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Pro­test mit Tie­fen­schär­fe
Der Standard

Ge­stern, Frei­tag, wur­de in Frank­furt am Main der Eu­ro­päi­sche Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie­preis ver­lie­hen. Im Fo­kus der Ge­winn­erin steht kein sli­ckes, hoch­äs­the­ti­sier­tes Bau­werk, son­dern die Do­ku­men­ta­ti­on des Raums als po­li­ti­sche Büh­ne.

24. April 2015 - Wojciech Czaja
Feu­er, Rauch und Trä­nen­gas. Man hört das Fo­to förm­lich schrei­en. Im Fit­nes­scen­ter des Mar­ma­ra-Ho­tels ste­hen, mit Fo­to­ap­pa­rat und Ent­set­zen dicht an die Glas­fass­ade ge­bannt, Ho­tel­be­su­cher und star­ren hi­nab auf den Tak­sim-Platz. Was sie se­hen, das sieht man nicht, aber was sie se­hen, das weiß man. Die deut­sche Fo­to­künst­le­rin Pe­tra Ger­schner hat die Bil­der der Un­ru­hen, die welt­weit Wel­len schlu­gen, mit ih­rer Klein­bild­ka­me­ra fest­ge­hal­ten. Ge­stern, Frei­tag, wur­de sie für ih­re vier­tei­li­ge Se­rie Ge­zi ge­gen Gen­tri­fi­zie­rung in Frank­furt am Main mit dem Eu­ro­päi­schen Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie­preis aus­ge­zeich­net.

„Ich war da­mals, im Ju­ni 2013, ge­ra­de in der Ost­tür­kei, in der kur­di­schen Stadt Wan, als ich in der Ho­tel­lob­by die Bil­der von den Ge­zi-Un­ru­hen im Fern­se­hen ge­se­hen ha­be“, er­in­nert sich Ger­schner im Ge­spräch mit dem STAN­DARD . „Hun­dert­tau­sen­de käm­pften da­mals ge­gen die Ent­eig­nung des öf­fent­li­chen Raums und ge­gen die Im­mo­bi­lien­pro­jek­te Re­cep Tayyip Er­doğans. Kurz da­rauf bin ich nach Is­tan­bul ge­flo­gen. Ich konn­te gar nicht an­ders.“

Im Ge­gen­satz zu den Bil­dern, die in den Me­dien wo­chen- und mo­nat­elang zu se­hen wa­ren, ist der Blick Ger­schners kein di­rek­ter, son­dern viel­mehr ein Ab­bild des Ab­bilds. „Ich ver­fol­ge mit mei­nen Fo­to­gra­fien kei­ne vor­der­grün­di­ge Re­pro­duk­ti­on der Er­eig­nis­se“, sagt die 1960 in Mün­chen ge­bo­re­ne Künst­le­rin, „son­dern woll­te viel­mehr dar­stel­len, wie die Pro­tes­te me­di­al trans­por­tiert und wie sie bei den Nach­barn, Be­ob­ach­tern und Pro­tes­tie­ren­den emo­tio­nal wahr­ge­nom­men wur­den. Über die­sen Kon­text näm­lich war in den Nach­rich­ten und Ta­ges­zei­tun­gen nichts zu er­fah­ren.“

Was hat das al­les mit Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie zu tun? Sehr viel, meint Ger­schner. „Ar­chi­tek­tur ist die ge­bau­te Welt, in der wir uns be­we­gen. Und wenn der tür­ki­sche Mi­nis­ter­prä­si­dent im Is­tan­bu­ler Tar­la­başi-Vier­tel die dort an­säs­si­gen Sin­ti, Ro­ma und Kur­den ver­trei­ben will, in­dem er es gen­tri­fi­ziert und dort spe­ku­la­ti­ve Bü­ro­bau­ten und Shop­ping­cen­ter er­rich­tet, dann ist das ein ganz grund­le­gen­der An­griff auf die so­zia­len Struk­tu­ren der Mar­gi­na­li­sier­ten, aber auch auf die Stadt, auf die Ar­chi­tek­tur, die uns al­len ge­hört.“

Ge­nau die­ser kri­ti­sche, nicht im­mer nur schö­ne Blick ist der An­triebs­mo­tor des Eu­ro­päi­schen Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie­prei­ses, der seit 1995 al­le zwei Jah­re ver­lie­hen wird. Der vom Ver­ein Ar­chi­tek­tur­bild und vom Deut­schen Ar­chi­tek­turm­useum (DAM) aus­ge­lob­te Preis ist „ei­ne Er­gän­zung zur klas­si­schen Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie, die das Bau­werk im be­sten Licht dar­stellt, die die Um­ge­bung ig­no­riert und die meist auch die Men­schen aus­blen­det“, er­klärt Ver­eins­vor­sit­zen­de Si­mo­ne Hü­be­ner. „Wir wol­len mit un­se­rem Preis die künst­le­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Ge­bau­ten för­dern.“

Vor al­lem das heu­er aus­ge­schrie­be­ne The­ma „Nach­bar­schaft“, ei­ne in­tel­lek­tu­el­le Fund­gru­be an In­ter­pre­ta­tio­nen, sei gut an­ge­nom­men wor­den. Ins­ge­samt gab es mehr als 260 Ein­rei­chun­gen aus 14 Län­dern. Die 28 be­sten, die von ei­ner Ju­ry aus­ge­wählt wur­den, da­run­ter auch der mit 4000 Eu­ro do­tier­te Haupt­preis, sind nun in Form ei­ner Buch­pu­bli­ka­ti­on so­wie im Rah­men ei­ner Aus­stel­lung im DAM zu se­hen.

„Der Pro­test ist ein es­sen­ziel­ler Be­stand­teil je­der Ge­sell­schaft“, sagt Pe­tra Ger­schner, die mit ih­rer Ar­beit Ge­zi ge­gen Gen­tri­fi­zie­rung die Nach­bar­schaft als ei­nen so­zia­len, nicht zu­letzt po­li­ti­schen Zu­sam­men­halt dar­ge­stellt hat. „We­der der Acht-Stun­den-Ar­beits­tag noch das Frau­en­wahl­recht noch das Recht auf Bil­dung und ge­sund­heit­li­che Ver­sor­gung hät­ten sich oh­ne Pro­test durch­ge­setzt. Noch nie in der Ge­schich­te wur­de dem Men­schen die De­mo­kra­tie ge­schenkt. Im­mer hat er sie sich erst er­kämp­fen müs­sen.“

Ge­zi ge­gen Gen­tri­fi­zie­rung ist ein Auf­ruf zur Ref­le­xi­on. Ger­schner: „Bil­der sind im­mer auch Tei­le von kol­lek­ti­ver Er­in­ne­rung. Wenn sie öf­fent­lich wer­den, tra­gen sie da­zu bei, das Er­eig­nis zu stüt­zen und den da­mit er­reich­ten ge­sell­schaft­li­chen Wan­del zu do­ku­men­tie­ren.“
[ Eu­ro­päi­scher Ar­chi­tek­tur­fo­to­gra­fie­preis 2015 im Deut­schen Ar­chi­tek­turm­useum (DAM) in Frank­furt am Main. Zu se­hen bis 9. Au­gust. Zur Aus­stel­lung ist ein Ka­ta­log er­schie­nen. 128 Sei­ten / € 24,80. www.dam-on­li­ne.de ]

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