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„Stundenlang über meine Fehler sprechen“
Der Standard

Der Mailänder Architekt Stefano Boeri hält am Freitag einen Festvortrag in Wien. Er wird über Versagen und Misserfolg referieren. Das macht neugierig. Wir haben ihn gefragt, was seine Erfahrung mit diesem zünftigen Tabu ist.

28. Februar 2015 - Wojciech Czaja
Zutritt verboten, ein Bauzaun ohne Anfang und ohne Ende, eine Schutthalde mitten im Weg, die Eingangstür steht halb offen, von oben hängen Aluminiumteile hinab, scheppern im Wind, klopfen gegen die Glasfassade. „Es ist schon traurig“, sagt Stefano Boeri. Er ist der Architekt dieses mehr als 150.000 Quadratmeter großen Riesengebäudes. „Aber so ist das in Italien. Jahrelang wird geplant und gebaut, mehr als 300 Millionen Euro werden investiert, das Haus steht kurz vor der Fertigstellung, und dann kommt Berlusconi daher, und alles ist anders.“

Das Kongresszentrum in La Maddalena, Sardinien, wurde für den G-8-Gipfel im Juli 2009 errichtet. Drei Monate zuvor wurde das Gipfeltreffen kurzerhand ins erdbebengezeichnete L'Aquila verlegt. Voyeurismus in Schutt und Asche, das sei medientauglicher und entsprechend lukrativer als ein kleines Hafenstädtchen am Ende der Welt, hat man damals zwischen den Zeilen vernommen. Der Bau steht seitdem leer und verfällt. Eine moderne Ruine.

Kommende Woche hält Boeri im Rahmen des Architekturfestivals „Turn on“ im ORF-Radiokulturhaus einen Festvortrag über sein niemals fertiggestelltes Kongresszentrum. Unter dem Titel „Architecture Fiasco“ will er sich dem Scheitern widmen. „Misserfolg und Versagen gehören zu diesem Job dazu wie zu jedem anderen auch“, meint Boeri. „Aber gerade in der Architektur, wo es darum geht, etwas zu erschaffen, ist das Missglückte mitunter noch viel unglücklicher.“

STANDARD: Wann waren Sie zum letzten Mal in La Maddalena?

Boeri: Im Jänner. Es ist ein eigenartiges Gefühl. Immer noch. Und immer mehr.

Im Dokumentarfilm „La Maddalena“ von Ila Bêka and Louise Lemoine machen Sie einen Spaziergang durch das Gebäude und kommentieren den Lauf der Dinge. Wie geht es Ihnen, wenn Sie da durchmarschieren?

Boeri: Nicht gut. Es ist traurig. Irgendwie fühlt man sich als Architekt mitverantwortlich, dass das Haus nun leersteht, auch wenn das natürlich reichlich absurd ist. Vor allem aber empfindet man so etwas wie Scham.

Warum ist es so schwer, über Fehler zu sprechen?

Boeri: In unserer Profession gibt es viele Quellen möglicher Fehler. Man macht ein Projekt, und es wird niemals realisiert. Ein Versagen. Man realisiert ein Projekt, und irgendein technisches Detail funktioniert nicht so, wie man es sich vorgestellt hat. Ein Versagen. Und man macht ein Projekt mit all den technischen Raffinessen, die es gibt, und dann steht es am Ende leer. Und wieder ein Versagen. Irren ist menschlich. Aber in unserem Beruf ist Irren ein Tabu.

Nicht der Architekt hat sich geirrt, sondern der Politiker. Wie hat sich Berlusconi zu diesem Projekt geäußert?

Boeri: Silvio Berlusconi war drei- oder viermal vor Ort. Jedes Mal war er enttäuscht. Beim ersten Mal meinte er: Warum machen Sie das nicht so? Und das so? Und das dort vielleicht so? Beim zweiten Mal hat er uns Innenmobiliar nach seinem Geschmack vorgeschlagen. Da hätte man schon ahnen können, dass wir auf eine Sackgasse zusteuern. Zuletzt hat er festgestellt, dass ihm das Projekt nicht gefällt. Ihm fehle die Ornamentik, die Grandezza, die Monumentalität, die Symbolik der politischen Macht.

Warum ist es so schwer, sich von den alten Bildern einer politischen Architektur zu verabschieden?

Boeri: Raum und Politik ... das ist ein schwieriges, sensibles Thema. Im Laufe der Geschichte hat politische Architektur immer ihre ganz spezifische Form gehabt. Wir wollten diese Form neu interpretieren und haben den politischen Raum als einen Ort der Offenheit und Transparenz gedeutet. Im Kongresszentrum La Maddalena scheinen die lichtdurchfluteten Räume in die Landschaft, ins Meer hinauszufließen. Das war unser Bild einer neuen politischen Architektur. Die sardische Regierung war von dieser Idee sehr angetan. Berlusconi war es nicht.

