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Schule mit offenen Armen
Spectrum

Ein Meilenstein in der Entwicklung des österreichischen Schulbaus: Fasch & Fuchs haben für die Seestadt Aspern ein Gymnasium entworfen, das Optimismus und Pioniergeist verströmt. Hier möchte man bleiben.

26. August 2017 - Christian Kühn
Gibt es einen Fortschritt in der Architektur? Soweit man Architektur als technisches Produkt versteht, sicher. Neue Materialien und Fertigungstechniken lösen ältere ab; neue Planungsmethoden, etwa die Einführung des CAD, machen Geometrien umsetzbar, die vor zwei Jahrzehnten nicht zu beherrschen gewesen wären. Als Baukunst betrachtet, kann Architektur einen Fortschritt anderer Art für sich beanspruchen. Während technischer Fortschritt die alte Lösung obsolet macht, lässt der künstlerische dem Alten seinen Wert. Er ist auch alles andere als linear, verzweigt sich in unterschiedliche Richtungen und setzt dabei manchmal an Verzweigungspunkten an, die weit in der Vergangenheit liegen. Schließlich gibt es noch einen Fortschritt, der aus neuen funktionellen Erfordernissen entsteht. Das können völlig neue Aufgaben sein, wie es im 19. Jahrhundert etwa Bahnhöfe und Schlachthöfe waren, oder auch nur Veränderungen oder Neuinterpretationen bekannter Aufgaben, vom Wohnen bis zur Bildung.

Zu den seltenen Fällen, in denen alle drei Arten von Fortschritt zusammenkommen, gehört das neue Bundesgymnasium in der Seestadt Aspern. Der Fortschritt begann hier schon bei der Ausschreibung des Architekturwettbewerbs. Das Bundesministerium für Bildung wünschte sich eine „Arbeits- und Lernlandschaft, die individuelle Förderung, Arbeiten in unterschiedlichen Gruppengrößen, selbstorganisiertes und offenes Lernen sowie Projektunterricht“ unterstützt. Organisatorisch ist für die Unterstufe ein Cluster-System geplant, in dem sich jeweils vier Klassenräume einen offenen Lernbereich teilen. In der Oberstufe gibt es ein Departmentsystem mit den drei Departments für Sprachen, Naturwissenschaften sowie Wirtschaft und Informatik, zu denen vier große Homebases für die Schüler der Oberstufenjahrgänge gehören. Ein solches Programm ist, international betrachtet, keine große Innovation, aber für österreichische Verhältnisse ein erfreulicher Anschluss an den State-of-the-Art.

Hemma Fasch und Jakob Fuchs hatten für dieses Programm ein Grundstück in der Seestadt Aspern zur Verfügung, das an der einen Seite an einen Stadtteilpark grenzt, den Hannah-Arendt-Park, und an der anderen Seit an einen kleinen urbanen Platz. Das Grundstück ist, wie viele in der Seestadt, schiefwinkelig verzogen, ein stadtplanerischer Kollateralschaden der Ringstraße, die in einer gequetschten Kreiskurve um das Zentrum der Seestadt führt. Fasch & Fuchs haben dieses Grundstück genommen, wie es ist, und ihr Haus an drei Seiten bis an die Grundstücksgrenze gebaut. An der vierten Seite breitet es zum Stadtteilpark seine Armeaus und wirkt von dort wie ein luftiges Glashaus mit Terrassen und einer davor ausgerollten Grünfläche. Diese Grünfläche hätte ursprünglich mit dem Stadtteilpark über große Tore verbunden sein sollen, eine Idee, diesich schließlich aus den üblichen Gründen nicht durchsetzen ließ, die Mehrfachnutzung so schwer machen: Wer zahlt den Betrieb, wer ist für Schäden verantwortlich?

Die beiden seitlichen Arme der Schule sind Treppen, die alle Terrassen mit dem Schulgarten verbinden und gleichzeitig als Fluchtwege dienen. Straßenseitig sind die Wangen dieser Treppen mit einer Membran aus Kunststoff verkleidet, die sich an drei Seiten um das gesamte Gebäude herumzieht. Bei Gegenlicht wird hinter der Membran die tragende Stahlkonstruktion sichtbar, und was zuerst als massives Bauelement erscheint, zeigt sich plötzlich als leichte, transparente Hülle.

Transparenz und Leichtigkeit sind auch im Inneren der Schule das leitende Prinzip. Die Tiefe des Baukörpers erlaubt die Anlage eines gut proportionierten Hofs, der zusätzliches Licht und Grün in die Schule bringt. Parallel dazu liegt eine mehrgeschoßige Aula mit Freitreppen und offenen Lerninseln. Licht von oben kommt über ein Shed-Dach mit einer Tragkonstruktion aus Holz. Diese große Offenheit ist möglich, weil die Schule mit einer Sprinkleranlage ausgerüstet ist, eine Maßnahme, die sich nach Angabe der Architekten durch bessere Flächennutzung und den Wegfall anderer teurer Brandschutzmaßnahmen von selbst amortisiert. Die Wände der Klassen beziehungsweise Homebases sind zu den Erschließungsbereichen hin verglast. Sie haben zumeist einen direkten Ausgang zu einer Terrasse, die fast so groß ist wie die Klasse. Statt Glas bis zum Boden gibt es eine von innen und außen benutzbare Sitzbank mit einem großen Schiebefenster, in deren Gebrauch die Schüler sicher viel Fantasie entwickeln werden.

Es gibt nur wenige Schulen in Österreich, die eine so gelöste Atmosphäre erreichen wie diese, und die meisten der wenigen stammen ebenfalls von Fasch & Fuchs: die Sonderschule Schwechat aus dem Jahr 2006, die Tourismusschule Bad Hofgastein von 2010 und zuletzt das Schulzentrum im oberösterreichischen Feldkirchen, in zwei Etappen 2011 und 2014 errichtet. Drei weitere sind in Bau, in Lienz, in Hall/Tirol und in Neustift im Stubaital. In all diesen Projekten zeigt sich die Fähigkeit der Architekten, aus der konstruktiven Logik baukünstlerische Prinzipien zu gewinnen, die man vor 30 Jahren zum Stilbegriff des Hightech verdichtet hat: Leichtigkeit und Transparenz, Membran statt Mauer, aus dem Konstruktiven abgeleitete Form. Fasch & Fuchs gehörenzu der kleinen Gruppe von Architekten, die diesen Stil so kultiviert haben, dass er sich nicht doktrinär in den Vordergrund drängt, sondern wie die natürlichste Sache der Welt wirkt. Die Fassade zum Park mit ihrem System von abgehängten Stegen, Stahlfachwerken und den leichten Brücken aus Stahlbeton ist ein Kunstwerk für sich.

Das muss man wollen, und man muss es können. Fasch & Fuchs haben in langjähriger forschender Praxis so viel Erfahrung gewonnen, dass ihnen Bauherren, in diesem Fall die BIG, auch bei schwierigen Punkten vertrauen. Dazu gehören viele Beteiligte, unter anderem Projektleiter wie Fred Hofbauer, Büropartner von Fasch & Fuchs, die Tragwerksplaner von Werkraum Wien, die Bauphysik von Exikon und die Künstler Gustav Deutsch und Hanna Schimek, die für die Schule ein kongeniales Farbkonzept entwickelten. Ohne solche Teams, die eine Atmosphäre von Vertrauen, Optimismus und Pioniergeist aufbauen, gibt es in der Architektur keinen Fortschritt. Gerade bei einer Schule darf man hoffen, dass diese Atmosphäre sich aufs Ergebnis überträgt und Schüler wie Lehrer ansteckt.

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