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Der Turm­bau zu Vals
Der Standard

In der 1000-Ein­woh­ner-Ge­mein­de in der Schweiz soll Thom May­ne ei­nen 381 Me­ter ho­hen Wol­ken­krat­zer bau­en. Das Pro­jekt hat in we­ni­gen Ta­gen viel Po­le­mik aus­ge­löst. Die wich­tigs­te Fra­ge je­doch lau­tet: Wie wol­len wir in Zu­kunft mit un­se­ren Ber­gen um­ge­hen?

11. April 2015 - Wojciech Czaja
Das höch­ste Ge­bäu­de Eu­ro­pas steht in Mos­kau. Mit 338 Me­tern ist der 2012 er­öff­ne­te Mer­cu­ry Ci­ty To­wer die al­les über­ra­gen­de Hö­hen­mar­ke auf dem Al­ten Kon­ti­nent. Das könn­te sich bald än­dern. In der Schwei­zer Ge­mein­de Vals, mit­ten im Kan­ton Grau­bün­den, am En­de ei­ner 20 Ki­lo­me­ter lan­gen Sack­gas­se, die ins letz­te Zip­fel des Val­ser­tals hin­ein­führt, pla­nen die bei­den In­ves­to­ren Re­mo Stof­fel und Pi­us Truf­fer ei­nen 82-stö­cki­gen Wol­ken­krat­zer, der 381 Me­ter in den Val­ser Him­mel ra­gen soll. Vor zwei Wo­chen wur­den die Plä­ne der Öf­fent­lich­keit vor­ge­stellt.

Und ja, das mit dem Him­mel war ei­ne ge­woll­te Ein­la­dung an die Ar­chi­tek­ten ge­we­sen, die sich an die­sem ge­la­de­nen Wett­be­werb un­ter Ju­ry­vor­sitz des ja­pan­is­chen Ar­chi­tek­ten Ta­dao An­do be­tei­ligt hat­ten. „Ich weiß, wir grei­fen hier nach den Ster­nen“, hat­te Truf­fer da­mals zu den neun ge­la­de­nen Pla­nern ge­sagt, da­run­ter so klin­gen­de Na­men wie Max Dud­ler, Nie­to So­be­ja­no, Ken­go Ku­ma, Ste­ven Holl und Thom May­ne. „Aber trotz­dem: Be­gin­nen Sie zu träu­men! Al­lein der Him­mel soll die Gren­ze sein für die­ses Pro­jekt!“

Nun, um ge­nau zu sein, wa­ren es nur acht Ar­chi­tek­ten, denn der eben­falls ge­la­de­ne Pritz­ker­preis­trä­ger Pe­ter Zum­thor, den meis­ten be­kannt als Ver­tre­ter ei­nes sanf­ten Tou­ris­mus und Er­bau­er der welt­be­rühmt­en, mitt­ler­wei­le denk­mal­ge­schütz­ten Fel­sen­ther­me Vals, wies die Ein­la­dung zu­rück. „Mich zu ei­nem Wett­be­werb ein­zu­la­den, nach all dem, was ich für Vals ge­tan ha­be, emp­fand ich als Spit­ze“, er­klär­te Zum­thor ge­gen­über der Wo­chen­zei­tung Die Zeit . „Mich macht die­ses Pro­jekt trau­rig.“

Mit­tel­fin­ger ge­gen die Re­gi­on

Von Trau­er ist in der Schweiz nicht die ge­ring­ste Spur. Zu in­tro­ver­tiert, zu lei­se ist die­se Ge­fühls­re­gung, um das zu be­schrei­ben, was in den letz­ten Ta­gen me­di­al ab­ge­gan­gen ist. Die ei­nen fei­ern das Ho­tel­hoch­haus als Ent­wi­cklungs­mo­tor und in­no­va­ti­ve Maß­nah­me für die Schwei­zer Ber­ge, die an­de­ren ver­ur­tei­len das Mam­mut-Bau­vor­ha­ben als „ab­surd“, „hirn­ris­sig“ und „un­auss­teh­lich“. Die bri­ti­sche Ta­ges­zei­tung The Gu­ar­di­an spricht so­gar von ei­nem „gi­gan­tic mir­ror-clad midd­le fin­ger ai­med at the re­gi­on“, von ei­nem gi­gan­ti­schen Mit­tel­fin­ger ge­gen die ge­sam­te Re­gi­on.

