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Die unheilbare Hauskrankheit
Spectrum

Von den Lebensentwürfen der Nachkriegsfamilie bis hin zum regionalistischen Barock der Gegenwart: Österreichs „Häuslbauer“ stehen im Mittelpunkt einer Ausstellung im Architekturzentrum Wien. Kritische Anmerkungen zu einem Phänomen und seiner Präsentation.

13. Juni 1998 - Christian Kühn
Architektur ohne Architekten: dieses Thema hat die Moderne immer schon fasziniert. In ihren Anfängen, als sich die moderne Architektur vom akademischen Geist und seinen Stilen lösen wollte, galten die Ingenieure und ihr formal unbelasteter Funktionalismus als vorbildlich. Später, nachdem der Funktionalismus in den sechziger Jahren definitiv in die Krise gekommen war, war es die anonyme Architektur, an deren Produkten man den verlorenen Zusammenhang von geistiger und materieller Welt neu zu erlernen hoffte. Die Häuser der Primitiven oder das bäuerliche Wohn- und Wirtschaftsensemble der alpinen Tradition wurden zu Leitbildern eines besseren Lebens.

Das Häuslbauerhaus, obwohl ebenfalls ohne Architekt erbaut, erschien vor diesem Hintergrund nur als Symptom einer kranken Gesellschaft, als Ausdruck der freiwilligen Unterwerfung von Lebensentwürfen unter die Regie der Leistungsgesellschaft. In diesen stereotypen Gebäuden konnte sich das beschädigte Leben ungebremst in Szene setzen. Wenn die Häuslbauer ins Blickfeld der Architekten und Raumplaner gerieten, dann folgerichtig als Objekte reformatorischer Belehrung zum Besseren: Verschont die Landschaftsräume von ausufernder Bebauung, baut dichtere Siedlungen, verzichtet auf die Gartenzwerge und baut regionalistisch (aber bitte im Sinn eines kritischen Regionalismus)!

An der Liebe der Österreicher zum Einfamilienhaus hat all das nichts geändert. Nach einer Studie der Bausparkassen aus dem Jahr 1997 ist das Einfamilienhaus für 73 Prozent der Wohnraumsuchenden „die grundsätzlich beste Art des Wohnens“. Und der Traum geht offenbar in Erfüllung: Gab es 1971 nur 578.000 Einfamilienhäuser in Österreich, waren es 1991 bereits 967.000. Der Häuslbauer bedient sich dabei immer öfter des industriell vorgefertigten Hauses: Der Marktanteil der Fertighäuser steigt stetig und liegt derzeit bei 28 Prozent.

Das Architekturzentrum Wien hat sich dieses Themas bereits im vergangenen Jahr angenommen, mit einer Ausstellung über Standardhäuser, in der die Standardisierungsideen der Moderne dem realen Fertighaus der neunziger Jahre gegenübergestellt wurden - eine ernüchternde Bilanz. Nun ist im AZW der zweite Teil der Ausstellung zu besuchen, der sich allgemein mit den Häuslbauern befaßt. Grundlage der Ausstellung ist ein noch in den achtziger Jahren unter der Federführung von Dietmar Steiner, dem Leiter des AZW, begonnenes Forschungsprojekt über „Architektonische und soziokulturelle Leitbilder von Eigenheimen der Nachkriegszeit“.

Dietmar Steiner ist bekanntlich ein ungebremster Postmoderner. Für den missionarischen Eifer der Raumplaner und Architekten gegen die Zersiedlung hat er nur milden Spott übrig. „Seit den sechziger Jahren“, so heißt es im Katalog, „mahlen die Gebetsmühlen der Architekten und Raumplaner die Apokalypse der Zersiedelung und Landschaftszerstörung, des Flächenfraßes, der Bodenversiegelung, des Mobilitätskollaps.“

Die Wirklichkeit sieht nach Steiner anders aus: noch immer gebe es genug Landschaft, genug Flächen, Mobilität sei genug vorhanden. Der Wunsch nach einem Einfamilienhaus sollte daher endlich als „eine nicht veränderbare mehrheitsfähige Konstante“ akzeptiert werden. Schließlich habe sich verdichtetes Siedeln längst als Ersatzhandlung für eine kleine Zielgruppe erwiesen. Vielleicht sei das Einfamilienhaus doch das richtige Modell für ein Leben im dispersen „urban sprawl“, der über kurz oder lang auch Europa überziehen werde.

Ein großräumiger Landschaftspark mit Einfamilienhäusern auf minimalen Grundstücken im Umkreis von 100 Kilometern um jedes Nebenzentrum, angereichert mit Themensiedlungen und touristisch optimierten Nutzflächen im weiteren Umkreis - das sei die Vision für die Jahrtausendwende. Disneyfizierung und Landschaftspflege würden schließlich zur totalen Urbanisierung führen.

Die Ausstellung will das Phänomen des Häuslbauens als Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte darstellen, unter bewußter Ausklammerung architekturtheoretischer Positionen, deren Instrumente für ein Verständnis völlig untauglich seien.

Das Bauen als Festigung von Identität, als oftmals skurriler, aber letztlich liebenswerter Lebenssinn - das soll der Besucher vornehmlich vermittelt bekommen. Da gibt es eine Pyramide aus Einfamilienhausmodellen, von einem Beamten in jahrelanger Arbeit gebastelt: Träume einer besseren, vor allem übersichtlicheren Welt.

