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Norddeutsche Ikonen des Neuen Bauens
Neue Zürcher Zeitung

Otto Haeslers Siedlungen in Celle

27. März 1999 - Jürgen Tietz
Das niedersächsische Celle, am Südrand der Lüneburger Heide gelegen, verzaubert seine Besucher mit den zahlreichen Fachwerkhäusern, die sich in der historischen Altstadt malerisch aneinanderfügen. Neben solcher Kleinstadtidylle gilt Celle zugleich als ein Zentrum des Neuen Bauens in Deutschland nach 1920. Wichtigster Protagonist der Moderne in Celle war Otto Haesler (1880–1962). Seit 1906 betrieb er hier als Privatarchitekt sein äusserst erfolgreiches Büro, errichtete nahezu im gesamten Stadtgebiet seine Bauten. In seinem Frühwerk öffnete sich Haesler für die unterschiedlichen Architekturströmungen der Zeit. Seine Bauten pendelten zwischen Heimatschutz, englischem Landhausstil und Neoklassizismus. Erst Mitte der zwanziger Jahre wandelte sich der bis dahin allenfalls moderat moderne Eklektizist Haesler zu einem der wichtigsten Vertreter des Neuen Bauens, dessen Arbeiten heute gleichberechtigt neben denen von Ernst May in Frankfurt, Bruno Taut in Berlin oder Walter Gropius stehen, mit dem er an der Karlsruher Dammerstock-Siedlung 1928/29 zusammen wirkte.

Vom Neoklassizismus zur Moderne

Vor allem mit Siedlungsbauten begründete Haesler seinen Ruf als moderner Architekt. Noch heute lässt sich in Celle ein einzigartiger Eindruck der Entwicklung von Haeslers Siedlungen gewinnen. Den Anfang machte die Siedlung Italienischer Garten (1924/25), bei der er, von Bruno Taut beeinflusst, zusammen mit Karl Völker an der Entwicklung einer neuen Fassadenfarbigkeit experimentierte. In der Siedlung Georgsgarten von 1926/27 machte Haesler den entscheidenden Schritt hin zum Zeilenbau. Die Formensprache der Siedlung war mit flachem Dach und langgezogenen Fensterbändern nun konsequent der Moderne verpflichtet. Bereits vor der Weltwirtschaftskrise setzte sich Haesler intensiv mit der Gestaltung von Kleinstwohnungen auseinander, u. a. im Auftrag der 1927 gegründeten «Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Wohnungswesen». Die Ergebnisse solcher in Grösse und Ausstattung auf ein Mindestmass reduzierter Wohnungen, die entsprechend kostensparend zu bauen und billig zu vermieten waren, flossen 1928 in Haeslers Bau eines Versuchshauses in Stahlskelettbauweise in Celle ein. Auf Grundlage dieses Versuchshauses entstand seit 1930 unter den verschärften wirtschaftlichen Bedingungen der Weltwirtschaftskrise die Siedlung Blumläger Feld, wiederum in Stahlskelettbauweise. Doch gerade die minimierten Wohnungsgrundrisse, die die Wirtschaftlichkeit der Siedlung gewährleisten sollten, wurden von dem Siedlungsarchitekten Bruno Taut und dem Architekturkritiker Adolf Behne vehement kritisiert.

Der erste Bauabschnitt der Siedlung Blumläger Feld, der jetzt durch Umbauplanungen massiv in seinem Erscheinungsbild bedroht wird, setzt sich aus zwei 220 Meter langen Zeilen in strenger Nord-Süd-Ausrichtung zusammen. Zwischen den Zeilen befinden sich noch heute die grosszügigen Mietergärten. Im Norden begrenzt der wesentlich kleinere «Lungenflügel» die Zeilen, so dass eine U-förmige Grundrissfigur entstand. Die Bauten des Lungenflügels hatte Haesler mit einer Südterrasse ausgestattet, um Familien mit TBC- Erkrankten eine intensivere Besonnung zu bieten.

