Artikel

„Ich baue Lee­re, ich baue Geo­gra­fie“
Der Standard

Die bei­den Irin­nen Yvon­ne Far­rell und Shel­ley McNa­ma­ra lei­ten seit 1978 das welt­weit tä­ti­ge Bü­ro Graf­ton Ar­chi­tects. Am Sams­tag hält Yvon­ne Far­rell ei­nen Vor­trag in Wien. Ein Ge­spräch über das Frau-Sein in ei­ner Män­ner­do­mä­ne.

5. März 2016 - Wojciech Czaja
Stan­dard: Wie oft pas­siert es Ih­nen, dass ein In­ter­view mit Frau­en­kli­schees und Eman­zi­pa­ti­ons­the­men be­ginnt?

Far­rell: Im­mer wie­der, aber zum Glück im­mer sel­te­ner. Mitt­ler­wei­le rea­li­sie­ren die Leu­te, dass zwei Frau­en durch­aus in der La­ge sind, ein gro­ßes Ar­chi­tek­tur­bü­ro zu lei­ten.

Stan­dard: Und was ant­wor­ten Sie, wenn die­se Fra­ge kommt?

Far­rell: Ich zi­tie­re sehr ger­ne die iri­sche Schrift­stel­le­rin Ea­van Bo­land, die meint, Ge­sell­schaft sei ei­ne Ba­lan­ce aus Männ­lich­keit und Weib­lich­keit. Das ei­ne geht nicht oh­ne das an­de­re. Es geht um die Syn­the­se, um die Gleich­zei­tig­keit von Yin und Yang. So ge­se­hen hat je­der und je­de von uns sei­nen und ih­ren Bei­trag zu leis­ten.

Stan­dard: Wo­ran liegt es, dass Frau­en in der Bau­bran­che noch im­mer in der Min­der­zahl sind?

Far­rell: An vie­len ver­schie­de­nen Din­gen, aber auch an Ih­nen als Jour­na­list. Ei­ne gro­ße Ver­ant­wor­tung an die­ser Ver­zer­rung der Rea­li­tät tra­gen die Me­dien, die weib­li­che Ar­beits­kräf­te in die­ser Bran­che im­mer noch als et­was Un­ge­wöhn­li­ches dar­stel­len. So wie wir ge­ra­de die­ses In­ter­view hier füh­ren, weil Sie mir ge­sagt ha­ben, dass Sie in Ih­rer Zei­tung an die­sem Wo­che­nen­de ei­nen Schwer­punkt zum The­ma Ge­schlech­ter­ver­hält­nis­se in der Ge­sell­schaft be­han­deln.

Stan­dard: Der männ­li­che Über­hang in der Bau­bran­che ist ein Fak­tum.

Far­rell: Ja, das schon. Aber ge­nau­so we­nig wie man die Bo­eing 747 ver­lässt, nur weil man kurz vor dem Start die Frau­en­stim­me aus dem Cock­pit ver­nimmt, spielt die­ses The­ma auch in der Ar­chi­tek­tur noch ei­ne Rol­le. Män­ner, Frau­en … egal. Was zählt, ist die Fä­hig­keit, ei­ne Idee Rea­li­tät wer­den zu las­sen. Und ei­ne gu­te, ei­ne ver­dammt gu­te Ma­na­ge­rin zu sein.

Stan­dard: Sie und Ih­re Part­ne­rin Shel­ley McNa­ma­ra ha­ben das Bü­ro 1978 ge­grün­det. Da­mals war das Mi­lieu noch ein an­de­res.

Far­rell: Ich ha­be es im­mer ge­liebt und es auch im­mer als Pri­vi­leg emp­fun­den, die­sen Job aus der Sicht der Frau aus­zu­üben. Wir ha­ben uns von An­fang an mit Fra­ge­stel­lun­gen be­schäf­tigt, die im männ­lich do­mi­nier­ten Mi­lieu da­mals noch nicht so en vo­gue und so selbst­ver­ständ­lich wa­ren wie heu­te: So­zia­les, Kom­mu­ni­ka­ti­on, mensch­li­che Be­zie­hun­gen, Ver­hält­nis des ei­ge­nen Kör­pers im Raum, die Lie­be zum klei­nen Maß­stab und die Fä­hig­keit, sich an Be­ste­hen­des, an be­reits exis­tie­ren­de Wer­te und Ge­schich­ten an­zu­pas­sen.

Stan­dard: Ist das et­was Frau­en­spe­zi­fi­sches?

