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Oasen in der Zwischenstadt
Oasen in der Zwischenstadt, Foto: Paul Ott
Spectrum

Stadtränder: dichte kommerzielle Zonen, deren dynamische Entwicklung sich scheinbar jeder Planung entzieht. Daß dabei nicht zwangsläufig ein urbaner Brei aus Industrie und Handelszentren entstehen muß, zeigen Bauten imSüden Wiens.

7. Februar 1998 - Christian Kühn
Den Stadtrand gibt es nicht mehr. Eine leidlich scharfe Grenze zwischen dicht bebauter Stadt und ländlichem Grün ist ja schon seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert kaum mehr zu finden, immer weniger kann man aber auch von einem fließenden Übergang sprechen. Die Dichte nimmt am Rand wieder zu: Außerhalb der Stadtgrenzen –längst ein rein juristischer und kein räumlicher Begriff – entstehen dichte kommerzielle Zonen.

Der deutsche Städteplaner Thomas Sieverts hat dieses Gebiet als Zwischenstadt bezeichnet: weder Stadt noch Land, ein Gemenge aus Industrie, Handel und Verkehrsflächen, dazwischen ein paar Wohngebiete und die Reste längst abgestorbener Ortschaften. Städtebau läßt sich hier mit den konventionellen Mitteln des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans kaum mehr betreiben. Wer gewaltige Investitionsströme so kanalisieren möchte, daß nicht nur die Investoren profitieren, darf sich
nicht darauf beschränken, Linien aufs Papier zu ziehen.

Vösendorf und Wiener Neudorf etwa haben sich längst in einem urbanen Brei aus Industrie und großen Handelszentren aufgelöst, der ungebremst immer weitere Verkehrsströme an sich zieht. Daß es zu dieser Frage nach wie vor keine Regionalpolitik, sondern nur eine Wiener Stadt- und eine niederösterreichische Landespolitik gibt, ist nur eine Facette des Problems. Daß keine planerischen Strategien gefunden wurden, um aus einer dynamischen kommerziellen Entwicklung
mehr zu machen als ein amorphes Gemenge, ist eine andere.

Dabei könnte die Zwischenstadt ein Labor zur Erprobung unkonventioneller Strukturen sein. Beispiele dafür finden sich sogar im urbanen Brei im Süden Wiens: Etwas südlich dessen, was früher einmal der Ortskern von Wiener Neudorf war, hat die Grazer Metallbau-Firma Heidenbauer ihr Wiener Werk errichtet, einen klassischen Typus aus einer Produktionshalle und einem vorgelagerten Bauteil mit Büros, Garderoben und Wohnräumen für Wochenpendler, die aus Graz kommen und zur Montage auf Wiener Baustellen eingesetzt sind.

Das Atelier Domenig-Eisenköck hat den Auftrag, ein signifikantes, imagesteigerndes Objekt zu entwerfen, mit wenigen, aber starken Gesten umgesetzt: eine symmetrische Front mit zwei scheinbar schwebenden Metallkuben, der Spalt dazwischen überdeckt von einem weit auskragenden Glasdach. Eine asymmetrisch angesetzte Rampe bricht die Symmetrie und vermittelt Dynamik.

Diese Front hat die Qualität eines Logos, ganz ähnlich wie Karl Schwanzers Philips-Haus, das noch immer die Wiener Südeinfahrt beherrscht, auch wenn sich heute hinter ihm die peinlichen Hochhauskarikaturen des „Business Park Vienna“ erheben. Aber natürlich ist ein Logo noch keine Architektur, und so wie Schwanzers Bau erst durch seine konstruktiven und räumlichen Eigenheiten als Ganzes überzeugen kann, sind auch die Qualitäten des kleinen Industriebaus von Domenig-Eisenköck erst bei genauerer Untersuchung zu entdecken.

Ungewöhnlich ist die Durchdringung der einzelnen Stockwerke, dieausschließlich räumlich durchgespielt wurde, weil es funktionell keine Beziehung zwischen ihnen gibt. Das obere Stockwerk, in dem sich hinter der perforierten Metallfassade die Schlafräume für die Mitarbeiter befinden, wird von einem kleinen, mit matten Scheiben verglasten Lichtschacht durchdrungen, der im Erdgeschoß einen doppelt hohen, von weichem Licht durchfluteten Bereich entstehen läßt. Ein Glasboden leitet das Licht von hier weiter ins Untergeschoß, wo ein heller Vorbereich zu den Umkleideräumen und zur Sauna für
die Mitarbeiter entsteht.

Das gesamte Erdgeschoß des vorderen Traktes ist im wesentlichen eine große, verglaste Halle, in der es bis auf das Büro der Betriebsleitung keine abgeschlossenen Büroräume gibt. Der Besucher sieht rechter Hand den Sekretariatsbereich, links das Planungsbüro mit mehreren offenen Arbeitsplätzen und vor sich einen zentralen Besprechungsraum. Ein kurzer Stichgang stellt die Verbindung zur Werkshalle her.

Die Treppen in den Keller und in den ersten Stock haben die Architekten besonders akzentuiert. Die Werkshalle und der Vordertrakt sind genau um eine Treppenbreite auseinandergerückt, und in diesem glasgedeckten Spalt führen die Treppen hinunter zu den Garderoben beziehungsweise, zusätzlich über einen eigenen Eingang erschlossen, in den ersten
Stock.

