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Zu Hau­se hin­term Vor­hang
Der Standard

1964 hat er Ös­ter­reich ver­las­sen. In den USA wur­de er zu ei­nem der be­kann­tes­ten Ar­chi­tek­ten der Welt. Dem Ost­ti­ro­ler Rai­mund Ab­ra­ham wid­met das Schloss Bruck in Lienz nun ei­ne Aus­stel­lung.

23. Juli 2016 - Wojciech Czaja
Ich ha­be vie­le Pro­jek­te ge­macht, die ich gar nicht bau­en will“, sagt Rai­mund Ab­ra­ham, schwar­zer Hut, ro­ter Schal, die Zi­gar­re in der Hand. „Über­haupt bin ich der Mei­nung, dass Ar­chi­tek­tur nicht un­be­dingt ge­baut wer­den muss. Pa­pier, Bleis­tift und die Sehn­sucht nach dem Raum rei­chen voll­kom­men aus, um Ar­chi­tek­tur zu ma­chen. Das Bau­en ist ei­gent­lich nur der letz­te Schritt im Pro­zess, das Ge­zeich­ne­te zu über­set­zen und die phy­si­sche Be­nutz­bar­keit und Be­wohn­bar­keit zu er­mög­li­chen.“

Rai­mund Ab­ra­ham, 1933 in Lienz ge­bo­ren, ge­hört zu den wich­tigs­ten ös­ter­rei­chi­schen Ar­chi­tek­ten des 20. Jahr­hun­derts. Ge­mein­sam mit Ri­chard Neu­tra, Ru­dolf M. Schind­ler und Fried­rich Kies­ler zählt er zu je­ner Ge­ne­ra­ti­on, die Ös­ter­reich den Rü­cken kehr­te, um im Ame­ri­ka der Sech­zi­ger­jah­re das nach­zu­ho­len, was hier­zu­lan­de nicht oder nur be­dingt ge­lun­gen war – sich ei­ne Exis­tenz auf­zu­bau­en, sich ei­nen Na­men zu ma­chen, ei­nen welt­be­kann­ten so­gar.

Dem gries­grä­mi­gen Ost­ti­ro­ler, der mit kri­ti­schen Au­gen durchs Le­ben lief und nicht sel­ten die Welt und Ar­chi­tek­ten­schaft be­schim­pfte und ver­fluch­te, wid­met das Lien­zer Mu­se­um im Schloss Bruck nun ei­ne Aus­stel­lung, die sich nicht nur auf Ab­ra­hams ge­bau­tes Werk, son­dern auch auf sei­ne Zeich­nun­gen, Mo­del­le und ide­al­ty­pi­schen, ja fast uto­pi­schen Ent­wür­fe und Wett­be­werbs­bei­trä­ge der Sieb­zi­ger- und Acht­zi­ger­jah­re kon­zen­triert. Back Ho­me , so der Ti­tel der Schau, ist die er­ste Aus­stel­lung seit Ab­ra­hams Tod im Jahr 2010. Sie ent­stand in Ko­ope­ra­ti­on mit dem Ar­chi­tek­tur­zen­trum Wien (AzW), das auch die rund 60 Ex­po­na­te aus Ab­ra­hams kürz­lich auf­ge­ar­beit­etem Nach­lass bei­steu­er­te.

„Ich ging mit Mun­di ge­mein­sam zur Schu­le, er war fünf Jah­re äl­ter“, er­zählt Wil­helm Ber­nard, Freund und lang­jäh­ri­ger Weg­be­glei­ter des Ar­chi­tek­ten, der bei der Aus­stel­lungs­er­öff­nung letz­te Wo­che ein paar Mi­nu­ten in die Ver­gan­gen­heit schweif­te. „Er hat viel ge­schimpft, er hat vie­les nicht aus­ge­hal­ten, und bei sei­nem be­rühmt­es­ten Pro­jekt, dem Aus­tri­an Cul­tu­ral Fo­rum in New York (AC­FNY), hat er den Bau so­gar kurz­fri­stig ge­stoppt, weil er mit der Qua­li­tät des Be­tons der New Yor­ker Bau­fir­men nicht zu­frie­den war. Ein Bau­stopp mit­ten in New York, das muss man sich ein­mal vor­stel­len!“

Akri­bisch und kom­pro­miss­los

Hin­ter der Un­zu­frie­den­heit und un­ent­weg­ten Ver­biss­en­heit Ab­ra­hams je­doch steck­te ei­ne De­tail­lie­be bis zum letz­ten Mil­li­me­ter. „Ich ha­be nie zu­vor je­man­den ge­trof­fen, der so ge­nau, so akri­bisch, so kom­pro­miss­los an das Bau­en her­an­ging wie er“, er­in­nert sich Ber­nard. „Die Bau­ar­bei­ter und Hand­wer­ker ha­ben ihn ge­liebt, weil er es ver­stand, mit ih­nen zu kom­mu­ni­zie­ren. Und gleich­zei­tig ha­ben sie ihn ver­teu­felt, weil er nicht ein­mal den ge­ring­sten Feh­ler dul­de­te und vie­le De­tails dut­zen­de Ma­le um­plan­te und be­reits Ge­bau­tes im­mer wie­der um­bau­en ließ.“

