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Baum­eis­ter mit Pen­ne und Pat­tex
Der Standard

Ar­chi­tek­tur ist kein Kin­der­spiel. Oder doch? Im­mer mehr In­sti­tu­tio­nen bie­ten ein hoch­wer­ti­ges Aus­bil­dungs- und Ver­mitt­lungs­pro­gramm für Kin­der und Ju­gend­li­che an.

13. Februar 2016 - Wojciech Czaja
Es geht um die Nu­del. Zsom­bor, Schü­ler, neun Jah­re alt, steckt und schraubt die Mac­che­ro­ni und Pen­ne zu ei­nem 60 Zen­ti­me­ter ho­hen Turm zu­sam­men. Die Ver­bin­dungs­kno­ten wer­den mit­tels Pat­tex-Heiß­kle­ber ver­klebt. Dia­go­na­le Ver­stre­bun­gen aus Spag­het­ti sol­len den Teig­wa­ren­wol­ken­krat­zer sta­bi­ler ma­chen. „Ja, so ha­ben wir das ge­lernt. Das sind die Druck- und das sind die Zugs­tä­be, und die Dia­go­na­len sor­gen da­für, dass das Gan­ze nicht wie ein Kar­ten­haus ein­knickt“, er­klärt Zsom­bor. „Aber mein Turm wird be­son­ders sta­bil wer­den. Wa­rum? Na, ganz ein­fach, weil ich in die Hohl­räu­me der Nu­deln über­all Heiß­kle­ber hin­ein­ge­be. So wird al­les noch fes­ter.“

60 Zen­ti­me­ter Bau­hö­he sind er­reicht. Der Kle­ber ist aus­ge­kühlt und ge­här­tet. Jetzt wer­den die Tür­me der an­ge­hen­den Baum­eis­te­rin­nen und Baum­eis­ter dem Be­la­stungs­test un­ter­zo­gen. Mit Te­tra­packs. Mit Sech­ser­packs Mi­ne­ral­was­ser. Mit rand­voll was­ser­ge­füll­ten Kü­beln. Schon nach we­ni­gen Ki­lo­gramm be­gin­nen sich die Nu­deln zu bie­gen, schon bald ist das er­ste Kna­cksen zu hö­ren. Die meis­ten Nu­del­hoch­häu­ser stür­zen bei 10 bis 15 Ki­lo­gramm ein. Zsom­bors Ver­bund­kons­truk­ti­on je­doch ent­lockt den an­de­ren Kin­dern im­mer wie­der ein stau­nen­des „Das gibt’s doch nicht!“, ehe der Turm bei ei­ner Be­la­stung von 29,5 Ki­lo­gramm schließ­lich kol­la­biert und zu sprö­den Split­tern zer­schellt.

„Im ak­tu­el­len Bil­dungs­sys­tem wird Wert auf Kunst und Mu­sik ge­legt, aber das Er­leb­nis der Raum­er­fah­rung und des bau­li­chen, ar­chi­tek­to­ni­schen For­schens und Ent­de­ckens bleibt in der Schu­le auf der Stre­cke“, sagt Mi­chae­la Sau­er, Lei­te­rin des kürz­lich ge­grün­de­ten Ar­chi­tek­turC­lubs Wien. „In un­se­ren Kur­sen wol­len wir die­ses Man­ko nach­ho­len und den Kin­dern und Ju­gend­li­chen ein ge­wis­ses Ge­spür für Raum und Stadt so­wie für die ge­bau­te Um­welt ver­mit­teln.“

Wie be­grei­fe ich den Raum?