Ob das die Ab­sicht der Pro­jekt­ent­wi­ckler ist? „Ich ver­ste­he, dass die­ses Pro­jekt die Ge­mü­ter spal­tet“, sagt Pi­us Truf­fer, De­le­gier­ter des Vor­stan­des der zu­stän­di­gen 7132 AG, die sich die Val­ser Post­leit­zahl in den Fir­men­na­men ein­ver­leib­te, im Ge­spräch mit dem STAN­DARD . „Aber Tat­sa­che ist, dass sich drin­gend et­was än­dern muss. Der al­pi­ne Tou­ris­mus ist in ei­ner tie­fen Kri­se. Man ver­dient nichts mehr. Neue Ide­en müs­sen her.“

Das Stac­ca­to des 59-jäh­ri­gen Stein­bruch­un­ter­neh­mers geht durch Mark und Bein. Der Mann weiß, was er will. Sei­ne Vi­sio­nen spre­chen Bil­der. „Wis­sen Sie, sanf­ter Tou­ris­mus ist ei­ne gu­te Sa­che, dann sind wir al­le na­tur­ver­bun­den und trin­ken den gan­zen Tag Tee. Aber da­mit kann man in den ent­le­ge­nen Berg­ge­mein­den kei­ne Wert­schöp­fungs­ket­te auf­recht­er­hal­ten. Jetzt geht es da­rum, sich zu über­le­gen, wie man wie­der Leu­te in die Ber­ge lo­cken kann.“

In ge­wis­ser Wei­se, so Truf­fer, knüp­fe man mit dem Ho­tel­turm und dem be­nach­bar­ten, vier Hek­tar gro­ßen ja­pan­is­chen Gar­ten von Ta­dao An­do an die gro­ßen Vi­sio­nen der vor­letz­ten Jahr­hun­dert­wen­de an, als in den Al­pen die er­sten Cha­lets und Grand­ho­tels ent­stan­den sind. „Auch da­mals hat man nichts an­de­res ge­macht, als ei­ne ur­ba­ne Bau­ty­po­lo­gie in ei­nen neu­en Kon­text, näm­lich in die un­be­rühr­te Na­tur­land­schaft zu set­zen. Ich fra­ge mich da­her: Wa­rum sol­len Hoch­häu­ser heut­zu­ta­ge nur der Stadt vor­be­hal­ten sein?“

Gia­co­met­ti, wag­hal­si­ger­wei­se

Ein Hoch­haus wie die­ses, das wird bald klar, fin­det man be­sten­falls in Man­hat­tan, wo in den letz­ten Jah­ren plötz­lich hauch­dün­ne, schier un­leist­ba­re Wohn- und Bü­ro­na­deln in die Wol­ken hin­ein­ge­sto­chen wur­den. Der sieg­rei­che Ent­wurf des ka­li­for­ni­schen Ar­chi­tek­ten Thom May­ne, Lei­ter des Bü­ros Mor­pho­sis, orien­tiert sich an die­sen mi­ni­ma­lis­ti­schen Ent­wür­fen der Me­ga­lo­po­lis und schuf ein schlan­kes, ver­spiegel­tes Ge­bil­de auf ei­ner Grund­flä­che von nur 30 mal 16 Me­tern. Die Kons­truk­ti­on ist wag­hal­sig.

„Es geht um ei­ne er­ha­be­ne, phi­lo­so­phi­sche Idee, die ei­ne Schön­heit ge­biert, die weit über die mensch­li­che Vor­stel­lung hin­aus­geht“, schreibt Ar­chi­tekt Thom May­ne in sei­nem Pres­se­text und be­zieht sich da­bei auf Im­ma­nu­el Kant, Ca­spar Da­vid Fried­rich und Al­ber­to Gia­co­met­ti, dem er mit dem Pro­jekt­ti­tel Fem­me de Vals in An­leh­nung an die Skulp­tur Fem­me de Ve­ni­se Re­ver­enz er­weist. „Auch wir wol­len den Be­su­chern, gleich Gia­co­met­tis dra­ma­ti­schem Meis­ter­stück, ein äs­the­ti­sches Er­leb­nis bie­ten.“ Noch sind die Wor­te mäch­tig zwar, aber va­ge. Ei­ne kon­kre­te In­ter­view-An­fra­ge des STAN­DARD lehnt May­ne ab. Man wol­le sich zum Pro­jekt zu die­sem Zeit­punkt nicht äu­ßern.

