht zu den vielbauenden Nicht-Architekten zu gehören.

Die Beziehung Kieslers zu seiner alten Heimat ist ein besonderer Fall: Er reiste1926 zusammen mit seine Frau Stefi nach New York, um dort eine von ihm zusammengestellte Ausstellung über neue Theaterkonzepte aufzubauen. Die Reise sollte einige Wochen dauern, aber Kiesler ist niemehr nach Wien zurückgekehrt. Er konnte sich in der New Yorker Kunstszene etablieren, erhielt Lehraufträge an Universitäten und erfuhr schließlich seit Beginn der fünfziger Jahre umso größere Beachtung, je deutlicher der Kontrast zwischen seiner Architekturauffassung und dem funktionalistischen Mainstream der amerikanischen Moderne erkennbar wurde, die sich an Gropius und Mies van der Rohe orientierte.

Die Bedeutung der Wiener Architekturszene für sein eigenes Werk hat Kiesler vor allem am Anfang seiner New Yorker Zeit betont. Gegen Ende seines Lebens hat er eine Einladung Clemens Holzmeisters zu einer Ausstellung nicht ohne Rührung beantwortet: „Kein Brief der letzten 30 Jahre hat mich so gefreut wie der Ihre. Und glauben Sie mir, ich bin nicht sentimental. Es war wie eine Heimkehr.“ Zu einer ersten Ausstellung in Wien ist es freilich erst lange nach Kieslers Tod gekommen.

Zu-Oswald Oberhuber hat sie 1975 für die Galerie nächst St. Stephan zusammengestellt. 1988 fand im 20er Haus eine von Dieter Bogner kuratierte umfassende Gedenk-Ausstellung statt, deren Katalog nach wie vor das Standardwerk zu Kiesler darstellt.

Daß nun auch der Nachlaß Kieslers nach Wien gebracht werden konnte, ist eine Folge dieser Bemühungen um die Kiesler-Forschung. Nach langen Verhandlungen mit Kieslers zweiter Frau Lillian, die Kiesler ein Jahr vor seinem Tod geheiratet hatte, konnte eine befriedigende Lösung gefunden werden: Der Nachlaß wird in eine Privatstiftung eingebracht, die vom Bund, der Stadt Wien, der Nationalbank und von privater Seite finanziert wird. Bei einem Kaufpreis von 3 Millionen Dollar haben es auch die Privaten verdient, vor den Vorhang zu treten:Zu den Stiftern gehören Bank Austria, die Postsparkasse, die BAWAG, die Wiener Städtische Versicherung, die Österreichischen Lotterien, die Firma Wittmann sowie der Rechtsanwalt Hannes Pflaum, der Galerist John Sailer und Dieter Bogner.

Lillian Kiesler selbst hat auf ein Drittel des Kaufpreises verzichtet, nachdem die Republik Österreich und die Stadt Wien die Ausrichtung eines alle zwei Jahre zu vergebenden und mit 750.000 Schilling dotierten „Kiesler-Preises für Kunst und Architektur“ vereinbart hatten.

Das Archivmaterial umfaßt 2500 Zeichnungen, dazu Notizen und Briefe sowie rund 1000 Photographien – angesichts des vergleichsweise kleinen noch erhaltenen Œuvre seine unabdingbare Grundlage für die weitere Kiesler-Forschung. Im Historischen Museum der Stadt Wien sind jetzt 400 Exponate zu sehen, präsentiert in großen, ruhigen Vitrinen in einer Ausstellungsgestaltung von BKK-2, die aus dem GewinkeldesMuse-
umszumindest einen homoge-
nen Raum machtund mit ihrer
einheitlichen fleischfarbenen
Oberfläche wohl auf die für
Kiesler zentralenThemen des
Raumkontinuums und des Or-
ganischen anspielt.

Zumindest ist der Besucher nicht von denExponaten abgelenkt, die ihm in weitgehend chronologischer Abfolge dargeboten werden, von den Materialien zur Ausstellung neuer Theatertechnik, die Kiesler 1924 in Wien im Rahmen des Musik- und Theaterfestes gestaltet hat, bis zu den letzten, beinahe ausführungsreifen Plänen für das „Endless House“, dazwischen Briefe und Entwurfszeichnungen sowie Skizzen.

Zwar sind die Einflüsse der zeitgenössischen Strömungen, von den russischen Konstruktivisten über die De-Stijl-Gruppe, deren Mitglied er als enger Freund Theo van Doesburgs war, bis zum Surrealismus deutlich abzulesen. Aber stets hat man das Gefühl, daß Kieslers Interesse nicht dem Objekt an sich gilt, sondern der Beziehung zwischen den Objekten, der Differenz und dem Intervall, also letztlich dem, was sich nicht fassen läßt.

Ein für die Entwicklung in diese Richtung wesentlicher Schritt war die Gestaltung der Surrealisten-Galerie für Peggy Guggenheim im Jahr 1942: Die Bilder sind aus den Rahmen genommen und mit Distanz vor die hölzernen Schalen gesetzt, die den Raum seitlich begrenzen.

Wer Kiesler vor allem als den Schöpfer des organisch geformten „Endless House“ in Erinnerung hat,wird in dieser Ausstellung einige Überraschungen erleben. Da ist beispielsweise ein
Vortragsmanuskript, in dem er Adolf Loos als einen der anonymen Meister bezeichnet, die stets die großen Stile aller Zeiten geschaffen hätten. Oder die Spuren seiner Arbeit an der Columbia University, wo er von 1937 bis 1941 ein Laboratory for Design Correlation leitet. Als Ergebnis des ersten Forschungsjahres entsteht aufgrund einer umfassenden Analyse von Nutzungsbedingungen eine mobile Bibliothekswand, die hier mit Arbeitsphotos und Detailzeichnungen dokumentiert ist.

Der Versuch, Gestaltung und Wissenschaft in einer Art von „Biotechnik“ wieder zuverbinden, ist im Amerika der dreißiger Jahre durchaus en vogue, und Kiesler Beitrag wird von
den führenden Proponenten gewürdigt. Als er 1931 den Wettbewerb für ein Theater in
Woodstock gewinnt, eine leichte, demontierbare Struktur, schreibt Buckminster Fuller
einen enthusiastischen Kommentar zumProjekt. Kiesler hat seinen wissenschaftsähnlichen Ansatz auch danach nicht aufgegeben. Im Manifest des Correalismus, 1949 in Paris veröffentlicht, finden sich die mobile Bibliothekswand und die zugehörige Analyse jedenfalls ebenso wie seine surrealistischen Arbeiten.

Kieslers Werk ist heute in jeder Hinsicht aktuell: Die Idee des kontinuierlichen Raumes ohne Trennung in Decke, Wand oder Stütze findet sich in den jüngsten Projekten der heutigen Avantgarde, beispielsweise im vielpublizierten Schiffsterminal von Yokohama von ForeignOffice Architects. Die Ähnlichkeit ist dabei weniger auf einen direkten formalen Einfluß zurückzuführen als auf eine verwandte biotechnische Methode.

Kiesler hat diesen aktuellen Tendenzen, die ihre Formen aus Kraftflüssen und Bewegungsströmen abzuleiten versuchen, aber doch etwas voraus. Auf dem Weg von derFunktion zur Form nimmt er noch den Umweg über die Vision, über das Magische und Mythische: „Form folgt nicht der Funktion. Form folgt der Vision. Vision folgt der Wirklichkeit.“

Die Ausstellung „Das Archiv des Visionärs“ ist noch bis 1.März im Historischen Museum der Stadt Wien zu sehen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: