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Ein neues altes Haus am Platz

Vor kurzem wurde der Wettbewerb „Wien-Museum neu“ entschieden. Damit gehen jahrelange Standortfragen und Denkmalschutz-Diskussionen zu Ende. Das Siegerprojekt von Čertov, Winkler+Ruck liefert erfreuliche Antworten.
5. Dezember 2015 - Maik Novotny, Wojciech Czaja
Der Karlsplatz, so das bekannte und noch gültige Bonmot von Otto Wagner, ist weniger ein Platz als eine Gegend. Ein Durcheinander von Wegen und Inseln, umstellt von baulichen Schwergewichten. Viele haben versucht, diese Gegend in den Griff zu bekommen. Geworden ist daraus eine Grabstätte ungebauter Ideen – auch jener von Otto Wagner selbst, der mit seinem Entwurf für ein neues Stadtmuseum 1902 der Lösung schon sehr nahe kam. Seinem Bau wäre es immerhin gelungen, der dominierenden Karlskirche keine Konkurrenz zu machen und trotzdem selbstbewusster Stadtbaustein zu sein. Keine leichte Aufgabe.
Dem jetzigen Wien-Museum von Oswald Haerdtl, eröffnet 1959, ist das nicht gelungen – trotz aller Fifties-Eleganz im Detail. Zu niedrig, zu unentschlossen, zu verhuscht gibt es sich nach außen, eher den Anschein des Verwaltungsbaus einer unglamourösen Gewerkschaft erweckend als den eines stolzen Museums. Georg Lipperts 1971 erbautes Winterthur-Haus, in unbeholfener Vermittlungsgeste wie ein langgezogener Kaugummi zwischen Kirche und Museum geklebt, machte die Sache auch nicht besser.
Die Aufgabe für die Architekten beim Wettbewerb „Wien-Museum neu“, der Anfang dieses Jahres ausgelobt wurde, war also nicht nur die Entwicklung neuer Räume für das beengte Museum, sondern auch ein Statement zum Haerdtl-Bau, zum Winterthur-Haus, zur Karlskirche, zur Gegend Karlsplatz. Die 274 weltweiten Einreichungen der ersten Runde und die daraus ausgewählten 14 Projekte für die zweite Runde zeigten dann auch die ganze Bandbreite: Viele rückten den Haerdtl-Bau in die zweite Reihe und stellten einen neuen Solitär auf den Karlsplatz, mal formverliebt überbordend, mal spielerisch, mal streng. Manche spiegelten die Platzkante des TU-Gebäudes, um die Karlskirche symmetrisch zu rahmen. Andere zerrten und zupften am Haerdtl-Bau herum oder machten ihn zu einer aufgepumpten XL-Version seiner selbst – eine Dopingspritze fürs Selbstbewusstsein. Die dritte Gruppe blieb mit dem Museumszubau ganz bescheiden im Untergrund und definierte die Erweiterung als Teil des Platzes.
Logische Aufstockung
Dass die Wahl der Jury um den Vorsitzenden Emanuel Christ (Basel) an diesem Ort nicht auf eine bombastische Guggenheim-Lösung fiel, die wild wedelnd vor der Karlskirche herumsteht, ist zu begrüßen. Mit dem Siegerprojekt der Kärntner Architekten Winkler+Ruck und des Grazer Architekten Ferdinand Čertov hat eine logisch und selbstverständlich wirkende Aufstockung des bestehenden Museums den Vorzug bekommen.
Die verglaste Fuge, in der der „Wien-Raum“ zu Hause sein wird, hält zum Haerdtl-Bau einen respektablen Abstand und verleiht ihm so mehr stadträumliche Substanz, ohne ihn dabei komplett zu verfremden. Vor den Bau setzten Čertov, Winkler+Ruck einen schmalen Torbau – halb Bauwerk, halb Pavillon – als einladendes Signal, dass es sich hier um ein Museum handelt. Ein Museum, für das die „Gegend“ Karlsplatz genau der richtige Ort ist und das an diesem Platz endlich angekommen ist und daran teilnehmen kann.
Ein neues altes Haus am Platz, 2. Teil
(Interview: Wojciech Czaja)
Den Bauten der österreichischen Nachkriegsmoderne mangelt es an Fröhlichkeit und Freude, sagt Architekt Roland Winkler von der ARGE Čertov, Winkler+Ruck. Beim Wien-Museum komme nun immerhin so etwas wie allegorischer Spaß ins Spiel.
Standard: Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny hat Sie bei der Pressekonferenz vor kurzem als junges Kärntner Team bezeichnet. Ist das ein Kompliment?
Winkler: Ich bin froh, dass er das getan hat, und froh, dass das nicht stimmt. Wir sind Mitglied der Gruppe „Junge Architektur Kärnten“. Die Gruppe haben wir vor 20 Jahren gegründet. Wir feiern gerade Jubiläum.
Standard: Ihr Entwurf ist eine sehr stille, behutsame Ergänzung zum Haerdtl-Bau. War dieser zurückhaltender Ansatz von Anfang an klar?
