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Die gro­ße Chan­ce?
Der Standard

Bau­en für Flücht­lin­ge ist das hei­ße The­ma der letz­ten Mo­na­te. So viel­fäl­tig die po­li­ti­schen und kul­tu­rel­len Aus­rich­tun­gen der Län­der, Bau­trä­ger und In­sti­tu­tio­nen, so un­ter­schied­lich fal­len auch die ge­plan­ten und ge­bau­ten Re­sul­ta­te aus. Ei­ne Rei­se durch mehr oder we­ni­ger Will­kom­men-Ös­ter­reich.

22. Oktober 2016 - Wojciech Czaja
Die Ge­schich­te ist wahr­lich kei­ne schö­ne. Wie auch an­de­re Bun­des­län­der zer­brach sich Nie­de­rös­ter­reich in den letz­ten zwölf Mo­na­ten den Kopf da­rü­ber, wie man die in Ös­ter­reich auf­ge­nom­me­nen Flücht­lin­ge un­ter­brin­gen konn­te. Ein cle­ve­res, kos­ten­güns­ti­ges und rasch zu er­rich­ten­des Sys­tem muss­te her. Doch als der ehe­ma­li­ge nie­de­rös­ter­rei­chi­sche Wohn­bau­lan­des­rat Wolf­gang So­bot­ka (VP) An­fang des Jah­res sei­ne Plä­ne für ei­ne Wohn­bau-Spar­schie­ne prä­sen­tier­te, ging ein Rau­nen durch die Ar­chi­tek­ten­schaft.

Der er­son­ne­ne Mo­dul­bau in Holz­rie­gel­bau­wei­se mit je­weils acht Klein­woh­nun­gen soll­te in hun­dert­fa­cher Aus­fer­ti­gung über ganz Nie­de­rös­ter­reich ver­streut wer­den. Das An­ge­bot mit Son­der­för­de­rung und au­ßer Kraft ge­setz­ten För­der­richt­li­ni­en rich­te­te sich an 800 Flücht­lings­fa­mi­li­en und fi­nanz­iell schwa­che Ös­ter­rei­cher. Blöd nur, dass das Pro­jekt an ei­ne pri­mit­ive Kis­te er­in­ner­te. Die au­ßen lie­gen­den Trep­pen vor den oh­ne­hin schon klei­nen Fens­tern ver­sperr­ten die Aus­sicht. Und auch die vor dem Haus si­tui­er­ten Park­plät­ze für ins­ge­samt acht Pkws ver­stärk­ten den Ein­druck, dass man das Pro­jekt in Mo­bi­li­täts- und Wohl­stands­be­lan­gen nicht so ganz er­fasst ha­ben könn­te.

„Die Bau­qua­li­tät in Nie­de­rös­ter­reich ist in den letz­ten 15, 20 Jah­ren be­schei­den ge­wor­den“, meint Christ­oph Mayr­ho­fer, Sekt­ions­vor­sit­zen­der der Ar­chi­tek­ten­kam­mer für Wien, Nie­de­rös­ter­reich und Bur­gen­land, im Ge­spräch mit dem STAN­DARD . „Doch die vor­ge­schlag­ene Bil­lig­schie­ne in Blau-Gelb ist der Hö­he­punkt. Die Häu­ser er­in­nern an Stall- und La­ger­flä­chen und sind in mei­nen Au­gen skan­da­lös. Kos­ten ein­zu­spa­ren, in­dem man die Qua­li­tät auf null re­du­ziert, sind ein ziem­lich ein­deu­ti­ges Sta­te­ment, was man von je­nen Men­schen hält, für die man ei­gent­lich baut.“

Der Tsu­na­mi an Kri­tik führ­te da­zu, dass So­bot­ka und sei­ne Nach­folg­erin Jo­han­na Mikl-Leit­ner das Pro­jekt über­ar­bei­ten lie­ßen. Die bei­den Ar­chi­tek­tur­bü­ros amm und Franz Gschwant­ner ha­ben die Au­ßen­trep­pe ins In­ne­re des qua­dra­ti­schen Hau­ses ver­legt, die Grund­ris­se neu ar­ran­giert und fran­zö­si­sche Fens­ter bis zum Bo­den vor­ge­se­hen. Um sich vom un­glü­ckli­chen Pro­jekt­start zu dis­tan­zie­ren, be­kam die Wohn­bau- Of­fen­si­ve mit Wohn.Chan­ce NÖ ei­nen neu­en Na­men.