Im angrenzenden Wasch- und Heizhaus, das heute als Otto-Haesler-Dokumentationszentrum dient, befanden sich Wannenbäder, da die Wohnungen lediglich mit WC und Waschbecken ausgestattet sind. Immerhin verfügt die Siedlung über ein eigenes Heizwerk, in jeder Wohnung befindet sich jeweils ein Heizkörper. Die Heizungsrohre laufen noch heute offen durch die Wohnungen und über die Strasse und verbinden sämtliche Teile der Siedlung miteinander. Diese Freileitungen verleihen den Wohnbauten einen eigentümlich technischen Touch. Um den toten Raum des Flurs einzusparen, erfolgt bei einigen Wohnungen die Erschliessung über die Küche. Tatsächlich sind die Wohnungsgrössen auf ein Mindestmass reduziert. So sollten in der ersten verwirklichten Zeile 51,83 Quadratmeter für 6 Personen ausreichen, im später leicht veränderten Wohnungstyp waren es auch nur 56,70 Quadratmeter.

Siedlung Blumläger Feld in Gefahr

Obwohl die originalen Holzfenster inzwischen durch Kunststoffenster mit zu breiten Profilen ersetzt wurden und zahlreiche Wohnungen zusätzlich über eine Dusche verfügen, hat sich der Grundcharakter der Siedlung bis heute erhalten. Nach Angaben der Eigentümerin der Siedlung, der städtischen Wohnungsbaugesellschaft mbH (WBG), fährt die Siedlung durch die anfallenden Instandhaltungsmassnahmen jedoch jährliche Verluste in Höhe von rund 400 000 Mark ein. Um die Ertragslage der Siedlung zu verbessern, hat die WBG den Architekten Ivan Kozjak aus Hannover mit Umbau und Erweiterung der Siedlung beauftragt. Kozjaks Planung sieht vor, die Kopfbauten der langen Zeilen, das Heiz- und Waschhaus sowie den Lungenflügel in der originalen Substanz zu erhalten. Dies entspricht etwa 20 Prozent der Siedlung. Der überwiegende Teil soll jedoch u. a. durch einen drei Meter breiten Vorbau und die Aufstockung um ein Geschoss ergänzt werden. Durch das Zusammenlegen von Wohnungen sollen grössere Wohneinheiten entstehen, wobei die Aufstockung gewährleisten soll, dass die derzeitige Anzahl der Wohnungen erhalten bleibt. Vom zunächst geplanten Abriss einer angrenzenden Siedlungszeile Haeslers zugunsten eines «Service-Centers» mit Arzt und Lebensmittelgeschäft für die Anwohner wurde seitens der WBG – zumindest vorübergehend – Abstand genommen.

Gegen die Umbaupläne der WBG hat die «Otto-Haesler-Initiative» heftig protestiert. Nicht ohne Grund sieht sie im Konzept der WBG eine Entstellung der Grundsubstanz der renommierten Haesler-Bauten. Auch die Vorgehensweise der WBG wurde kritisiert, erst mit den abgeschlossenen Planungen den Weg an die Öffentlichkeit zu suchen. Ein solches Vorgehen entspricht kaum der Bedeutung des Objekts Blumläger Feld. Auch das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege in Hannover setzt sich dafür ein, den ursprünglichen Charakter der Siedlung zu erhalten, der eine herausragende Bedeutung als architektonisches wie kulturhistorisches Dokument sozialen Engagements in der Zeit der Weltwirtschaftskrise zukommt. Die Pläne der «Otto-Haesler-Initiative», ein Symposium zur Zukunft des Blumläger Feldes abzuhalten, sind zu begrüssen. Ziel eines solchen Symposiums muss es sein, Wege zu einem weitaus behutsameren Umgang mit dem Baudenkmal aufzuzeigen, als sie die bisherigen Planungen aufweisen.

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