Far­rell: Das war es da­mals. Aus­nah­men gab es im­mer. Je­ne Män­ner sind in die Ge­schich­te ein­ge­gan­gen.

Stan­dard: Die Uni­ver­si­tà Lui­gi Boc­co­ni in Mai­land, die Sie 2008 fer­tig­ge­stellt ha­ben, ist nicht ge­ra­de fein und gra­zil. Das ist ein ziem­lich mas­si­ver Stein­bro­cken, den Sie da hin­ge­stellt ha­ben.

Far­rell: Boc­co­ni war ei­nes un­se­rer er­sten gro­ßen Pro­jek­te im Aus­land. Wir wa­ren – als ei­nes von ins­ge­samt acht oder zehn Ar­chi­tek­tur­bü­ros – zu ei­nem eu­ro­pa­wei­ten Wett­be­werb ein­ge­la­den. Wir und Ita­li­en! Shel­ley und ich ha­ben uns da­mals sehr in­ten­siv über das The­ma un­ter­hal­ten und wuss­ten: Das wird ein Maß­stabs­sprung in un­se­rer Ar­beit! In­ter­na­tio­nal ge­se­hen war das un­ser gro­ßer Durch­bruch.

Stan­dard: Zu die­ser Zeit hat in Ir­land die Wirt­schafts­kri­se be­gon­nen. Wie war die Si­tua­ti­on da­mals?

Far­rell: Es war ei­ne sehr trau­ri­ge Zeit. Vor der Kri­se ha­ben wir in Ir­land vie­le schö­ne Pro­jek­te rea­li­sie­ren kön­nen: Schu­len, Uni­ver­si­täts­ge­bäu­de, öf­fent­li­che Kul­tur­bau­ten. 2008 war das al­les mit ei­nem Schlag vor­bei. Die Wirt­schafts­kri­se lag wie ei­ne schwar­ze Wol­ke über dem Land.

Stan­dard: Wie ha­ben Sie all die Jah­re über­lebt?

Far­rell: Wir muss­ten das Bü­ro ver­klein­ern, Leu­te kün­di­gen und Ge­häl­ter kür­zen. Es war hart. Shel­ley und ich wuss­ten: Pro­jek­te in Ir­land kön­nen wir in den näch­sten Jah­ren ver­ges­sen. Al­so ha­ben wir be­gon­nen, sehr ak­tiv an in­ter­na­tio­na­len Wett­be­wer­ben teil­zu­neh­men.

Stan­dard: Ei­ni­ge da­von ha­ben Sie ge­won­nen.

Far­rell: Ja, wir hat­ten ei­ne wirk­lich gu­te Sie­ger­quo­te in die­ser Zeit. Und als Fol­ge des­sen ha­ben wir kurz da­rauf in Lon­don und Pa­ris ge­baut. Das wa­ren gro­ße Pro­jek­te. Ich den­ke, dass uns das ge­ret­tet hat.

Stan­dard: Wenn man sich die Pro­jek­te der letz­ten Jah­re an­schaut, merkt man, dass die Bau­ten tat­säch­lich im­mer grö­ßer und im­mer wuch­ti­ger wer­den. Wo­ran liegt das?

Far­rell: Das ist al­les re­la­tiv. Der spa­ni­sche Ar­chi­tekt Ale­jan­dro de la So­ta, ei­ne der Schlüs­sel­fi­gu­ren der ibe­ri­schen Mo­der­ne, hat ein­mal ge­sagt, die Auf­ga­be von Ar­chi­tek­ten sei es, so viel Nichts wie mög­lich zu bau­en. Schau­en Sie sich nur ein­mal ei­ne ja­pan­is­che Tee­scha­le an! Die Lip­pen be­rüh­ren nur ei­nen Hauch von mil­li­me­ter­dün­nem Ma­te­ri­al. Es ist der lee­re Raum in­ner­halb der Scha­le, der die Schön­heit die­ses Ge­fä­ßes aus­macht. So ist es auch mit un­se­ren Ge­bäu­den.

Stan­dard: Sie sind ei­ne Ar­chi­tek­tin der Lee­re?

Far­rell: Und ich bin ei­ne gro­ße An­hän­ge­rin der Wie­ner Se­ces­si­on. Seit ich die­sen gol­de­nen Kraut­kopf an der Wien­zei­le zum er­sten Mal ge­se­hen ha­be, fas­zi­niert mich die Ele­ganz die­ser mi­ni­ma­len Hül­le um den ma­xi­ma­len Raum he­rum.