107 Zim­mer und Sui­ten, vie­le da­von mit ei­nem 360-Grad-Rund­um­blick, sol­len hier Platz fin­den. Mehr ist nicht ge­plant, denn im Ho­tel 7132, so der of­fi­ziel­le Na­me des Turm­baus zu Vals, setzt man nicht auf die Quan­ti­tät der Zim­mer, son­dern viel­mehr auf je­ne der Wohn­flä­che. Bis zu 500 Qua­drat­me­ter, bis­wei­len auf zwei Eta­gen ver­teilt, sol­len sich auf­tun, so­bald man die Zim­mer­kar­te in den Schlitz ge­scho­ben hat. Die Zim­mer­prei­se va­riie­ren, ab­hän­gig von Grö­ße und Stock­werk, zwi­schen 1000 und 25.000 Schwei­zer Fran­ken (950 bis 24.000 Eu­ro) pro Nacht.

Per He­li­kop­ter nach St. Mo­ritz

„Ja, das ist teu­er, aber ge­nau auf die­ses hoch­prei­si­ge Seg­ment zie­len wir ab“, meint Truf­fer. „Es darf nicht in Rich­tung Mas­se ge­hen. Wir müs­sen über Qua­li­tät nach­den­ken.“ Über­aus ex­klu­siv ist auch das Mo­bi­li­täts­kon­zept, das im Ho­tel 7132 an­ge­bo­ten wer­den soll. Die Tou­ris­ten, vor­nehm­lich je­ne aus Asien und dem ara­bi­schen Raum, wer­de man per He­li­kop­ter ein­flie­gen. Auf die­sem Luft­we­ge, so die In­ves­to­ren, er­rei­che man auch die be­rühmt­e Lu­xus­enk­la­ve St. Mo­ritz in nur 15 Mi­nu­ten. Das Din­ner ruft.

„Wir hal­ten an un­se­ren Plä­nen fest und ar­bei­ten der­zeit an der be­hörd­li­chen Bau­ein­ga­be“, sagt Pi­us Truf­fer auf An­fra­ge des STAN­DARD . „Im Herbst wol­len wir die Val­ser Be­völ­ke­rung über das Bau­vor­ha­ben und die da­mit ver­bun­de­ne Zo­nen­pla­nän­de­rung ab­stim­men las­sen. Es braucht den Dia­log mit den Men­schen vor Ort. Ge­wiss, es wird Res­sen­ti­ments ge­ben, aber am En­de ver­traue ich auf die Zu­kunfts­fä­hig­keit von uns al­len.“

Dem Pro­jekt ste­hen noch vie­le Hür­den be­vor, nicht zu­letzt der kan­to­na­le Richt­plan, der „Vor­ha­ben mit ge­wich­ti­gen Aus­wir­kun­gen auf Raum und Um­welt“ ab­zu­seg­nen hat, das Raum­pla­nungs­ge­setz (RPG) so­wie die noch aus­stän­di­ge Um­welt­ver­träg­lich­keits­prü­fung. 300 Mil­lio­nen Schwei­zer Fran­ken will die 7132 AG in das Pro­jekt in­ves­tie­ren. Fer­tigs­tel­lung „so in fünf Jah­ren, wenn al­les gut­geht“, so Truf­fer.

Bei al­ler Po­le­mik, die der ge­plan­te Ho­tel­turm aus­ge­löst hat, darf ei­ne Sa­che nicht ver­ges­sen wer­den: Das Pro­jekt regt ei­ne längst über­fäl­li­ge Dis­kuss­ion da­rü­ber an, wie wir in Zu­kunft ge­ne­rell mit der ster­ben­den Ent­wi­cklung ab­ge­le­ge­ner Berg­re­gio­nen um­ge­hen wol­len. Mehr noch als ein ar­chi­tek­to­ni­scher und bau­kul­tu­rel­ler Bei­trag ist das Ho­tel 7132, ob es nun ge­baut wird oder nicht, po­li­ti­scher und raum­pla­ne­ri­scher Zünd­stoff. Und der ist längst über­fäl­lig. Nicht nur bei den Eid­ge­nos­sen, son­dern auch in Ös­ter­reich.

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