In einer Vitrine liegen Ausgaben von Wüstenrot-Zeitschriften, nach Jahrgängen von den fünfziger Jahren bis heute geordnet: komplette Lebensentwürfe für die Nachkriegsfamilie („Das Haus eines tapferen Herzens“ für den Heimkehrer) bis hin zum regionalistischen Barock. Der einfache, von den Siedlungshäusern der Zwischenkriegszeit beeinflußte Grundriß mit nutzungsneutralen Räumen wird immer funktionalistischer und hängt sich schließlich ein alpinens Mäntelchen um.

Mit steigendem Einkommen finden sich im Lauf der Zeit in der Zeitschrift auch „Architektenhäuser“ und zuletzt immer mehr Fertighäuser, schließlich ist die Industrie ein wichtiger Inserent. Die immer wieder in Umfragen ermittelten Geschmacksvorlieben der Häuslbauer dürften zu einem guten Teil selbst erzeugt sein: Die Auflage des „Wüstenrot Heims“ geht in die Hunderttausende, und wer als Sparer jahrelang mit den entsprechenden Bildern versorgt wurde, weiß schließlich, was er zu wollen hat. Nur sein zweites materielles Lebensziel, das Auto, mag er dann doch wieder modern.

Gezeigt wird auch ein Computerprogramm zur Planung des individuellen Hausgrundrisses, wie es heute beispielsweise Lagerhäuser anbieten. 1,2 Millionen Variationen, Planung gratis, wenn das Material beim Anbieter gekauft wird. Schon immer hat der Häuslbauer den Plan lieber um ein paar hundert Schilling im Pfusch beim Ingenieur gekauft als beim Architekten - es sollte ja sein Haus werden. Der entpersonalisierte Plan aus der Maschine mit abgeglichener Materialliste ist der endgültige Sieg der Bau- und Bauteilindustrie über die Spezies der Planer.

Die Epochen, in die laut Steiner die Häuslbauer-Geschichte seit 1945 zerfällt, werden in der Ausstellung in fünf Kojen vorgestellt. Nach den spartanischen Fünzigern die Phase der „Mobilität von Caorle nach Amerika“; der Ölschock und der „Eternit-Hut“ der siebziger Jahre; zeitgleich das Erwachen eines Traditionsbewußtseins, das sich in der darauffolgenden Phase der achtziger Jahre im Touristischen erschöpft; schließlich in den neunziger Jahren das Haus als „Ware in einer künstlichen Landschaft“. In der letzten Koje werden wir mit der oben skizzierten Entwicklung bekanntgemacht: Themensiedlungen, Disney und Landschaftspflege.

In dieser Zeitreihe finden sich auch Interviews mit Häuslbauern, die großteils während einer „Heimreise“ aufgenommen wurden, einer Aktion, die von Steiner quasi als Ausweg aus einer Sackgasse des Forschungsprojekts erklärt wird. Wie kommt man direkt an ein Untersuchungsphänomen heran, das sich aus der Distanz nie so recht fassen lassen will?

Eine fünftägige Busreise, an der Architekten, Journalisten und Kritiker teilnahmen, führte durch Häuslbauer-Landschaften von Niederösterreich bis Vorarlberg. Im Katalog sind Ausschnitte aus den Gesprächen mit Bauherren abgedruckt, aus denen deutlich wird, daß die Selbstbestätigung durch eigene Leistung dem Häuslbauer wichtiger ist als die Qualität des Produkts.

Hier werden auch die pathologischen Seiten des Häuslbauens deutlich: die Belastung der Familien durch die „Hauskrankheit“; die wahren Kosten des Häuslbauens, das eine teure Wohnform ist und de facto einen Doppelverdienerhaushalt voraussetzt, wenn nicht ein Großteil der Einkünfte ins Bauen fließen soll; die Folgen der Zersiedelung, die kein primär ästhetisches Problem ist, sondern ein ökologisches und kulturelles.

In der Ausstellung verschwinden diese Aspekte hinter einer scheinbar neutralen, an den Oberflächen der Gebäude und Personen verbleibenden Zugangsweise. Der Gag, eine zwangsläufige Entwicklung einer Baukultur in Richtung Disneyland zu illustrieren, trägt das Unternehmen jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Genau aus dieser Intention bleiben Aspekte ausgeblendet, die zum Verständnis der Entwicklungsoptionen wichtig wären. Warum fehlt in der Ausstellung die Vorarlberger Architekturlandschaft, wo tatsächlich Strategien gefunden wurden, um das Auseinanderfallen von Architekturkultur und Häuslbauerkultur aufzuhalten?

Gerade am Beispiel Vorarlbergs hätte sich zeigen lassen, daß architektonische Beiträge zu einer höchst ökonomischen Bauweise existieren und auch angenommen werden. Am Beispiel Vorarlbergs hätte sich auch einiges über Energiepolitik im Bauwesen sagen lassen - aber das hätte wohl nicht in die postmoderne Doktrin gepaßt, daß sich große Systeme längst nicht mehr gestalten ließen. Ausgeblendet bleibt auch der Einfluß zwischen Architektur und Häuslbauen, der ja in beide Richtungen zu finden wäre.

So bleibt unklar, was das eigentliche Ziel der Ausstellung ist. Die Vision einer Marginalisierung der Architektur im zukünftigen Disneyland Österreich ist ein Szenario, an dem zynische Gemüter Gefallen finden werden. Es ist aber sicher keines, zu dem es nicht eine Alternative gäbe.

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