Der Gipfel hätte auch bloß wenige Tage gedauert. Was ist mit der Zeit danach? Warum ist es bis heute nicht gelungen, eine geeignete Nachnutzung für das Projekt zu finden?

Boeri: Wir hatten von Anfang an ein Konzept für die Nachnutzung, für eine Art Second Life nach dem G-8-Gipfel - mit Sporthafen, Hotel, Freizeiteinrichtungen und so weiter. Da das Land, auf dem das Kongresszentrum heute steht, früher militärisch genutzt worden war und entsprechend kontaminiert war, haben wir eine Reinigung in Auftrag gegeben. Die Baufirma hat das Geld kassiert, den Grund und Boden aber niemals gesäubert. Sämtliche geplante Nachnutzungen sind damit gestorben. Ein Fiasko.

Was passiert nun mit dem Areal?

Boeri: Das ist schwer zu sagen, denn die Eigentumsverhältnisse sind sehr komplex. Wir sind gerade im Gespräch mit der Regierung. Auch wenn es paradox klingt: Eine Idee ist, in La Maddalena den nächsten Weltwirtschaftsgipfel abzuhalten. Das wäre nachhaltig.

Wie definieren Sie den Begriff „Nachhaltigkeit“?

Boeri: Langlebigkeit.

Im Mai startet die Expo in Mailand. Sie haben die Richtlinien für den Masterplan entwickelt. Was soll passieren, damit das Expo-Gelände nicht so endet wie jenes in Hannover nach der Expo 2000?

Boeri: Wir haben den Expo-Menschen einen großen botanischen Garten mit leichten, temporären Aufbauten vorgeschlagen. Wir wollten aus den Fehlern der vergangenen Weltausstellungen in Hannover, Sevilla und Zaragoza lernen und es besser machen. Unsere Idee war, das Areal anschließend in Ackerland zu verwandeln. In der Zwischenzeit hat sich die Balance aus permanenten und temporären Bauwerken auf dem Expo-Gelände dramatisch verändert. Aus unserem Nachnutzungskonzept wird wohl nichts werden. Das war der Stadt Mailand zu wenig lukrativ.

Was kommt stattdessen?

Boeri: Die Expo hat sich im Laufe der letzten Monate mehr und mehr zu einer sehr klassischen, konservativen Weltausstellung entwickelt. Meinen Job als Expo-Konsulent der Stadt Mailand bin ich mittlerweile los. Ich wurde abgesägt. Was mit dem Expo-Gelände nach Ablauf der Expo passieren soll, ist ungewiss. Bis heute liegt kein entsprechendes Nachnutzungskonzept auf dem Tisch. Ich habe Vorschläge unterbreitet. Sie wurden nicht gemocht. Ich muss aufhören, immer wieder in die gleichen Fallen hineinzutappen.

Sie meinen?

Boeri: Der Architekt als halber Politiker.

Werden wir jemals aufhören, Fehler zu machen?

Boeri: Niemals. Ich könnte stundenlang über meine Fehler sprechen ...

Wie bekommen wir unsere Fehler besser in den Griff?

Boeri: Wir müssen endlich kapieren, dass Fehler unvermeidlich sind und dass sie eine immens wichtige Ressource für unser Leben sind. Die offene, tabulose Kultur vermisse ich. Vor allem aber müssen wir lernen, dass unser Job als Architekt nicht mit der Fertigstellung des Bauwerks aufhört. Unsere Verantwortung reicht Jahrzehnte, ja vielleicht sogar Jahrhunderte in die Zukunft. Dessen sind sich die wenigsten bewusst. Sie bauen und bauen und bauen. Und bauen. Und bauen.

Stefano Boeri (58) ist Architekt und Stadtplaner in Mailand. Er war Chefredakteur der internationalen Design-Magazine „Domus“ und „Abitare“ und ist nun Leiter der Forschungsgruppe Multiplicity, die sich mit dem Wandel von Bauland und Landnutzung beschäftigt. 2013 baute er für die Europäische Kulturhauptstadt Marseille das Centre Régional de la Méditerranée in Marseille. Letztes Jahr stellte er in Mailand das Wohnhochhaus „Bosco Verticale“ mit 800 Bäumen und mehr als 20.000 Sträuchern, Büschen und Pflanzen fertig. Das Projekt wurde vielfach ausgezeichnet. Für die Expo 2015 in Mailand erstellte er gemeinsam mit Jacques Herzog, Richard Burdett und William MacDonough die Richtlinien für den Masterplan. Das Architekturfestival „Turn on“ findet vom 5. März, 16.30 Uhr bis zum 7. März, 22 Uhr statt. Mit zahlreichen Nonstop-Vorträgen. Der Festvortrag von Stefano Boeri findet am Freitag, den 6. März, um 10.30 Uhr statt. ORF-Radiokulturhaus, Argentinierstraße 30a, 1040 Wien. Eintritt frei (www.turn-on.at)

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