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Wo Orte zur Sprache kommen
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Architektur ist Teil der Alltagskultur: dies einer breiteren Öffentlichkeit nahezubringen, ist Roland Gnaiger seit Jahren bemüht. Das aktuellste Architekturvermittlungsprojekt, an dem er beteiligt ist, "LandLuft"peilt mit Video und CD-Rom auch ein jüngere

8. Mai 1999 - Christian Kühn
Der Gegensatz von Stadt und Land, einst prägendes Moment der europäischen Kulturgeschichte, ist heute so gut wie bedeutungslos. Angesichts der immer ähnlicher werdenden kulturellen Leitbilder hat das „authentische Landleben“ auch noch den letzten Rest an Substanz eingebüßt, der ihm nach der Ausschlachtung durch Heimatfilm und Tourismus geblieben war: Kitsch ist – wie Milan Kundera einmal schrieb –die Umsteigestation zwischen dem Sein und dem Vergessen. Was die ländliche Kultur anlangt, sind wir in der Phase des Vergessens angekommen. An ihre angestammten Qualitäten zu erinnern bleibt den Volkskundlern überlassen.

Das heißt freilich noch lange nicht, daß wir in einer flächendeckend urbanen Kultur leben. Von ein paar Weltstädten abgesehen, ist heute überall Provinz oder –um einen freundlicheren Begriff zu gebrauchen – Region. Natürlich gibt es nach wie vor Unterschiede zwischen Wien, St. Pölten und Ischgl, aber die bewegen sich eben längst im gemeinsamen Rahmen des Provinziellen, wenn auch mit jeweils ganz spezifischen Färbungen.

Zu den ländlichen Gebieten in Österreich, denen es offensichtlich gelungen ist, auf die veränderte Wirklichkeit zu reagieren, gehört Vorarlberg. Es gibt hier ein grundsätzliches Einvernehmen, daß Architektur Antworten auf aktuelle Probleme finden soll, ohne auf Klischees Rücksicht zu nehmen.

Die Architekten des Landes haben sich in den letzten zwanzig Jahren schrittweise das Vertrauen der Bevölkerung erworben, nicht zuletzt durch intensive Medienarbeit. Auch wenn sich gerade hier –sehr zum Mißfallen der Architektenkammer – die freie und damit an keine Standesvertretung gebundene Berufsbezeichnung „Baukünstler“ etabliert hat, so haben diese „Baukünstler“ stets das Gefühl vermittelt, sich mit den tatsächlichen Lebensbedingungen und Bedürfnissen der Menschen auseinanderzusetzen und nicht mit ihrer eigenen Positionierung im Kulturbetrieb.

Roland Gnaiger, Architekt in Bregenz und heute Professor an der Universität für Gestaltung in Linz, hat sich schon in den frühen achtziger Jahren neben seiner Planungstätigkeit bemüht, einer breiteren Öffentlichkeit Architektur nicht als etwas Außergewöhnliches für teure Sonderfälle, sondern als Teil der Alltagskultur nahezubringen. Er hat Vorträge gehalten, Beratungen durchgeführt und regelmäßige Berichte im Regionalfernsehen gestaltet. Mit einer Mischung aus Sendungsbewußtsein und Pragmatismus hat er eine praxisorientierte Theorie des Bauens außerhalb der Ballungszentren entwickelt, die weit über die leidige Polarität zwischen Ortsbildschutz und „zeitgemäßer Architektur“ hinausgeht.

In ihrer knappsten Formulierung lautet sie: „Die Produktion von Architektur, ob in Stadt oder Land, unterscheidet sich nicht wesensmäßig. Wer jedoch den speziellen Orten Raum gibt, sich auszusprechen, bekommt vieles zu hören, was bis dahin von unseren Monologen übertönt wurde.“ Aus der Summe der genau beobachteten lokalen Voraussetzungen wird jeder Bauplatz für den Architekten zum Mittelpunkt der Welt. „Und es wäre Ignoranz oder Dummheit, auch nur eine einzige der Ressourcen, aber auch Hemmnisse eines Ortes nicht zu nutzen.“

Klarerweise entsteht aus der Beachtung des Kontexts allein noch keine Architektur. Aber für Gnaiger empfiehlt es sich gerade auf dem Land, den Begriff der Kunst nicht zur Durchsetzung eines architektonischen Anspruchs zu verwenden. „Kunst ist besser das Ergebnis der Arbeit als der Anfang der Diskussion.“

