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Neue Zürcher Zeitung

Neue Bauten in der Saalestadt

Mit zwei sehr unterschiedlichen Gebäuden, der Georg-Friedrich-Händel-Halle von Braun, Schlockermann und Köhler und dem Juridicum von Thomas van den Valentyn und Gernot Schulz, hat die Stadt Halle in Sachsen-Anhalt an zwei Stellen ihres Stadtorganismus ein deutliches Zeichen für den städtebaulichen und architektonischen Aufbruch gesetzt.

5. Februar 1999 - Jürgen Tietz
Halle schmückt sich gerne mit seinem berühmten Sohn, dem Komponisten Johann Georg Friedrich Händel, der 1685 in der Saalestadt geboren wurde. Seit 1948 dient sein Geburtshaus als Händel-Museum. Neuerdings ziert sein Name noch ein weiteres Gebäude: die Georg-Friedrich- Händel-Halle von Braun, Schlockermann und Köhler (Frankfurt), die am Ostrand der historischen Altstadt am Mühlgraben entstanden ist. Sie ist Teil eines gewaltigen, 48 000 Quadratmeter grossen Areals, auf dem eine private Investorengemeinschaft, die HKO, Neubauten realisiert. Der dreieckige Glasbau der Händel-Halle schiebt sich selbstbewusst zwischen eine Wohnbebauung und die neue - ebenfalls glasdominierte - Hörfunkzentrale des Mitteldeutschen Rundfunks. Im Osten wird der neue Stadtbereich, für den es eines Investitionsvolumens von 350 Millionen Mark bedurfte, durch den massigen Bürokomplex der Stadtwerke abgeschlossen. Alle Bauteile rahmen den weiten, rückwärtig vom Mühlgraben begrenzten Salzgrafenplatz. Er bildet ein steinernes Forum, das als öffentlicher Raum einen optischen Zusammenhalt zwischen den umgebenden architektonischen Solitären schafft.

Konzertsaal aus Glas und Stein

Die Händel-Halle, Konzertsaal und multifunktionaler Veranstaltungsort in einem, präsentiert sich als ein modisch expressiver Bau aus Glas, Beton und Naturstein. Das unglücklich geschnittene, dreieckige Grundstück wurde konsequent genutzt. Hinter einem auskragenden Vordach, das auf schlanken Betonpfeilern ruht, schliesst sich das spitz zulaufende gläserne Foyer an. Seine Transparenz verschafft dem Bau Weite und verleiht ihm zugleich einen scharfkantigen Akzent. Im Inneren nimmt eine stählerne Treppe neben der Pausenbar das Thema des spitzen Winkels erneut auf. Von der Treppe aus weitet sich der Blick auf Salzgrafenplatz und Foyer. Diese effektvolle Promenade geht allerdings auf Kosten der Grosszügigkeit der gläsernen Ecksituation. Der grösste Teil des Foyers samt Infothek und Garderobe wurde dem eigentlichen Veranstaltungssaal untergeschoben. Von hier aus erfolgt auch die Erschliessung des kleinen Veranstaltungssaals für maximal 350 Besucher.

Der eigentliche Baukörper des Veranstaltungssaals hebt sich von aussen sichtbar ab. Durchgehend mit grünem Gneis aus der Schweiz verkleidet, akzentuieren drei markante faltenartige Zacken seine monolithische Fassade. Ihnen entsprechen im Innenraum die zur Bühne abfallenden Stränge der Sitzreihen. Die Gestaltung des weitgehend mit Holz ausgekleideten Konzertsaales, der maximal 1500 Besucher fassen kann, wird vor allem durch die Raumakustik bestimmt. Etwas zu aufdringlich präsentieren sich dabei die objekthaft herausgehobenen Kugelelemente der Lüftung, die den Bühnenraum seitlich flankieren, sowie die gezackten seitlichen Wandsegel, die als Reflektoren dienen. Hauptblickpunkt ist der monumentale Orgelprospekt. Bühnenbereich und Sitzreihen sind durch ihre Variabilität gekennzeichnet, müssen sie doch den Anforderungen gerecht werden, die Konzert, Musical oder Kongress an die Händel-Halle stellen.