Winkler: In der Ausschreibung war es verboten, den Haerdtl-Bau aufzustocken. Wir haben es trotzdem gemacht, und zwar um zwei Geschoße bzw. um knapp zehn Meter, weil wir der Meinung sind, dass die Karlskirche damals – vielleicht war es vorauseilender Gehorsam – einen zu schwachen Nachbarn bekommen hat. In gewisser Weise hat der Bau jetzt jene Radikalität, die dem Karlsplatz bislang gefehlt hat.
Standard: Viele andere Büros haben auf die Pauke gehaut und ein auffälliges Denkmal à la Guggenheim vorgeschlagen.
Winkler: Und das haben wir zu Beginn auch! Da waren viele, auch sehr wilde Entwurfsstadien darunter. Doch die haben wir alle wieder fallengelassen. Denn wenn man beginnt, die Schwäche des Haerdtl-Baus auszugleichen, indem man ihm einen starken Bruder danebenstellt, dann erzeugt man damit womöglich einen Beleidigten, der es einem aus der zweiten Reihe heraus übelnehmen kann. Das wollten wir nicht. Wir haben den Haerdtl stark gemacht.
Standard: Ganz allgemein scheint es, dass der Bausubstanz aus den Nachkriegsjahren in Österreich wenig Liebe entgegengebracht wird. Das Wien-Museum ist da eine große Ausnahme. Woran liegt das?
Winkler: Es gibt diese ganz spezielle Qualität der 1959/60er, die wir heute so sehr lieben. Das ist das Bunte, Lustige, Frisch-Fröhliche. Das gibt es überall auf der Welt, nur nicht bei uns. Bei der Nachkriegsmoderne in Österreich schwingt etwas Trauriges, etwas Schmerzvolles mit. Nur wenige Bauten aus der Wiederaufbauzeit machen Spaß.
Standard: Kommt jetzt ein bisschen Spaß mit dem Wien-Museum neu?
Winkler: Na hoffentlich! Am stärksten wird sich das wohl an der Vorplatzgestaltung mit dem Entree, dem Kaffeehaus und den Sitzgelegenheiten vor dem Museum äußern. Mein persönlicher Favorit ist das verglaste Zwischengeschoß rund um den Wien-Raum, von dem aus man auf den Karlsplatz wird hinausschauen können. In allegorischem Sinne ist das eine ähnliche Raumfuge, wie sie der Karlsplatz für Wien ist.
Standard: Wie wird sich der Karlsplatz ab 2019/2020 mit dem Wien-Museum neu weiterentwickeln? Gibt es eine Zukunftsvision?
Winkler: Ich bin schon froh, wenn ich es schaffe, die nächsten fünf Jahre zu visionieren! Nein, ich habe keine Ahnung, wie sich der Karlsplatz weiterentwickeln wird. Diese Unvorhersehbarkeit ist meines Erachtens eine große Qualität dieses Ortes – noch nie wusste man im Vorhinein, was einem der Karlsplatz als Nächstes auftischt. Aber ich bin froh, dass wir mit unserem Projekt einen kleinen Beitrag zum Dialog mit ungewissem Ausgang liefern dürfen.
Dem jetzigen Wien-Museum von Oswald Haerdtl, eröffnet 1959, ist das nicht gelungen – trotz aller Fifties-Eleganz im Detail. Zu niedrig, zu unentschlossen, zu verhuscht gibt es sich nach außen, eher den Anschein des Verwaltungsbaus einer unglamourösen Gewerkschaft erweckend als den eines stolzen Museums. Georg Lipperts 1971 erbautes Winterthur-Haus, in unbeholfener Vermittlungsgeste wie ein langgezogener Kaugummi zwischen Kirche und Museum geklebt, machte die Sache auch nicht besser.
Die Aufgabe für die Architekten beim Wettbewerb „Wien-Museum neu“, der Anfang dieses Jahres ausgelobt wurde, war also nicht nur die Entwicklung neuer Räume für das beengte Museum, sondern auch ein Statement zum Haerdtl-Bau, zum Winterthur-Haus, zur Karlskirche, zur Gegend Karlsplatz. Die 274 weltweiten Einreichungen der ersten Runde und die daraus ausgewählten 14 Projekte für die zweite Runde zeigten dann auch die ganze Bandbreite: Viele rückten den Haerdtl-Bau in die zweite Reihe und stellten einen neuen Solitär auf den Karlsplatz, mal formverliebt überbordend, mal spielerisch, mal streng. Manche spiegelten die Platzkante des TU-Gebäudes, um die Karlskirche symmetrisch zu rahmen. Andere zerrten und zupften am Haerdtl-Bau herum oder machten ihn zu einer aufgepumpten XL-Version seiner selbst – eine Dopingspritze fürs Selbstbewusstsein. Die dritte Gruppe blieb mit dem Museumszubau ganz bescheiden im Untergrund und definierte die Erweiterung als Teil des Platzes.
