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Die Macht des Fast-Nichts
Der Standard

Das nor­we­gi­sche Bü­ro Ty­in Teg­nes­tue ist sehr jung, sehr klein und mitt­ler­wei­le welt­be­rühmt. Die Bau­ten in In­do­ne­sien und Thai­land be­wei­sen, wie viel Ar­chi­tek­tur man um wie we­nig Geld ma­chen kann.

20. August 2016 - Wojciech Czaja
Es riecht nach Zimt und Weih­nach­ten. Un­ter dem gro­ßen Du­ri­an­baum im Atri­um steht ein Was­ser­büf­fel, pau­siert für ein Stünd­chen im Schat­ten. Er wird hier als Last­tier ein­ge­setzt und muss Tag für Tag ton­nen­wei­se Baum- und Rin­den­ma­te­ri­al hin­ter sich herz­ie­hen. In der Re­gel wird das süß­lich duf­ten­de Ge­würz ge­mah­len oder in kü­chen­ge­recht ge­schnitt­enen Stan­gen in die gan­ze Welt ver­schifft. In die­sem Fall je­doch wur­de der nach­wach­sen­de Roh­stoff zu Stüt­zen und Dach­lat­ten ver­ar­bei­tet. Ein Teil da­von dient als Sichts­chutz in den Öff­nun­gen des di­cken Lehm­zie­gel­mau­er­werks.

Die Zimt­wäl­der in der Re­gi­on Ke­rin­ci zäh­len zu den größ­ten und wich­tigs­ten Ge­würz­re­gio­nen Su­ma­tras. Ins­ge­samt deckt die Zimt­pro­duk­ti­on auf der in­do­ne­si­schen In­sel rund 85 Pro­zent des welt­wei­ten Be­darfs ab. Al­ler­dings sind vie­le Zimt­bau­ern un­ter­be­zahlt und ar­bei­ten un­ter schlech­ten, bis­wei­len ge­fähr­li­chen Be­din­gun­gen. Mit dem Cas­sia Coop Trai­ning Cen­ter, ei­ner Ein­rich­tung des fran­zö­si­schen Un­ter­neh­mers Pa­trick Bart­he­le­my, soll da­mit Schluss sein. Hier be­kom­men die Bau­ern ei­ne fach­li­che Aus­bil­dung, Ge­sund­heits­vor­sor­ge und Zu­gang zu Schu­le und Wei­ter­bil­dung.

Er­rich­tet wur­de die Zimt­schu­le im Rah­men ei­nes Ent­wi­cklungs­hil­fe­pro­jekts. Das nor­we­gi­sche Ar­chi­tek­tur­bü­ro Ty­in Teg­nes­tue, das für die ge­sam­te Ab­wi­cklung des Pro­jekts ver­ant­wort­lich ist, zeich­ne­te nicht nur die Plä­ne, son­dern reis­te mit all sei­nen Mit­ar­bei­tern vor Ort, um den Bau zu ma­na­gen und auf der Bau­stel­le selbst mit Hand an­zu­le­gen. Ins­ge­samt wa­ren mehr als 70 Per­so­nen, da­run­ter Fach­ar­bei­ter und Lai­en, am Bau be­tei­ligt. Von der Grund­stein­le­gung bis zur Er­öff­nung ver­gin­gen nicht ein­mal zwei Mo­na­te.

Sinn­li­cher Prag­ma­tis­mus

„Ar­chi­tek­tur auf dem Pa­pier in­te­res­siert uns nicht“, sagt An­dre­as Grøntvedt Gjert­sen. „Wir wol­len das Bau­en in der Pra­xis ver­ste­hen. Wir wol­len so ein­fach und so klar pla­nen, dass wir in der La­ge sind, die Plä­ne ei­gen­hän­dig in die Rea­li­tät um­zu­set­zen. Das klingt ei­ner­seits sehr prag­ma­tisch, ist an­de­rer­seits aber auch ei­ne rich­tig er­den­de, ja fast schon sinn­li­che Er­fah­rung, die den meis­ten Ar­chi­tek­ten vor­ent­hal­ten bleibt.“

Ge­mein­sam mit sei­nem Part­ner Yas­har Hans­tad lei­tet der 35-Jäh­ri­ge das klei­ne Ar­chi­tek­turs­tu­dio Ty­in Teg­nes­tue. Zum Port­fo­lio des 2008 ge­grün­de­ten Trond­hei­mer Bü­ros zäh­len Spiel­plät­ze, Ba­de­häu­ser, Bi­blio­the­ken, Bus­war­te­häus­chen, Wai­sen­häu­ser, schu­li­sche Ein­rich­tun­gen so­wie In­ter­ven­tio­nen im öf­fent­li­chen Raum. Die meis­ten da­von wur­den an der West­küs­te Nor­we­gens so­wie in In­do­ne­sien und Thai­land rea­li­siert. Meist han­delt es sich um exo­ti­sche Stand­or­te fer­nab von Groß­stadt und In­fras­truk­tur.

„Wir ha­ben nie ge­plant, im Ent­wi­cklungs­be­reich tä­tig zu sein“, sagt Gjert­sen. „Das hat sich eher zu­fäl­lig er­ge­ben, weil uns vor Jah­ren ein­mal Freun­de von Freun­den an­ge­fragt ha­ben, ob wir sie nicht bei ei­nem Pro­jekt in Thai­land un­ter­stüt­zen wol­len. Der Rest war Mund­pro­pa­gan­da. Man muss ein­fach nur auf­merk­sam sein und sich mit of­fe­nen Au­gen durch die Welt trei­ben las­sen. Am En­de poppt im­mer wie­der et­was Neu­es auf.“

Nach zwei Dut­zend rea­li­sier­ten Pro­jek­ten, mehr als 60 Vor­trä­gen auf al­len Kon­ti­nen­ten und Hun­der­ten in­ter­na­tio­na­len Pu­bli­ka­tio­nen zählt Ty­in Teg­nes­tue, das in ei­nem nur 25 Qua­drat­me­ter gro­ßen In­sti­tuts­zim­mer an der Nor­we­gi­schen Tech­nisch-Na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Uni­ver­si­tät (NTNU) in Trond­heim ein­ge­mie­tet ist, zu den be­kann­tes­ten Ar­chi­tek­tur­bü­ros der Welt. Hin­zu kom­men zahl­rei­che Prei­se wie et­wa der Eu­ro­pe­an Pri­ze for Ar­chi­tec­tu­re 2012, der Glo­bal Award for Sus­tai­na­ble Ar­chi­tec­tu­re 2012, der Green Pla­net Award 2013 so­wie No­mi­nie­run­gen zum Brick Award, zum Aga-Khan-Preis und zum Mies van der Ro­he Award.

„Wenn man we­nig Bud­get zur Ver­fü­gung hat, muss man nicht un­be­dingt bil­lig und be­lang­los bau­en“, sagt Gjert­sen. „Ich neh­me an, es ist un­ser über­aus an­spruchs­vol­ler Low-Bud­get-An­satz, der Schön­heit und Funk­tio­na­li­tät ver­eint und der die Leu­te und die Me­dien be­rührt.“ Die 600 Qua­drat­me­ter gro­ße Cas­sia-Coop-Zimt­schu­le auf Su­ma­tra kos­te­te um­ge­rech­net rund 30.000 Eu­ro. An­de­re Pro­jek­te wie et­wa ein Wai­sen­haus im thai­län­di­schen Ban Tha Song Yang oder ein Sport- und Spiel­platz im Bang­ko­ker Slum­vier­tel Khlong To­ei be­lau­fen sich oft nur auf ei­nen Bruch­teil da­von.

„Wir sind Äs­the­tik-Nerds“

„Un­se­re Phi­lo­so­phie ist: Je we­ni­ger Geld man hat, de­sto mehr Men­schen muss man da­mit er­rei­chen“, sagt der jun­ge NTNU-Pro­fes­sor mit selbst be­druck­tem T-Shirt, Shorts und Flip-Flops an den Fü­ßen. Das Kon­zept des sich mul­ti­pli­zie­ren­den Fast-Nichts scheint auf­zu­ge­hen: „Ja, um ein paar Tau­send Eu­ro kann man ei­ne Ar­chi­tek­tur ma­chen, über die so­gar Wall­pa­per , El­le De­co­ra­ti­on und das For­bes Ma­ga­zi­ne schrei­ben. Ist das nicht groß­ar­tig?“

Fi­nan­ziert wer­den die Pro­jek­te üb­ri­gens von den Bau­her­ren selbst so­wie über öf­fent­li­che För­de­run­gen. Spon­so­ren­gel­der sind ta­bu. „In den er­sten Jah­ren ha­ben wir mit der Pri­vat­wirt­schaft schlech­te Er­fah­run­gen ge­macht. Al­so ha­ben wir be­schlos­sen, un­ab­hän­gig zu sein und ei­ne Ar­chi­tek­tur schaf­fen, die den Men­schen und nicht der Wer­bung dient. Das fühlt sich ir­gend­wie bes­ser an.“

Die Mis­si­on, die al­le Pro­jek­te mit­ein­an­der ver­bin­det: Die Ar­chi­tek­tur­kul­tur muss wie­der bes­ser wer­den. „Ei­ne häss­li­che Um­welt ist das Schlimm­ste, was wir der näch­sten Ge­ne­ra­ti­on über­las­sen kön­nen“, so Gjert­sen. „Die­ser Ge­fahr sind sich lei­der nur die We­nigs­ten be­wusst. Aber zum Glück sind wir Ge­eks, Nerds, ab­so­lu­te Fa­na­ti­ker, wenn es da­rum geht, Schön­heit im Pro­zess und im Re­sul­tat ab­zu­bil­den. Ich kann nicht an­ders. Ich bin süch­tig nach dem Reiz des Äs­the­ti­schen, des so­zi­al Nach­hal­ti­gen, des rund­um Be­glü­cken­den. Das klingt jetzt echt kit­schig, oder?“

Die näch­sten Mo­na­te ver­brin­gen An­dre­as Gjert­sen und Yas­har Hans­tad am Uni-Cam­pus in Trond­heim. „Wir ma­chen jetzt ein paar Ein­fa­mi­li­en­hau­spro­jek­te, die wir in Zu­sam­men­ar­beit mit den Fa­mi­li­en in Ei­gen­bau er­rich­ten wer­den. Nach all den Jah­ren im war­men, exo­ti­schen Kli­ma Asiens wird’s end­lich mal Zeit, dass wir uns auch mit den kli­ma­ti­schen Be­din­gun­gen und den bau­li­chen An­for­de­run­gen bei uns zu Hau­se aus­ein­an­der­set­zen.“ Doch die Fer­ne lässt nicht lan­ge auf sich war­ten. In der Pi­pe­li­ne be­fin­den sich ein Kul­tur- und Aus­bil­dungs­zen­trum in Chia­pas (Me­xi­ko) so­wie ein Com­mu­ni­ty-Cen­ter in der Nä­he von Hi­ros­hi­ma.

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