Der Ar­chi­tek­turC­lub bie­tet Works­hops in Kin­der­gär­ten und Schu­len an, or­ga­ni­siert aber auch lau­fen­de Kur­se, Mu­se­ums­be­su­che und Stadt­spa­zier­gän­ge zu un­ter­schied­li­chen Schwer­punktt­he­men. Im Ge­gen­satz zum oh­ne­hin schon sehr dich­ten An­ge­bot an Bau­kul­tur­ver­mitt­lung in di­ver­sen In­sti­tu­tio­nen wie et­wa dem Ar­chi­tek­tur­zen­trum Wien (AZW), dem Haus der Ar­chi­tek­tur (HDA) in Graz oder dem aut in Inns­bruck, sol­len die Kin­der und Ju­gend­li­che hier nicht an ei­ner ein­ma­li­gen Ver­an­stal­tung teil­neh­men, son­dern ei­nen lang­fri­sti­gen, mal zehn­wö­chi­gen, mal se­mes­ter­lan­gen Kurs ab­sol­vie­ren. Im Fo­kus ste­he das lang­sa­me Ler­nen, der lang­fri­sti­ge Auf­bau ei­nes Raum­ver­ständ­nis­ses, so Sau­er.

„Mein Ziel ist es, die Kin­der und Ju­gend­li­chen so vor­zu­be­rei­ten, dass sie in der La­ge sind, mit Raum um­zu­ge­hen und ein Grund­ver­ständ­nis für den ei­ge­nen Le­bens­be­reich zu ent­wi­ckeln. Und wenn es nur da­rum geht, dass sie spä­ter ein­mal ih­re Wohn­vor­stel­lun­gen for­mu­lie­ren kön­nen und nicht nur das als gott­ge­ge­ben hin­neh­men, was ih­nen der Woh­nungs­markt vor­setzt.“

Ei­nen Schritt wei­ter als die der­zeit noch mo­bi­le In­sti­tu­ti­on des Ar­chi­tek­turC­lubs ist das so­ge­nann­te bil­ding in Inns­bruck. Die Ein­rich­tung, die in ei­nem ex­pe­ri­men­tel­len Holz­bau im Ra­pol­di­park ne­ben dem städ­ti­schen Hal­len­bad un­ter­ge­bracht ist, wur­de En­de 2014 ge­grün­det und um­fasst Kur­se und Works­hops im Be­reich Kunst und Ar­chi­tek­tur. Pro Wo­che neh­men rund 150 Schü­ler­in­nen und Schü­ler da­ran teil.

„Wir ar­bei­ten aus­schließ­lich mit Ar­chi­tek­tin­nen und Künst­lern so­wie Krea­ti­ven, die mit­ten im Be­rufs­le­ben ste­hen“, sagt bil­ding-Lei­te­rin Mo­ni­ka Abend­stein. Schon seit vie­len Jah­ren en­ga­giert sie sich für Ar­chi­tek­tur­ver­mitt­lung für Kin­der und Ju­gend­li­che. Mit dem bil­ding im Ra­pol­di­park ha­be das An­ge­bot nun end­lich ei­ne bau­li­che Ma­ni­fes­ta­ti­on ge­fun­den. „Es heißt im­mer, der Raum sei der drit­te Pä­da­go­ge, doch bei uns steht der Raum ab­so­lut im Vor­der­grund. Al­lein schon am bil­ding selbst, das mit Ar­chi­tek­turs­tu­den­ten ent­wi­ckelt und er­rich­tet wur­de, se­hen die Kin­der, was al­les mög­lich ist.“

Vi­si­on, Neu­gier, Kom­pe­tenz

Das Jah­res­bud­get be­läuft sich auf knapp 100.000 Eu­ro, wo­bei zwei Drit­tel da­von durch För­de­run­gen von Stadt, Land und Bund ab­ge­deckt wer­den. Bei den letz­ten 30 Pro­zent ist Abend­stein auf Spen­den und Spon­so­ren­gel­der an­ge­wie­sen. Die Kur­se selbst sind da­für kos­ten­los. Ge­heizt wird der tem­po­rä­re Pa­vil­lon üb­ri­gens mit­hil­fe des an­gren­zen­den Hal­len­bads. Das oh­ne­hin schon warm auf­be­rei­te­te Was­ser dient hier als ei­ne Art Mi­kro-Fern­wär­me­netz.