Dort ist den Wohnräumen eine kleine, introvertierte Terrasse vorgelagert, auf der man im Sommer sitzen kann, ohne den Blick auf die umgebenden Bauten ertragen zu müssen. Sicher ist dieses Erschließungssystem aufwendiger als sonst im Industriebau üblich, aber es schafft klare Zuordnungen von Wegen und hat überdies einen räumlichen Reiz, der den Zusatzaufwand vertretbar erscheinen läßt.

Konstruktion und Material des Gebäudes ergaben sich aus dem Wunsch des Auftraggebers, hochwertige Metallverarbeitung von der Primärkonstruktion bis zum Ausbau vorzuführen. Der Stahlskelettbau ist überall klar durchgearbeitet, der Brandschutz nicht durch Verkleidungen, sondern durch einen Anstrich gesichert.

Die Oberflächen sind, abgesehen von den Glasflächen, innen und außen weitgehend aus Metall, wobei die unterschiedlichen Typen zu einer faszinierenden Lichtmodulation führen, die die „Kälte“ des Materials vergessen machen. Die durchgängige Edelstahlhülle der Werkshalle wird sich freilich aus Kostengründen wohl kaum als Standard im industriellen Hallenbau etablieren können.

Ein paar Autominuten weiter nördlich ist unter ganz anderen ökonomischen Bedingungen eine Halle entstanden, die ebenfalls zu den wenigen unkonventionellen Strukturen in diesem Gebiet zählt. Hier handelt es sich um keinen Industriebau, sondern um eine große Verkaufshalle. Die Firma Kastner & Öhler hat die Innsbrucker Architekten Heinz, Mathoi, Strehli und Orgler beauftragt, das Konzept für die neuen GigaSport-Märkte architektonisch umzusetzen. Die Märkte sollen dem Besucher den Eindruck einer großen Messehalle vermitteln, in der Produkte verschiedener Hersteller angeboten werden. Gefordert war also eine möglichst flexible Halle mit großen Stützweiten und guter natürlicher Belichtung.

Zusammen mit dem Vorarlberger Holzbauunternehmen Kaufmann und dem Tragwerksplaner Konrad Merz haben die Architekten eine Lösung entwickelt, die diese Kriterien erfüllt. Attraktiv wirkt das Ge-bäude vor allem durch eine schräg geneigte, völlig verglaste Front zum vorgelagerten Parkplatz, die den Blick bis tief ins Innere erlaubt.

Innen fällt die gute Belichtung durch die Shed-Dächer auf, und ein kurzer Blick nach oben zeigt eine unspektakuläre, aber äußerst präzise und schlank ausgeführte Holzkonstruktion. Die 2,5 Meter hohen Fachwerkträger erreichen eine Spannweite von 23 Metern. Um Volumen zu sparen, ist die Hallendecke unter die Träger gehängt, während die Shed-Dächer als aussteifende Sekundärkonstruktion über die Träger gestülpt sind – ein im Prinzip aus dem Stahlbau bekannter, äußerst ökonomischer Querschnitt.

Innovativ ist hier das Material: Es handelt sich nicht um konventionelle Leimbinder, sondern um Paralam, einen aus den USA importierten Holzwerkstoff, der aus langen verleimten Pappelholzfasern hergestellt wird. Dieses Material ist besser berechenbar und unter bestimmten Bedingungen um 50 bis 60 Prozent höher belastbar. Außerdem erlaubt es komplexe Holz-Holz-Verbindungen, die computergesteuert aus demMaterial gefräst werden können.

Das Zusammenspiel derartiger neuer Technologien war auch die Voraussetzung, um Holz überhaupt unter den extrem knappen Zeitvorgaben einsetzen zu können: Von der Auftragserteilung bis zur Übergabe der fertigen Halle vergingen keine zehn Monate. Daß ein derart
veredelter Holzwerkstoff trotz der hohen Transportkosten im Vergleich zur lokalen Konkurrenz bestehen kann, sollte der österreichischen Bauindustrie zu denken geben.

Überhaupt kann man die beiden Bauten als eine kleine Attacke auf die viel zu sehr auf den Massivbau beschränkte Wiener Baukultur interpretieren. Einen so effizient und elegant durchkonstruierten Holzbau wird man in Wien kaum mehr finden, und als Stahlbau fällt mir im Grunde nur Helmut Richters Schule am Kinkplatz ein – und an deren Stahlkonstruktion hat schließlich auch die Firma Heidenbauer mitgewirkt.

In der gestalterischen Wüste, von der die beiden Bauten um-Investoren geben sind, erscheinen sie als Oasen. Dennoch hätten sie in einem konventionellen urbanen Umfeld nie entstehen können. Es kann also gar nicht darumgehen, die Dynamik der Zwischenstadt planerisch „in den Griff“ zu bekommen und endlich wieder Ordnung zu schaffen. Niemand wird sich nach der Langeweile zurücksehnen, wie sie die benachbarte „Südstadt“ als ideale Stadterweiterung der Nachkriegszeit vorexerziert hat.

Ob es aber nicht doch Wege gibt, die aggressive Zusammenballung von Investitionen in weniger chaotische Bahnen zu lenken? Würden Planer und Politiker aktiv Szenarien für die Entwicklung der Zwischenstadt vorgeben, dann hätten deren Betreiber endlich einen kompetenten

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