Pa­ral­lel zur Über­ar­bei­tung durch amm und Gschwant­ner be­tei­lig­te sich auch die TU Wien an ei­ner Evo­lu­ti­on des Pro­jekts. Ire­ne Ott-Rei­nisch und Paul Ra­ja­ko­vics vom In­sti­tut für Wohn­bau ar­beit­eten mit ih­ren Stu­den­tin­nen und Stu­den­ten ein Se­mes­ter lang an ei­ner mög­li­chen Neu­aus­rich­tung der Flücht­lings­häu­ser. Das Re­sul­tat, so der De­al, soll­te in die Wohn.Chan­ce NÖ mit­ein­flie­ßen. Doch da­von will man beim Land nun nichts wis­sen.

250 Eu­ro Mie­te. Und sonst?

„Es gibt be­reits an die 70 Ge­mein­den, die ein gro­ßes In­te­res­se be­kun­det ha­ben, an die­sem Pro­gramm teil­zu­neh­men“, sagt Hel­mut Frank, Chef der nie­de­rös­ter­rei­chi­schen Wohn­bau­för­de­rung, auf An­fra­ge des STAN­DARD . „Aber es dau­ert, bis so ei­ne Ma­schi­ne­rie ins Lau­fen kommt. Die Aus­schrei­bungs­pha­se ist ab­ge­schlos­sen. Nun star­ten die Ver­hand­lungs­ge­sprä­che. Ich ge­he da­von aus, dass die er­sten Pro­jek­te in den kom­men­den Wo­chen be­wil­ligt wer­den könn­ten.“ Zu den er­sten Ge­mein­den, in de­nen die Mo­dul­bau­ten rea­li­siert wer­den, zäh­len et­wa Bi­sam­berg, Lang­en­lo­is, Lo­ich, Lan­gau und Un­ter­stin­ken­brunn.

Und ja, meint Frank, die Ent­wür­fe der TU Wien sei­en durch­aus in­spi­rie­rend ge­we­sen, aber auch nicht wirk­lich für den Mas­sen­wohn­bau ge­eig­net. Am Pro­jekt wer­de sich da­her nichts än­dern. Die­ser Zug ist ab­ge­fah­ren. Das Gu­te da­ran: „Durch die nie­dri­gen Bau­kos­ten kön­nen wir die Net­to­mie­te für ei­ne 60 Qua­drat­me­ter gro­ße Woh­nung auf 250 Eu­ro sen­ken. Und der Ei­gen­mit­tel­an­teil, der sonst sehr hoch aus­fal­len kann, ist mit 2000 Eu­ro pro Woh­nung ge­de­ckelt“, so Frank.

Bil­lig geht man auch an­dern­orts an die Sa­che he­ran: Ti­rol will in den kom­men­den drei Jah­ren ei­ni­ge Hun­dert Bil­lig­woh­nun­gen auf den Markt brin­gen. Mög­lich wird dies durch ein Zu­rück­schrau­ben der An­sprü­che bei Aus­stat­tung und Bau­wei­se. Und in Ober­ös­ter­reich wird ak­tu­ell nach dem so­ge­nann­ten „Stan­dard­aus­stat­tungs­ka­ta­log“ ge­baut, der ge­mein­nüt­zi­ge Wohn­bau­trä­ger zum Bil­ligst­bau­en ge­ra­de­zu aus­weg­los zwingt.

Dass es auch an­ders geht, be­weist das Bun­des­land Vor­arl­berg. „Ich hal­te es für ei­nen Feh­ler, an ir­gend­wel­chen Orts­rän­dern ei­ne bil­li­ge Not­fal­lar­chi­tek­tur hin­zu­stel­len“, sagt der Rank­wei­ler Ar­chi­tekt An­dre­as Post­ner. „Die Bil­lig­schie­nen, die der­zeit in Ös­ter­reich in Um­lauf sind, be­wei­sen, dass wir uns in ei­nem ge­sell­schaft­li­chen Back­lash be­fin­den. Mich stimmt das, ehr­lich ge­sagt, trau­rig.“