Sei­ne er­sten bei­den Ein­fa­mi­li­en­häu­ser – da­run­ter das Haus Pless in Wien so­wie das Haus für den Salz­bur­ger Fo­to­gra­fen Jo­sef Da­pra – ent­stan­den An­fang der Sech­zi­ger­jah­re, als Ab­ra­ham noch in Wien leb­te. Die Kom­mu­ni­ka­ti­on vor Ort war ei­ne ein­fa­che. Als das Haus Del­la­cher in Ober­wart er­rich­tet wur­de, weil­te Ab­ra­ham je­doch be­reits in den USA. Der Le­gen­de nach schick­te er die De­tails und De­tail­kor­rek­tu­ren per Post. Manch­mal so­gar täg­lich. Beim Haus Ber­nard Lanz in Ti­rol (1985) und bei der mitt­ler­wei­le denk­mal­ge­schütz­ten Hy­po-Bank am Lien­zer Haupt­platz (1996) wur­den die per Hand ge­zeich­ne­ten und oft mehr­mals ko­pier­ten und er­gänz­ten De­tail­plä­ne und De­tail­plan­kor­rek­tu­ren be­reits per Fax über­mit­telt. Und das Fax, er­zählt man sich, das krach­te und druck­te in ei­ner Tour fort.

„Ab­ra­ham hat ger­ne mit un­ter­schied­li­chen Me­dien ge­ar­bei­tet“, sa­gen die bei­den Ku­ra­to­ren der Aus­stel­lung, Christ­oph Frey­er und An­na Stuhl­pfar­rer. „Zu sei­nen liebs­ten Werk­zeu­gen zähl­ten Pa­pier, Bleis­tift, Bunt­stift, Fo­to­ap­pa­rat und Ar­chi­tek­turm­odell. Doch ei­ne Zeit­lang galt sei­ne Lie­be der Ko­pie.“ Wie auch schon Jo­seph Beuys und Hei­dulf Gerng­roß fer­tig­te Ab­ra­ham vie­le Col­la­gen, Ar­chi­tek­tur­zeich­nun­gen und uto­pis­ti­sche Ent­wür­fe mit dem Ko­pier­ge­rät an. Ei­ni­ge da­von, Be­stand des AzW-Nach­las­ses, wer­den nun erst­mals der Öf­fent­lich­keit prä­sen­tiert.

Ne­ben dem The­ma Stie­ge, das Ab­ra­ham zeit sei­nes Le­bens for­mal ze­le­brier­te, und dem Bau­en in be­eng­ten Ver­hält­nis­sen – so­wohl die Hy­po-Bank in Lienz als auch das 20-stö­cki­ge AC­FNY in der 52. Stra­ße in Man­hat­tan muss­ten in ei­ne Bau­lü­cke mit nur 7,50 Me­ter Brei­te hin­ein­ge­quetscht wer­den – wid­met sich die in­tel­lek­tu­el­le, scharf­sin­nig ku­ra­tier­te Aus­stel­lung je­doch vor al­lem dem Nicht­ge­bau­ten – dem stets „La­ten­ten“, wie Ab­ra­ham die ge­dach­te Ar­chi­tek­tur be­zeich­ne­te.

Zu se­hen sind frü­he Mo­del­le von Fan­ta­sie­ge­bil­den, die Ab­ra­ham mit dra­ma­ti­schen Licht- und Schat­ten­kon­tras­ten fo­to­gra­fier­te. Zu­sam­men­ge­setzt bil­den das Haus oh­ne Räu­me , das Haus mit Blu­men­wän­den , das Haus mit per­ma­nen­tem Schat­ten , das Haus mit zwei Ho­ri­zon­ten und das Haus mit Vor­hän­gen ei­ne fik­ti­ve, ja fast Angst ein­flö­ßen­de Stadt. Nir­gend­wo ma­ni­fes­tiert sich die Kom­pro­miss­lo­sig­keit des Zi­gar­re paf­fen­den, Fes­te schmei­ßen­den und Aben­des­sens­ge­la­ge ver­an­stal­ten­den He­do­nis­ten mehr als in die­sen 1975 ent­stand­enen Haus­land­schaf­ten , in die­sen un­heim­li­chen, ein­ge­fro­re­nen Mo­ment­auf­nah­men, de­ren Un­ech­theit man zu­gleich be­ju­belt und be­dau­ert.

Er­gänzt wird die Aus­stel­lung von ei­ner neun­tei­li­gen Fo­to­se­rie von Mar­kus Obern­dor­fer. Der ös­ter­rei­chi­sche Fo­to­graf stu­dier­te das Werk Ab­ra­hams und such­te nach Ana­lo­gien zu des­sen for­mal-äs­the­ti­schen Wel­ten in der ba­na­len, ganz all­täg­li­chen Ge­gen­wart in den USA. An der E­cke South Main Street und East 5th Street in Los An­ge­les bann­te Obern­dor­fer ei­nen Zaun mit we­hen­dem Bau­stel­len­vor­hang auf Zel­lu­lo­id.

Es ist das Stra­ßen­eck, an dem Rai­mund Ab­ra­ham am 4. März 2010 kurz nach sei­nem Ab­schieds­vor­trag am Sout­hern Ca­li­for­nia In­sti­tu­te of Ar­chi­tec­tu­re in Los An­ge­les mit ei­nem Bus zu­sam­men­stieß und da­bei töd­lich ver­un­glück­te. Letz­tend­lich wur­de sein ganz per­sön­li­ches Haus mit Vor­hän­gen doch noch ge­baut.
[ Die Aus­stel­lung „Rai­mund Ab­ra­ham. Back Ho­me“ ist noch bis 26. Ok­to­ber zu se­hen. Schloss Bruck, 9900 Lienz. ]

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