Unterschiedliche urbanistische Situation

Trotz ihrer räumlichen Nähe zu Marktplatz, Dom und Moritzburg ist die Händel-Halle im Stadtgefüge noch isoliert. Bessern kann sich diese missliche Situation erst, wenn der MDR - voraussichtlich ab Februar 1999 - in Etappen den Sendebetrieb in seinem neuen Hörfunkgebäude aufnimmt. Noch vordringlicher wäre die weitere städtebauliche Anbindung der Händel-Halle an die historische Keimzelle Halles, den Hallmarkt. Nur eine gewaltige Baugrube erinnert derzeit an das ambitionierte Projekt eines Shopping-Centers, das «Händelforum», das nach der ursprünglichen Planung eines Ideenwettbewerbs von 1992 an die mit Graffiti «verzierte» Brandwand der Händel-Halle angrenzen sollte. Die fehlende Kaufkraft der Hallenser hat bisher seine Verwirklichung verhindert. Voraussichtlich im Frühjahr 1999 soll mit dem Bau eines Hotels und zweier weiterer Gebäude an dieser Stelle durch einen Investor begonnen werden. Es soll den Anschluss an das Zentrum Halles, das gleich jenseits des Hallorenrings angrenzt, gewähren.

Im Gegensatz zur neuen «Spitze» Halles ist das Juridicum von Thomas van den Valentyn und Gernot Schulz (Köln) eng in das umgebende historische Viertel der Martin-Luther-Universität eingebunden. Der 34 Millionen Mark teure Komplex setzt sich aus drei Baukörpern zusammen. Ein dreieckiges «Tortenstück» bindet den Neubau an das Ensemble des Universitätsplatzes an. Dahinter erhebt sich der glasdominierte Kubus der Bibliothek, dem sich nach Westen der terrassierte Baukörper für die juristischen Lehrstühle anschliesst und der gefühlvoll zwischen Bibliothek und umgebender Altstadtbebauung vermittelt. Während sich die helle Lochfassade am Universitätsplatz mit ihren senkrechten Fensterschlitzen eher unspektakulär gibt, schaffen van den Valentyn und Schulz im Inneren des Juridicums ein beeindruckendes Raumgefüge. Dank dem üppig verwendeten, durch hellen Jurakalkstein und warme Holztöne nobilitierten Sichtbeton ist schon das Foyer weit entfernt vom Charakter universitärer Verbrauchsarchitektur der siebziger Jahre.

Vorbei am Empfangstresen, gelangt man in das Allerheiligste des Juridicums: die Halle des Bibliothekskubus, die aus Glas, Beton und Holz besteht. Auf ihren terrassenartig abfallenden fünf Ebenen befinden sich Bücherregale. Die Arbeitsplätze der Studierenden sind an mächtigen Holztischen in den vorderen Bereichen der Terrassen placiert. Hinter einer stählernen Reling öffnet sich von den oberen Geschossen aus ein majestätischer Blick auf den Raum. Das Auge wandert entlang den schlanken Stützen weiter hinaus - bis über die Dächer von Halle.

Stilvolle Interieurs

Die strenge Eleganz der Bibliothek wandelt sich in den angrenzenden Arbeits- und Seminarräumen, in denen Sichtbeton vorherrscht. Konsequent reduziert ist auch hier das Farbkonzept. Statt des blauen (Teppich-)Bodens der Bibliothek findet sich hier dunkelrotes Linoleum. Der Strenge der Farb- und Materialauswahl entspricht die Wahl der Formen. Die Variationen von Kubus und Rechteck, aus denen sich der Bau zusammenfügt, werden nur bei dem annexartigen Tortenstück und dem halbrunden Prüfungszimmer durchbrochen. So stilvoll wie das übrige Gebäude erweist sich auch die kleine Cafeteria am Eingang. Die bis auf Schulterhöhe in tief dunklem Blau lackierten Holzpaneele und die langgestreckte hölzerne Gartenbank an der Rückwand schaffen eine fast existentialistische Atmosphäre.

Der einzige Missklang, der diesem architektonischen Bravourstück anhaftet, ist sein fragmentarischer Charakter. Bisher nicht verwirklicht wurde das angrenzende halbkreisförmige Auditorium, das den Universitätsplatz entsprechend dem Wettbewerbsentwurf von van den Valentyn und Schulz aus dem Jahr 1993 südlich abschliessen soll. Eine bedauerliche Entscheidung. Mit dem Kammermusiksaal in Bonn (1987/89) und zuletzt mit dem Musikgymnasium Schloss Belvedere bei Weimar (1996) oder der Berliner Adenauer Stiftung (1998) hat sich van den Valentyn als Architekt wirkungsvoller Auditorien erwiesen. Spannend wäre es, ihn zusammen mit Schulz vor der Herausforderung des grossen Auditoriums in Halle zu erleben. Das Juridicum jedenfalls legt nahe, dass er diese Aufgabe zu einem qualitätvollen Ergebnis führen würde.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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