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Posthumer Pritzker-Preis an Frei Otto: Baumeister der Luftschlösser ist tot
Der Standard

Der Architekt des Münchner Olympiaparks und Erfinder der hängenden Dächer ist im Alter von knapp 90 Jahren verstorben. Der Pritzker-Preis 2015 wird ihm damit posthum verliehen

11. März 2015 - Wojciech Czaja
Der mit 100.000 US-Dollar dotierte Pritzker-Preis, oft auch als Nobelpreis der Architektur bezeichnet, geht heuer an den deutschen Architekten Frei Otto, der am Montag im 90. Lebensjahr gestorben ist. Aufgrund des plötzlichen Todes zog die Hyatt Foundation die geplante Verkündung des Preises um zwei Wochen vor. Damit wird der 1979 ins Leben gerufene und alljährlich mit großer Spannung erwartete Preis, der als die wichtigste Auszeichnung der Branche gilt, erstmals posthum vergeben.

Frei Otto, 1925 in Chemnitz (vormals Siegmar) geboren, gilt als Erfinder der sogenannten leichten Flächentragwerke, besser bekannt als „hängende Dächer“. Das beste Beispiel dafür, mit dem er auch berühmt wurde, ist das 1972 errichtete Olympiastadion in München. Wie ein Zelt, wie ein schwebendes Spinnennetz spannt sich die transparente Membran über das Stadion und den benachbarten Olympiapark. Damit hat Otto (gemeinsam mit Günther Behnisch) nicht nur den Leichtbau revolutioniert, sondern auch die Entwicklung der Architektur entscheidend mitgeprägt. Das Magazin „Häuser“ wählte den Olympiapark 2003 sogar zum wichtigsten deutschen Gebäude aller Zeiten.

Frühes Interesse an Modellbau

Die Vorliebe für die fast schwerelos wirkenden Konstruktionen kam nicht von irgendwo. Schon in der Schule kam Otto mit Segelfliegen und Modellbau in Kontakt, noch vor seinem Architekturstudium erwarb er den Segelflugschein und setzte sich mit Flugzeugbau und rahmengespannten Membranen auseinander. Im Zweiten Weltkrieg schließlich wurde der angehende Architekt als Kampfpilot eingesetzt. Die Faszination für das Leichte, für das leicht Bewegliche ließ ihn nie wieder los.

Anders als heute konnten die von ihm entwickelten Konstruktionen noch nicht berechnet werden. Die organische, amorphe Form sprengte damals die Grenzen der statischen Berechenbarkeit. Otto gab nicht auf und experimentierte mit Gitterschalen und Seilnetzen sowie mit Drahtmodellen, die er in Seifenlauge tauchte und anschließend genau dokumentierte. Den Glockenturm in Berlin-Schönow (1960) gestaltete er nach dem Vorbild des Skeletts der Kieselalge. Bei der Fußgängerbrücke in Mechtenberg im Ruhrgebiet wiederum orientierte er sich an den Strukturen von Bäumen und Blättern. Ähnlich wie der spanische Architekt Antoni Gaudí (Sagrada Família in Barcelona) leitete Otto auf diese Weise seine Architektur eins zu eins von der Natur ab.

„Ich habe wenig gebaut, ich habe viele Luftschlösser ersonnen“, hat Otto einmal in einem Interview gesagt. Und tatsächlich sind in seinen letzten Lebens- und Arbeitsjahren, die der Architekt fast ohne Augenlicht bezwang, nur noch wenige Bauten entstanden, unter anderem Zeltdachkonstruktionen im islamischen Raum.

Doch dafür hinterlässt Frei Otto viele Zusammenarbeiten, viele theoretische Projekte sowie einen eklatanten Beitrag zur universitären Architektur- und Konstruktionslehre. Neben seinen zahlreichen Büchern gründete er die Forschungsgruppe „Biologie und Bauen“ sowie das Institut für Leichte Flächentragwerke an der TU Stuttgart. Genau für diese Balance aus Architektur und Wissensvermittlung, teilte die Pritzker-Jury mit, wolle man den „Architekten, Visionär, Utopisten“, den „Erfinder der Leichtigkeit“ auszeichnen.

Frei Otto ist nach Gottfried Böhm (1986) der zweite deutsche Architekt, der mit dem renommierten Preis gewürdigt wird. Der bislang einzige österreichische Pritzker-Preisträger ist der vor einem Jahr verstorbene Hans Hollein (1985).

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