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Form folgt Fahr­en­heit
Der Standard

Der Pa­ri­ser Ar­chi­tekt Phi­lip­pe Rahm baut flie­gen­de Ba­de­wan­nen und Gär­ten als Hight­ech-La­bor. Da­bei kon­zen­triert er sich auf un­sicht­ba­re ther­mi­sche, kli­ma­ti­sche Phä­no­me­ne. Sein wich­tigs­ter Bau­stoff: Luft.

28. November 2015 - Wojciech Czaja
Kal­te Luft fällt zu Bo­den, war­me Luft steigt auf, das weiß je­des Kind“, sagt Phi­lip­pe Rahm. „Und den­noch bau­en wir heut­zu­ta­ge so, als wüss­ten wir über das phy­si­ka­li­sche Ein­mal­eins, das uns im täg­li­chen Le­ben um­gibt, nicht das Ge­ring­ste.“ Das kli­mal­ose Bau­en, wie er es aus­drückt, ist dem Pa­ri­ser Ar­chi­tek­ten zu we­nig. Die Form sei­ner Bau­ten und Land­schafts­pro­jek­te folgt näm­lich nicht nur der viel­zi­tier­ten Funk­ti­on, son­dern in er­ster Li­nie kli­ma­ti­schen Ge­ge­ben­hei­ten wie Tem­pe­ra­tur, Luft­feuch­tig­keit, Luft­druck, Wind und Kon­vek­ti­on. Da kann es schon ein­mal pas­sie­ren, dass die Ba­de­wan­ne knapp un­term Pla­fond pickt.

So ge­sche­hen in Ly­on, Quai Per­ra­che, nur ein paar Schrit­te vom Bahn­hof ent­fernt. Für ein jun­ges Ärz­te­paar bau­te Rahm 2011 ein vier Me­ter ho­hes Fa­brik­loft aus, be­stück­te es mit „Räu­men“ (wo­bei die­ser Be­griff in sei­nen Pro­jek­ten ei­ner neu­en De­fi­ni­ti­on un­ter­zo­gen wer­den muss), ar­ran­gier­te da­rin un­ter­schied­li­che Funk­tio­nen wie et­wa Woh­nen, Ko­chen, Es­sen, Le­sen, Schla­fen, Du­schen und Ba­den und ver­band die­se Räu­me schließ­lich mit den nö­ti­gen We­gen in Form von Stie­gen, Lei­tern und schwe­ben­den Platt­for­men.

Fürs Schla­fen, so Rahm, emp­feh­le sich küh­le, tro­cke­ne Luft – al­so run­ter, weit weg vom Ba­de­zim­mer. In der Bi­blio­thek sol­le es an­ge­nehm warm und auf­grund der ge­hor­te­ten Bü­cher eben­falls sehr tro­cken sein – al­so rauf, noch wei­ter weg von den Sa­ni­tär­räu­men. Wenn man in der Ba­de­wan­ne sitzt, brau­che man, da­mit der Kopf nicht ab­kühlt, mög­lichst war­me Luft rund­he­rum – al­so rauf bis an die De­cke da­mit. Und in der Du­sche sol­le es nicht nur warm, son­dern auch feucht sein, mö­ge sich die Luft­feuch­tig­keit um den nack­ten, nas­sen Kör­per schmie­gen – al­so be­sten­falls di­rekt über dem Herd, wo beim Ko­chen so­dann mul­ti­funk­tio­na­le Koch­dämp­fe zum Du­schen­den em­por­stei­gen.

„Wir be­rück­sich­ti­gen beim Pla­nen so vie­le un­ter­schied­li­che Pa­ra­me­ter, von Sta­tik und Ma­te­ri­al­qua­li­tät über Sa­ni­tär- und Elek­tro­tech­nik bis hin zu Brands­chutz, Erd­be­ben­schutz und un­zäh­li­gen bau­recht­li­chen An­for­de­run­gen“, sagt der 48-jäh­ri­ge Ar­chi­tekt, der an der Gra­dua­te School of De­sign in Har­vard un­ter­rich­tet. „Aber bei der Ther­mik setzt un­ser Plan­sinn ein­fach aus. Dann ord­nen wir die Funk­tio­nen so, dass sich das ge­sam­te Le­ben im Be­reich von 40 Zen­ti­me­tern bis 1,80 Me­ter über dem Fuß­bo­den ab­spielt. Den kli­ma­tisch wert­vol­len Raum da­run­ter und da­rü­ber las­sen wir un­be­rück­sich­tigt.“

Je­des ein­zel­ne sei­ner Pro­jek­te wird kom­pli­zier­ten Rech­nun­gen und Si­mu­la­tio­nen un­ter­zo­gen. Am En­de, so der Plan, pro­fi­tiert man mit heiz­tech­nisch ef­fi­zien­ten Wohn- und Ar­beits­räu­men, die – an­statt da­ge­gen – mit dem Kli­ma ar­bei­ten und die ge­sam­te Pa­let­te der Wohl­fühl­zu­stän­de ab­de­cken – wenn man denn auch be­reit ist, wie der Lyo­ner Arzt auf Tü­ren und Wän­de zu ver­zich­ten und, statt auf Par­kett­bo­den zu wan­deln, über Git­ter­ro­ste und Lei­ter­spros­sen zu ba­lan­cie­ren.

