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Ein Garten als politisches Manifest
Ein Garten als politisches Manifest, Foto: Udo Weilacher
Ein Garten als politisches Manifest, Foto: The Garden Picture Library Unit 30, Ransom's Dock
Ein Garten als politisches Manifest, Foto: The Garden Picture Library Unit 30, Ransom's Dock
Ein Garten als politisches Manifest, Foto: Udo Weilacher
1. Januar 1999 - Udo Weilacher
In der kargen Moorlandschaft nahe den Pentland Hills in den schottischen Lowlands begann vor 33 Jahren die Geschichte eines kleinen Parks, der mittlerweile zu den Klassikern zeitgenössischer Gartengestaltung zählt. An der Entstehung dieses Gesamtkunstwerkes war weder ein genialer Gartenkünstler noch ein Landschaftsarchitekt beteiligt. Der Poet und Künstler Ian Hamilton Finlay, geboren 1925 und vor mehr als 30 Jahren bereits als Vertreter der konkreten Poesie international bekannt, zog 1966 mit Frau und Kind in das verlassene und verfallene Farmhaus von Stonypath. Nahezu mittellos und völlig unerfahren in der Gartengestaltung, aber beseelt von einer Vision, verwandelte er mit primitiven Mitteln das verwilderte, mehr als anderthalb Hektaren grosse Anwesen in einen Dichtergarten. Finlays Liebe zur konkreten Poesie verlangte mehr als einen Nutzgarten zur Versorgung der jungen Familie. Er begann deshalb damit, Artefakte im Garten zu placieren. Wer heute «Little Sparta» besucht, folgt dem holprigen Feldweg durch die Schafweiden, muss drei Gatter überwinden und gelangt in ein paradiesisch anmutendes Gartenreich mit einer fein abgestimmten Komposition aus Bäumen, Sträuchern, Blütenstauden und Kunstwerken.

Genau wie in den frühen Englischen Landschaftsgärten der Dichter, Philosophen und Politiker des 18. Jahrhunderts ist auch in Finlays «Little Sparta» die Auswahl und Setzung der Skulpturen nicht dem Zufall überlassen, sondern verweist auf ein weltanschauliches Programm gegen die totale Säkularisierung unserer Kultur.

Die Erkundung der vielfältig gestalteten Gartenräume mit klingenden Namen wie «Roman Garden», «Epicurean Garden» oder «Julie's Garden» ist wie ein Streifzug durch die Sagenwelt des klassischen Altertums, angereichert mit Relikten der gesamten europäischen Kulturgeschichte. Im Baumhain stösst man auf Säulenfragmente und Pyramiden, Steine tragen eingravierte Sinnsprüche, Büsten von Epikur und Hypnos schaffen geweihte Orte, und der ehemals profane Geräteschuppen hat sich in einen Gartentempel des Apollon verwandelt. In Finlays Kampf gegen die Oberflächlichkeit der heutigen Zeit hat sein Garten neoklassizistische Züge angenommen. Der Rückbesinnung auf klassische Traditionen und Werte liegt die Überzeugung zugrunde, dass der Mensch im Interesse der kulturellen Weiterentwicklung jederzeit volle Verantwortung für sein Tun tragen muss und sich nicht willenlos der aktuellen Tendenz zur politischen, ökologischen und sozialen «Correctness» fügen darf. Finlay scheut keine Auseinandersetzung, wenn es gilt, diese Überzeugung zu verteidigen. Als sein Gartentempel 1983 als Wirtschaftsgebäude besteuert werden sollte, begann ein aufsehenerregender Kampf gegen die Finanzbehörde. Das «Monument to the First Battle of Little Sparta» zeugt vom unerschütterlichen Willen, säkularen Mächten die Stirn zu bieten.

In seiner Kunst schöpft der streitbare Poet besonders aus der Französischen Revolution, die er als perfektes Beispiel für die Dialektik zwischen Kultur und Natur betrachtet. Mit den in Stein gehauenen Gedichten, Sinnsprüchen und Zitaten legt Finlay eine eigene Bedeutungsschicht in Landschaft und Garten und provoziert beim Betrachter vielfältige Assoziationen und Interpretationen. So liess er beispielsweise ein Zitat des französischen Revolutionärs Louis-Antoine Saint-Just Wort für Wort in einzelne Steinblöcke hauen: THE PRESENT ORDER IS THE DISORDER OF THE FUTURE. SAINT-JUST. Wer in der Lage wäre, die Steine zu vertauschen, könnte das Zitat und seine Bedeutung ständig verändern. Im Sinne eines offenen Kunstwerks gibt dieses Spiel dem Betrachter die Gelegenheit, die Perspektive zu wechseln, neue Bedeutungen zu erfahren, «Revolution» zu begreifen. Die konventionellen Standpunkte zeitgenössischen Denkens verlieren plötzlich an Stabilität.

Finlay hält jedoch nichts von intellektueller Indoktrination und zwingt dem Besucher die Auseinandersetzung mit seinen Arbeiten nicht auf. Wer Rat braucht, dem erläutert er geduldig, was es mit der einen oder anderen scheinbar rätselhaften Inschrift im Garten auf sich hat. Dem sehr zurückgezogen lebenden Poeten macht es aber ebenso viel Freude, wenn sich die Besucher einfach nur von der Blütenpracht begeistern lassen.

Die kriegerische Symbolik, auf die man in Finlays Gartenreich trifft, verstört manchen unvorbereiteten Gast und ist nicht unumstritten. Sie versinnbildlicht mit scharfem Witz die zeitgenössische Interpretation Arkadiens: Eine kleine Flugzeugträger-Skulptur, eine Art aktuelle Übersetzung der römischen Galeere im Garten der Villa d'Este in Tivoli, ruft Erinnerungen an die Kriegsschauplätze dieser Welt wach und dient als Futterplatz für Vögel. Der «Panzerleader» kriecht aus dem Blumenbeet hervor und ist doch nur eine harmlose Schildkröte aus Bronze, die naturgemäss ihren Panzer mit sich führt. Finlay erinnert daran, dass die arkadisch anmutende Kulturlandschaft ein Resultat des ewigen Kampfes zwischen Mensch und Natur, des dauernden Krieges der Menschen gegeneinander ist.

Diese in seinen Augen notwendige gewaltsame Komponente kultureller Entwicklung will Finlay nicht tabuisieren. Er zielt in die Problemzonen einer Gesellschaft, die alles Gewalttätige gerne verdrängen und vergessen möchte. Verständlicherweise stösst diese Art der offenen Kritik auch auf Ablehnung, weil sie das bürgerliche Weltbild zu erschüttern droht, und so kann Finlay von manchem Disput berichten, aus dem er nicht immer als Sieger hervorging.

Finlays Garten hat wie sein gesamtes künstlerisches Werk in aller Welt heftige Kritiker und begeisterte Bewunderer gefunden. «Little Sparta» ist weder ein modischer Skulpturenpark noch eine naiv-skurrile Eremitage. Hier wurde ein Stück Landschaft gärtnerisch kultiviert und zugleich durch minimale poetisch-skulpturale Interventionen in einen sinnlichen und bedeutungsvollen Ort verwandelt, der die kulturell geprägte Wahrnehmung des Betrachters beeinflusst. Dem Garten liegt eine präzise inhaltliche Konzeption zugrunde, und darin unterscheidet er sich von mancher aktuellen Garten- und Landschaftsgestaltung, die sich nur auf Zweckdenken oder formale Geschwätzigkeit stützt.

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