„Wir spre­chen im­mer von Vi­sio­nen, ver­ges­sen da­bei aber, dass es die Kin­der sind, die ei­nen ent­schei­den­den Bei­trag zu die­sen Vi­sio­nen leis­ten, denn ih­re Sicht­wei­se ist noch of­fen und vol­ler Neu­gier“, so Abend­stein, die einst selbst als Ar­chi­tek­tin tä­tig war. „Die­se Krea­ti­vi­tät und die­se Ge­stal­tungs­kraft gilt es zu för­dern. Am En­de des Ta­ges ha­ben wir es mit jun­gen Er­wachs­enen zu tun, die er­kannt ha­ben, dass sie ge­stal­ten kön­nen, dass sie ei­nen ge­wis­sen Mehr­wert leis­ten kön­nen, dass sie sich in Stadt­pla­nungs- und Bürg­er­be­tei­li­gungs­pro­zes­se kom­pe­tent ein­brin­gen kön­nen.“

Das The­ma der Ar­chi­tek­tur­ver­mitt­lung, ob in­ner- oder au­ßer­schu­lisch, hiel­ten die meis­ten für im­mens wich­tig, er­klärt Ba­ba­ra Fel­ler, Ob­frau der Ini­tia­ti­ve Bau­kul­tur­ver­mitt­lung für jun­ge Men­schen (bink). „In dem Mo­ment aber, wo es da­rum geht, die­se Ver­mitt­lung zu fi­nan­zie­ren und in die Rea­li­tät um­zu­set­zen, wird es schwie­rig. In An­be­tracht die­ser Um­stän­de sind die Ini­tia­ti­ven in Ös­ter­reich tip­top!“

Gro­ßes Vor­bild sind nach wie vor die skan­di­na­vi­schen Län­der. In Finn­land wur­de be­reits 1993 die Ark­ki School of Ar­chi­tec­tu­re for Chil­dren and Youth ge­grün­det. Die In­sti­tu­ti­on, die in Hel­sin­ki star­te­te und be­reits De­pen­dan­cen in Espoo und Van­taa so­wie Fran­chi­se-Ein­rich­tun­gen in At­hen und Thes­sa­lon­iki be­treibt, be­fin­det sich in ei­ner ehe­ma­li­gen Ka­bel­fa­brik am Ran­de der In­nens­tadt und ver­an­stal­tet rund 50 ver­schie­de­ne Kur­se mit mehr als 600 Schü­ler­in­nen und Schü­lern pro Wo­che.

„1993 gab es in Finn­land ei­nen Re­gie­rungs­be­schluss, der be­sag­te, dass künf­tig auch Kunst­spar­ten wie Zir­kus, Thea­ter und Ar­chi­tek­tur in den Schul­plan mit­ein­be­zo­gen wer­den müs­sen“, er­in­nert sich Ark­ki-Di­rekt­orin Pih­la Mes­ka­nen im Ge­spräch mit dem STAN­DARD. „Das war die Ge­burts­stun­de von Ark­ki. Und wis­sen Sie, was mich da­zu mo­ti­viert? Men­schen, die kei­ne Ah­nung von Ar­chi­tek­tur und Bau­kul­tur ha­ben, tref­fen in der Po­li­tik und Bau­wirt­schaft schwer­ge­wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen, die Kon­se­quen­zen auf das ge­sam­te Land und auf vie­le wei­te­re Ge­ne­ra­tio­nen ha­ben. Ich möch­te da­zu bei­tra­gen, die Ent­schei­der von mor­gen aus­zu­bil­den und zu sen­si­bi­li­sie­ren.“

Heu­te bau­en die Kids noch mit Pen­ne und Pat­tex, mit Zu­cker­wür­feln und Kek­sen, mit Le­gos­tei­nen und Kar­ton. Mor­gen schon mit Zie­gel, Stahl und Be­ton. Und viel­leicht mit et­was mehr Hirn und Herz.

Fast al­le in­sti­tu­tio­nel­len Ar­chi­tek­tur­häu­ser in Wien so­wie in den Bun­des­län­dern bie­ten Kur­se und Works­hops für Kin­der und Ju­gend­li­che an. Hin­zu kom­men di­ver­se Pri­vat­ini­tia­ti­ven, die meist mehr­wö­chi­ge Kur­se an­bie­ten.
Infos auf:
www.arc­lub.at
www.ar­chi­tek­tur-spiel-raum.at
www.at-s.at
www.bil­ding.at
www.bink.at
www.gat.st
www.was-schafft-raum.at
www.ark­ki.net

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