Ge­baut hat Rahm, der sich selbst als Hy­brid aus Ar­chi­tekt, In­ge­ni­eur und Wis­sen­schaf­ter be­zeich­net, bis­lang nur we­nig. Sein Fo­kus rich­te­te sich stets auf das Künst­le­ri­sche, auf das Theo­re­ti­sche, auf das Me­te­or­olo­gi­sche. Bis er 2011 den in­ter­na­tio­na­len Wett­be­werb für die Er­rich­tung des Ja­de Eco Park in Tai­chung ge­won­nen hat. Mit dem sie­ben Hek­tar gro­ßen Park will sich die Drei-Mil­lio­nen-Ein­woh­ner-Me­trop­ole an der West­küs­te Tai­wans ein tech­ni­sches Denk­mal set­zen.

„Die Luft in Tai­chung ist ex­trem feucht und sti­ckig“, sagt Rahm. „Ge­ra­de im Som­mer ha­ben ei­ni­ge Parks und grö­ße­re Frei­flä­chen feind­li­che Be­din­gun­gen, die den Auf­ent­halt an der fri­schen Luft un­an­ge­nehm und schwie­rig ma­chen.“ Das liegt nicht nur am Smog und am sub­tro­pi­schen Kli­ma, son­dern auch am lo­ka­len Heiz­kraft­werk, das mit 37 Mil­lio­nen Ton­nen pro Jahr den welt­weit größ­ten Koh­len­di­oxid­aus­stoß sei­ner Art hat.

Im Ja­de Eco Park, des­sen Bau An­fang 2014 be­gon­nen hat und der näch­stes Jahr in Be­trieb ge­nom­men wird, soll die Luft mit­tels tech­ni­scher und na­tür­li­cher Maß­nah­men et­was wirt­li­cher ge­macht wer­den. Orien­tie­rungs­punkt für die er­rech­ne­te, er­sehn­te Luft­qua­li­tät ist die kli­ma­tisch ge­mä­ßig­te und dünn be­sie­del­te Ost­küs­te Tai­wans. Da macht es nichts, wenn die punk­tu­el­le Sym­ptom­be­hand­lung der Be­he­bung der ei­gent­li­chen Ur­sa­chen vor­ge­zo­gen wird. Da macht es auch nichts, dass Rahm im Auf­trag der Stadt kur­zer­hand zum De­us ex Ma­chi­na mu­tiert.

Das Ba­tail­lon an Ma­schi­nen um­fasst Was­ser­zers­täu­ber, die für Ver­duns­tungs­käl­te sor­gen, künst­li­che an­ge­leg­te Ver­duns­tungs­be­cken ent­lang der We­ge so­wie ei­ne Viel­zahl von Feuch­tig­keits­ab­sor­bern, die die sol­che­rart an­ge­rei­cher­te Luft so­dann wie­der tro­cken ma­chen. Hin­zu kom­men ei­gens aus­ge­such­te Grä­ser, Sträu­cher und Bäu­me, die ims­tan­de sind, Feuch­tig­keit und Schmutz­par­ti­kel aus der Luft zu fil­tern.

Park mit Kli­maan­la­ge

Doch das ist noch lan­ge nicht al­les. Über künst­li­che Ne­bel­an­la­gen, über Was­ser­dü­sen, die quer über den Park ver­streut sind, so­wie über ab und zu un­ter­ir­disch in­stal­lier­te Küh­lan­la­gen – ei­ne Art um­ge­kehr­te Fuß­bo­den­hei­zung für Mut­ter Na­tur – wird nicht nur die un­mit­tel­ba­re Park­luft ge­kühlt, son­dern auch für ther­mi­schen Luft­aus­tausch zwi­schen den ein­zel­nen Hoch- und Tief­druck­in­seln ge­sorgt. Das Re­sul­tat ist ei­ne Art Wind im Wes­ten­ta­schen­for­mat.

Über fünf Me­ter ho­he Ge­gen­schall­lauts­pre­cher, die sich als mo­der­ne Skulp­tu­ren tar­nen, wird an ei­ni­gen Stel­len im Park der städ­ti­sche Um­ge­bungs­lärm neu­tra­li­siert. Hier soll man zur Ru­he kom­men. Doch die „Well-being-Oa­se“, wie der Park in Prä­sen­ta­ti­ons­fil­men Tai­chungs be­zeich­net wird, ist längst nicht für al­le da. Ul­tra­schall­lauts­pre­cher im Be­reich der Was­ser­flä­chen sol­len läs­ti­ge Mos­ki­tos und an­de­res Mü­cken­ge­tier fern­hal­ten.

Ist das un­se­re Zu­kunft? „Die­ses Pro­jekt ist ein Ex­pe­ri­ment“, sagt Phi­lip­pe Rahm. „Wir wol­len da­mit un­ter­su­chen, in­wie­fern man heu­te schon mit dem Bau­stoff Kli­ma bau­en kann. Viel­leicht ge­lingt uns da­mit ei­ne Art Syn­er­gie aus künst­li­chem und na­tür­li­chem Mi­kro­kli­ma. Wir wer­den se­hen, ob das Kon­zept auf­geht.“

Flie­gen­de Ba­de­wan­ne? Hight­ech-La­bor na­mens Gar­ten? Die Ar­chi­tek­tur hat die Macht des Kli­mas für sich ent­deckt. Ob dies ein Aus­blick auf die Zu­kunft un­se­rer Le­bens­raum­ge­stal­tung ist oder bloß ein kur­zes Aus­rei­zen der Mög­lich­kei­ten und Gren­zen, wird sich erst wei­sen.

Phi­lip­pe Rahm hielt kürz­lich ei­nen Vor­trag auf der Ex­po 2015 in Mai­land. Die Teil­nah­me an die­sem zwei­tä­gi­gen Cli­ma­tec­tu­re-Sym­po­si­um im Ös­ter­reich-Pa­vil­lon er­folg­te auf Ein­la­dung des In­sti­tuts für Ar­chi­tek­tur und Land­schaft, TU Graz.

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