Stan­dard: Ih­re ei­ge­ne Ar­beit be­zeich­nen Sie im­mer wie­der als ge­bau­te Geo­gra­fie. Was mei­nen Sie da­mit?

Far­rell: Der An­teil der städ­ti­schen Welt­be­völ­ke­rung wird, wie wir al­le wis­sen, im­mer grö­ßer und geht auf die 60, 70 Pro­zent zu. Das be­deu­tet, dass sich – pa­ral­lel zur na­tür­li­chen Geo­gra­fie ei­nes Lan­des – zu­neh­mend ei­ne ge­bau­te, ei­ne ur­ba­ne Geo­gra­fie ent­wi­ckelt, die es auch zu ge­stal­ten gilt.

Stan­dard: Heißt das, dass die von Men­schen­hand er­rich­te­te Stadt zu­neh­mend zum Er­satz für die Na­tur wird?

Far­rell: Rea­lis­tisch ge­se­hen, ja. Für vie­le Men­schen ist es so. Es geht nicht da­rum, ob ich das gut fin­de oder nicht. Es geht da­rum, dass wir als Ar­chi­tek­tin­nen un­se­ren Bei­trag leis­ten möch­ten, um die­sen Zu­stand best­mög­lich mit­zu­ge­stal­ten. Der Uni­ver­si­täts­cam­pus UTEC in Li­ma (Pe­ru) ist für mich ein wun­der­ba­res Bei­spiel für das, was ich mei­ne. Das ist ein ver­ti­ka­ler, of­fe­ner Cam­pus mit Höh­len, Platt­for­men und auf­re­gen­den Struk­tu­ren, die sich am kon­kre­ten Stand­ort orien­tie­ren. Ein paar Hun­dert Me­ter wei­ter ver­läuft die schrof­fe, bis zu 30 Me­ter ho­he Fels­küs­te, die die Stadt am Pa­zi­fik ab­rupt en­den lässt. Wir ha­ben uns von die­sem Um­stand räum­lich in­spi­rie­ren las­sen.

Stan­dard: Ab­schluss­fra­ge …

Far­rell: Jetzt darf ich mir was wün­schen, oder?

Stan­dard: Möch­ten Sie das denn?

Far­rell: Un­be­dingt! Es spricht die Frau aus dem Cock­pit … Wis­sen Sie, es gab und gibt so vie­le groß­ar­ti­ge Ar­chi­tek­tin­nen auf die­ser Welt: De­ni­se Scott Brown, Aman­da Le­ve­te, Ju­lia Mor­gan, Loui­sa Hut­ton, Odi­le Decq, Be­ne­det­ta Tag­lia­bue, Li­na Bo Bar­di, um nur ei­ni­ge zu nen­nen. Sie al­le ha­ben Wun­der­ba­res ge­leis­tet. Ich fin­de es scha­de, dass die­sen Per­so­nen we­ni­ger Auf­merk­sam­keit zu­teil­wird, als ih­nen ge­bührt. Ich wün­sche mir, dass sich das bald än­dert. Und ich wün­sche mir, dass end­lich der Pay-Gap zwi­schen Mann und Frau ver­schwin­det. In je­der Bran­che ver­dient ei­ne Frau deut­lich we­ni­ger als ein Mann mit glei­cher Aus­bil­dung, mit glei­chen Fä­hig­kei­ten, mit glei­cher Leis­tung. Das ist scho­ckie­rend. Das geht in mein Hirn nicht rein.

Yvon­ne Far­rell (65) grün­de­te 1978 ge­mein­sam mit ih­rer Part­ne­rin Shel­ley McNa­ma­ra das Bü­ro Graf­ton Ar­chi­tects. Sie un­ter­rich­te­te be­reits an der Ya­le Uni­ver­si­ty und an der Har­vard Gra­dua­te School of De­sign in Bos­ton und hat der­zeit ei­ne Pro­fes­sur an der Ac­ca­de­mia di ar­chi­tet­tu­ra in Men­dri­sio der Schweiz in­ne.
[ Tipp: Yvon­ne Far­rell hält im Rah­men des Ar­chi­tek­tur-Fes­ti­vals Turn-on ei­nen Vor­trag in Wien: Sams­tag, 5. März 2016, ca. 20 Uhr, ORF-Ra­dio­kul­tur­haus, Ar­gen­ti­niers­tra­ße 30a, 1040 Wien. ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: