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Von Bunkern und Hühnerställen
Von Bunkern und Hühnerställen, Foto: Christian Kühn
Spectrum

Was steckt hinter den Aggressionen, die moderner Architektur hierzulande immer noch entgegenschlägt? Die tief verwurzelte Angst vor dem Offenen, Unfertigen, die Ablehnung gestalterischer Eigenverantwortung. Eine Anamnese aus aktuellem Anlaß.

30. April 1999 - Christian Kühn
Salzburg, 28. Februar 1999, Vorwahlzeit: In der Salzburger „Kronen Zeitung“ erscheint unter dem Titel „Anrainer gegen neue ,Bunker‘“ ein Artikel, der sich im speziellen gegen ein Wohnbauprojekt in Sam am Söllheimer Weg, allgemein gegen die „arrogante Architektur- & Planungs- & Bauschickeria“ und die von ihr zu verantwortenden „Ausgeburten des Planungsirrsinns“ wendet.

Illustriert wird der Artikel mit einem anderen Projekt der in Sam tätigen Architekten Gerhard Sailer und Heinz Lang, die zusammen als „Architekturbüro Halle 1“ firmieren: ein dreigeschoßiger Wohnbau, durchgehende tiefe Balkone an der Südseite, Glasfassade. Abgesehen von den betonierten Treppenhäusern handelt es sich um eine reine Holzkonstruktion. Davor posiert eine junge Dame („unsere Simone“), in der Hand sinnigerweise eine ausführliche Broschüre über das in der Fachwelt einhellig positiv bewertete architektonische und ökologische Konzept des Bauwerks, und wird mit dem Satz zitiert: „In einem Hühnerstall möchte ich nicht wohnen ...“

Die politisch-provinziellen Aspekte dieser Geschichte – Gerhard Sailer ist der Ehemann einer Salzburger Bürgerlisten Kandidatin und wird im Rest des Artikels in einer Art und Weise diffamiert, die inzwischen den Presserat beschäftigt –brauchen uns hier nicht weiter zu interessieren. Spannender ist die Frage nach dem Ursprung der tiefen Aggression gegen eine Architektur, deren Formensprache inzwischen auch bald 100 Jahre alt ist. Um ein rein ästhetisches Problem geht es sicher nicht: Wer ein Holzhaus als Bunker tituliert, der hat sich kaum die Mühe gemacht hinzusehen. Diese Polemik hat tiefere Wurzeln: Hier wird etwas als Bedrohung empfunden oder zumindest als solche inszeniert. Aber was ist an dieser Architektur so bedrohlich?

Vordergründig ist die Antwort klar: Es geht um „unsere Heimat“, deren vertraute Bilder durch „nihilistische“ Strukturen ersetzt werden. Dieser Vorwurf ist nicht neu. Am klügsten hat ihn Ernst Bloch –nun auch schon vor über 50 Jahren – formuliert: Architektur sei ein „Produktionsversuch menschlicher Heimat“. Die Moderne hätte statt dessen Maschine und Haus gleichgesetzt und sich auf Abstrakta wie Licht, Luft und Sonne berufen. Herausgekommen sei dabei nicht mehr als blendender „Lichtkitsch“.

Aber Achtung: Hier herrscht extreme Verwechslungsgefahr. Mit den Klischees von Heimatstil und Lederhosenarchitektur hat Blochs Heimatbegriff nichts zu tun. Es geht ihm nicht um ein fertiges Bild, das man nur festzuhalten bräuchte. Im Gegenteil: Heimat sei etwas, worin noch nie jemand gewesen sei, obwohl sie „jedem in die Kindheit scheint“. Was Bloch an der modernen Architektur kritisierte, war nicht ihre Form, sondern ihr Wahn, im perfekten Objekt ein für alle Mal herstellen zu können, was nur als dauernder Prozeß gelingen kann. Echte Heimat muß man sich kritisch erarbeiten: Das setzt offene Strukturen und Bewohner voraus, die sich in diesen Strukturen zu artikulieren verstehen.

Genau in diesem Punkt liegt die eigentliche Wurzel für die Aggression, von der oben die Rede war. Das Offene, Unfertige, auf die Eigenverantwortlichkeit des Menschen Vertrauende fordert hierzulande eine tiefverwurzelte Ablehnung heraus. Dann lieber „Tirolerhaus“, Hundertwasser oder die gerade aktuelle Virtuosenarchitektur – jedes Klischee ist besser als ein Prozeß mit offenem Ausgang.

Ob diese Ablehnung wirklich noch die Position der Mehrheit ist, darf freilich bezweifelt werden. Ein im Vergleich zum Salzburger Beispiel ungleich „härterer“ Wohnbau des Architekten Helmut Wimmer befindet sich in Wien Ottakring gerade in Fertigstellung. Das Konzept, architektonisch nur eine Grundstruktur anzubieten, die innen wie außen verändert werden kann, kommt auf dem Wohnungsmarkt offenbar an. Von den rund 250 Wohnungen sind fast alle verkauft, obwohl das derzeitige Äußere noch wenig einladend aussieht.

Wimmer hat ähnliche Konzepte aber schon mehrmals realisiert: äußerst erfolgreich in der Brünner Straße, wo hinter einer über 100 Meter langen Glasfassade mit Loggien und Wintergärten unterschiedliche Wohnungstypen kombiniert sind; mit zweifelhaftem Ergebnis in der Donaufelder Straße, wo ein sehr dichter räumlicher Raster von Stegen und Terrassen eine mediterrane Stimmung evozieren soll, die von den in ihrer Privatheit beeinträchtigten Bewohnern nicht angenommen wird.

Die Wohnungen in der Koppstraße liegen in drei achtgeschoßigen Wohnregalen aus Betonfertigteilen, die zu einer U-förmigen Figur kombiniert sind. Zwei Meter breite Balkone ziehen sich über die volle Länge der Südwestseite, ebenso breite Laubengänge führen zu den Wohnungen, denen zusätzlich jeweils eine zweigeschoßige Loggia vorgelagert ist. Das „Zuwachsen“ der Balkone und Loggien mit Markisen, zusätzlichen Verglasungen und Pflanzen ist ausdrücklich erwünscht und soll in einigen Jahren ein lebendiges Bild der Fassade ergeben, das sich dann nur noch langsam, aber kontinuierlich ändert. Auf eine eigene Haut verzichtet diese Architektur bewußt. Ob bei der beträchtlichen Größe des Projekts auch der Verzicht auf eine Differenzierung des Baukörpers klug war, ist eine andere Frage. Eine offene Grundstruktur muß keineswegs so gleichförmig sein wie hier. Helmut Wimmer verweist gerne auf Le Corbusiers berühmtes Projekt für Algier. Das aber lebt wesentlich vom feinen Schwung seiner Fassade: Auch die große, zurückhaltende Ordnung kann als baukünstlerisches Thema behandelt werden.

Wimmer versteht seinen Bau als radikales Statement für die Befreiung des Bewohners von der Bevormundung durch den Architekten. Sein Vertrauen in die Bildung seiner Bewohner und ihre Fähigkeit, ihre Umwelt unvoreingenommen zu gestalten, ist beinahe naiv: Wer lernt heute noch Wohnen jenseits von Klischees, wie sie in den Massenmedien zwischen Hundertwasser und Hühnerstall abgehandelt werden? Eine große Ordnung, die nicht nur Freiheit gibt, sondern auch dabei hilft, sich in ihr zu artikulieren, das wäre der nächste Schritt.

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