Aber wo liegt der Anfang der Diskussion? Auch außerhalb Vorarlbergs ist ja viel über das Bauen auf dem Land geredet worden, es gibt Architekturzentren in allen Bundesländern, mehr als genug Publikationen über regionales Bauen, und trotzdem hat es eher den Anschein, daß nach dem Verschwinden der Tradition im Kitsch kaum eine tragfähige neue Baukultur entsteht. Nach Gnaigers Theorie ist das wenig verwunderlich: Solange sich die Diskussion in der Stadt-Land-Problematik verfängt und nicht das Faktum der universalen Provinz mit jeweils spezifischen Chancen akzeptiert, wird sie sich darauf beschränken, traditionelle Leitbilder in immer blasserer Form abzuwandeln.

Das jüngste Projekt der Architekturvermittlung, an dem Gnaiger beteiligt ist, hat seinen Ausgang konsequenterweise nicht auf dem Land, sondern in der Stadt genommen, mit einer Ausstellung an der Technischen Universität in Wien. Aus einer ursprünglich geplanten Ausstellung über die Arbeiten Gnaigers entwickelte sich ein Konzept, in dessen Mittelpunkt die Vernetzung steht: Im Vordergrund stand ein Symposium, bei dem nicht nur Architekten und Raumplaner, sondern auch Kabarettisten und Musiker, Lehrer, Bürgermeister und Landwirte zu Wort kamen. Ergänzend gab es einen „Burgenländer“- und einen „Niederösterreicher-Tag“, die in Zusammenarbeit mit den Architekturzentren dieser Bundesländer veranstaltet wurden.

Eine Ausstellung gab es zwar, aber sie zeigte keine Bildtafeln und Modelle, sondern ein Video, in dem Gnaiger Bauten aus ganz Österreich kommentiert, sowie eine interaktive CD-Rom, auf der vier seiner eigenen Bauten dokumentiert sind. Dabei kommen in kleinen Videoclips auch Bürgermeister und Bauherren zu Wort, etwa Hubert Vetter, dessen Bauernhof in Lustenau zu den wenigen herausragenden jüngeren Beispielen auf diesem Gebiet gehört.

Ein Interesse an der Gestaltung im weitesten Sinn, das optimistisch stimmen könnte, ist hier dokumentiert. Die Schule in Warth ist beispielsweise weit mehr als ein schönes Gebäude – eben auch ein Ort der Identifikation für eine Gemeinde, deren 200 Einwohner sich im Winter unter 2000 Gästen beinahe selbst wie Fremde fühlen müssen, so sehr sie auch den Tourismus als Lebensgrundlage akzeptieren. Als einklassige Hauptschule für die 10- bis 14jährigen des abgelegenen Ortes ist sie auch eine pädagogische Innovation.

Und auf der CD-Rom kann man sich von einem der Lehrer erzählen lassen, wie wichtig es war, mit dem Architekten über die Prinzipien eines solchen Typus zu reden, lange bevor es noch ums eigentliche Bauen ging. Ähnlich interessante Begegnungen erlaubt die CD-Rom auch mit Bauherren der anderen drei Projekte.

„LandLuft“ soll als Projekt im Büro Gnaigers in Linz weitergeführt werden und sich zu einer permanenten Kooperation von Kulturmanagern, Landschaftsplanern, Architekten und Medienleuten entwickeln. Die Liste der an der Wiener Veranstaltung Beteiligten bietet ein Bild möglicher Vernetzung: Die Konzeption stammt von Erich Raith vom Institut für Städtebau der TU Wien; die Projektleitung lag bei Thomas Moser und Roland Gruber von der Universität für Gestaltung in Linz; die Ausstellungsgestaltung besorgten dunkl/ erhartt/sapp/zinner; das Video wurde von ZONE produziert; Musik kam von Attwenger, die Graphik von Büro X, die Gestaltung der CD-Rom von althaler + oblasser. Es ist zu hoffen, daß die Veranstalter mit diesen Medien das angepeilte jüngere Publikum tatsächlich erreichen.

Video und CD-Rom sind unter http://www.x-office.com/landluft sowie unter thmoser@netway.at zu bestellen.

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