Logische Aufstockung
Dass die Wahl der Jury um den Vorsitzenden Emanuel Christ (Basel) an diesem Ort nicht auf eine bombastische Guggenheim-Lösung fiel, die wild wedelnd vor der Karlskirche herumsteht, ist zu begrüßen. Mit dem Siegerprojekt der Kärntner Architekten Winkler+Ruck und des Grazer Architekten Ferdinand Čertov hat eine logisch und selbstverständlich wirkende Aufstockung des bestehenden Museums den Vorzug bekommen.
Die verglaste Fuge, in der der „Wien-Raum“ zu Hause sein wird, hält zum Haerdtl-Bau einen respektablen Abstand und verleiht ihm so mehr stadträumliche Substanz, ohne ihn dabei komplett zu verfremden. Vor den Bau setzten Čertov, Winkler+Ruck einen schmalen Torbau – halb Bauwerk, halb Pavillon – als einladendes Signal, dass es sich hier um ein Museum handelt. Ein Museum, für das die „Gegend“ Karlsplatz genau der richtige Ort ist und das an diesem Platz endlich angekommen ist und daran teilnehmen kann.
Ein neues altes Haus am Platz, 2. Teil
(Interview: Wojciech Czaja)
Den Bauten der österreichischen Nachkriegsmoderne mangelt es an Fröhlichkeit und Freude, sagt Architekt Roland Winkler von der ARGE Čertov, Winkler+Ruck. Beim Wien-Museum komme nun immerhin so etwas wie allegorischer Spaß ins Spiel.
Standard: Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny hat Sie bei der Pressekonferenz vor kurzem als junges Kärntner Team bezeichnet. Ist das ein Kompliment?
Winkler: Ich bin froh, dass er das getan hat, und froh, dass das nicht stimmt. Wir sind Mitglied der Gruppe „Junge Architektur Kärnten“. Die Gruppe haben wir vor 20 Jahren gegründet. Wir feiern gerade Jubiläum.
Standard: Ihr Entwurf ist eine sehr stille, behutsame Ergänzung zum Haerdtl-Bau. War dieser zurückhaltender Ansatz von Anfang an klar?
Winkler: In der Ausschreibung war es verboten, den Haerdtl-Bau aufzustocken. Wir haben es trotzdem gemacht, und zwar um zwei Geschoße bzw. um knapp zehn Meter, weil wir der Meinung sind, dass die Karlskirche damals – vielleicht war es vorauseilender Gehorsam – einen zu schwachen Nachbarn bekommen hat. In gewisser Weise hat der Bau jetzt jene Radikalität, die dem Karlsplatz bislang gefehlt hat.
Standard: Viele andere Büros haben auf die Pauke gehaut und ein auffälliges Denkmal à la Guggenheim vorgeschlagen.
Winkler: Und das haben wir zu Beginn auch! Da waren viele, auch sehr wilde Entwurfsstadien darunter. Doch die haben wir alle wieder fallengelassen. Denn wenn man beginnt, die Schwäche des Haerdtl-Baus auszugleichen, indem man ihm einen starken Bruder danebenstellt, dann erzeugt man damit womöglich einen Beleidigten, der es einem aus der zweiten Reihe heraus übelnehmen kann. Das wollten wir nicht. Wir haben den Haerdtl stark gemacht.
Standard: Ganz allgemein scheint es, dass der Bausubstanz aus den Nachkriegsjahren in Österreich wenig Liebe entgegengebracht wird. Das Wien-Museum ist da eine große Ausnahme. Woran liegt das?
Winkler: Es gibt diese ganz spezielle Qualität der 1959/60er, die wir heute so sehr lieben. Das ist das Bunte, Lustige, Frisch-Fröhliche. Das gibt es überall auf der Welt, nur nicht bei uns. Bei der Nachkriegsmoderne in Österreich schwingt etwas Trauriges, etwas Schmerzvolles mit. Nur wenige Bauten aus der Wiederaufbauzeit machen Spaß.
Standard: Kommt jetzt ein bisschen Spaß mit dem Wien-Museum neu?
Winkler: Na hoffentlich! Am stärksten wird sich das wohl an der Vorplatzgestaltung mit dem Entree, dem Kaffeehaus und den Sitzgelegenheiten vor dem Museum äußern. Mein persönlicher Favorit ist das verglaste Zwischengeschoß rund um den Wien-Raum, von dem aus man auf den Karlsplatz wird hinausschauen können. In allegorischem Sinne ist das eine ähnliche Raumfuge, wie sie der Karlsplatz für Wien ist.
Standard: Wie wird sich der Karlsplatz ab 2019/2020 mit dem Wien-Museum neu weiterentwickeln? Gibt es eine Zukunftsvision?
Winkler: Ich bin schon froh, wenn ich es schaffe, die nächsten fünf Jahre zu visionieren! Nein, ich habe keine Ahnung, wie sich der Karlsplatz weiterentwickeln wird. Diese Unvorhersehbarkeit ist meines Erachtens eine große Qualität dieses Ortes – noch nie wusste man im Vorhinein, was einem der Karlsplatz als Nächstes auftischt. Aber ich bin froh, dass wir mit unserem Projekt einen kleinen Beitrag zum Dialog mit ungewissem Ausgang liefern dürfen.
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