Sein Vor­schlag: Flücht­lin­ge nicht an den Orts­rand zu drän­gen, denn das schaf­fe nur Ghet­to­bil­dun­gen. Statt­des­sen soll­te man klein­räu­mig den­ken und die Men­schen in ge­misch­ten Struk­tu­ren un­ter­brin­gen. Das sei der Schlüs­sel zur In­teg­ra­ti­on. „Noch bes­ser wä­re es, die Flücht­lin­ge am Haus­bau zu be­tei­li­gen – so wie das auch in je­nen Län­dern Usus ist, aus de­nen vie­le der Men­schen ge­flo­hen sind. Aber das ist im Au­gen­blick noch Uto­pie.“

Ak­tu­ell ar­bei­tet das Te­am Post­ner, Kauf­mann und Du­el­li an vier Wohn­pro­jek­ten in Feld­kirch, Rank­weil, Mei­nin­gen und Göt­zis. „Das Wich­tigs­te ist, dass wir güns­tig, aber hoch­wer­tig bau­en. Es bringt nichts, wenn wir für die Ge­flüch­te­ten die Stand­ort- und Bau­qua­li­tät run­ter­schrau­ben. Was ist das für ein Zei­chen? Und vor al­lem: Wie nach­hal­tig ist das? Un­se­re Häu­ser sind so be­schaf­fen, dass sie fle­xi­bel und in glei­cher Wei­se auch für die ös­ter­rei­chi­sche Be­völ­ke­rung at­trak­tiv sind.“ Die er­sten Woh­nun­gen wer­den im Som­mer 2017 über­ge­ben.

Das Prin­zip Lust und Freu­de

Wie so ei­ne schö­ne, an­spre­chen­de Mensch­lich­keit aus­se­hen kann, zeigt ein ak­tu­el­les Pro­jekt in Wien-Ru­dolfs­heim-Fünf­haus. Für die Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on Ca­ri­tas wan­del­ten die PPAG Ar­chi­tek­ten ei­ne ehe­ma­li­ge Se­nio­ren­pfle­ge­sta­ti­on in ein Flücht­lings­heim für un­be­glei­te­te Kin­der und Ju­gend­li­che um. Vor zehn Ta­gen wur­de die Ca­ri­tas-WG für ins­ge­samt 35 Kin­der in Be­trieb ge­nom­men. Die Um­bau­kos­ten: Be­lie­fen sich auf 300.000 Eu­ro für knapp 1000 Qua­drat­me­ter.

„An der bau­li­chen Sub­stanz muss­ten wir nicht viel än­dern, das meis­te Geld floss in den Mö­bel­bau so­wie in den Aus­bau der Kü­chen- und Sa­ni­tä­rein­rich­tun­gen“, sagt Chris­ti­an We­ge­rer, Pro­jekt­lei­ter bei PPAG. Ge­baut wur­de mit den bil­ligs­ten Bau­stof­fen am Markt – mit MDF, OSB und un­be­han­del­ten Drei­schicht­plat­ten. Der Wie­ner Künst­ler Ste­fan Ness­mann ent­wi­ckel­te Mus­ter für Stof­fe und Vor­hän­ge. Der Rest ist Ikea. „Die­ses Pro­jekt hat Lust und Freu­de ge­macht“, sagt We­ge­rer. „Ich hof­fe, dass zu­min­dest ein Teil da­von auf die hier Woh­nen­den über­sprin­gen wird.“

Die Ein­bet­tung in die ur­ba­ne In­fras­truk­tur sei ein sehr wich­ti­ger Fak­tor, er­klärt Ca­ri­tas-Te­am­lei­te­rin Ta­ma­ra Maj­nek. Auf die­se Wei­se hät­ten die Kin­der und Ju­gend­li­chen Zu­gang zu Ver­ei­nen, Deutsch­kur­sen und be­ruf­li­cher Aus­bil­dung. „Na­tür­lich ha­ben auch Wohn­pro­jek­te auf dem Land ei­ne ge­wis­se Qua­li­tät – al­ler­dings nur, wenn die da­für not­wen­di­gen Rah­men­be­din­gun­gen und die nö­ti­ge Ver­kehrs­in­fras­truk­tur ge­schaf­fen wer­den. Das ist lei­der nicht im­mer der Fall.“

Ar­chi­tek­tur kann nicht hei­len, auch nicht al­ler­be­ste Ar­chi­tek­tur. Aber viel­leicht kann sie ei­nen klit­zek­lei­nen Hauch lin­dern. Die er­sten Kin­der sind be­reits ein­ge­zo­gen. Sie kom­men mit ei­nem Kof­fer – und vie­len Er­leb­nis­sen und Traum­ata im Ge­päck.

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