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Stadt der Angsträume
Der Standard

Nach dem terroristischen Anschlag in Barcelona letzte Woche stellt sich die Frage: Welche Auswirkungen haben Angst und Gewalt auf die Zukunft unserer Städte? Wird der Terror zum Architekten?

26. August 2017 - Wojciech Czaja
Vor rund einer Woche fuhr ein Attentäter mit einem Lieferwagen über die Fußgängerzone La Rambla und tötete dabei 13 Menschen. Mindestens 119 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Es ist nicht der erste Terroranschlag seiner Art. Auch in Nizza und Berlin raste ein Lkw in eine mal sommerlich ausgelassen, mal weihnachtlich beschaulich feiernde Menschenmenge. Hinzu kommen Terrorattacken in Paris, Brüssel, Stockholm, London, Manchester und Istanbul. Am vorläufigen Ende dieser zwei Jahre dauernden Anschlagserie stellt sich die Frage: Wie können Architekten und Stadtplanerinnen darauf reagieren? Und welche Spuren werden Angst und Terror in der europäischen Stadt langfristig hinterlassen haben?

„Die meisten Städte sind auf die neuen urbanen Terrorangriffe kaum vorbereitet“, sagt Jon Coaffee, Professor für urbane Geografie und Leiter des Resilient Cities Laboratory an der University of Warwick, im Gespräch mit dem STANDARD . „Und das, obwohl der IS schon vor über einem Jahr Leitlinien zum Töten mit Autos und Trucks veröffentlicht hat. Da hilft es auch nicht, die Security an den großen öffentlichen Plätzen zu verstärken. Damit kann man bestenfalls ein, zwei hochfrequentierte Orte einer Stadt sichern. Doch was ist mit dem Rest?“

Die meisten Anschlagsorte werden unmittelbar nach dem Unglück mit Betonblöcken und diversen massiven Rammschutzpollern umzingelt. Meistens, so sind sich Experten einig, ist dies eine vor allem politische Maßnahme, um die Menschen zu beruhigen und das subjektive Sicherheitsempfinden in der Stadt zu stärken. „Kein Terrorist wird am gleichen Ort ein zweites Mal zuschlagen“, so Coaffee, „aber zugleich wird auch keine Stadtregierung diese Garantie abgeben und das Risiko einer ängstlichen und wütenden Bevölkerung auf sich nehmen wollen.“

Die Folge: Immer mehr öffentliche Räume in der Stadt werden mit sichtbaren, tonnenschweren Schutzmaßnahmen umzingelt. Zur „Hostile Vehicle Mitigation“ (HVM), so der Fachausdruck, zählen sogenannte Bremerwände, Jersey-Walls und Texas-Barriers, mobile und immobile Stahlpoller sowie ausfahrbare Rampen, Platten und Nagelsperren. Immer mehr private Anbieter bieten die Antiterrorpoller auch für den Privatbereich an und garantieren, damit einen Lkw mit bis zu 50 km/h aufhalten zu können. Ab 3000 Euro pro Stück ist man mit dabei.

„Ich halte die allmähliche Verpollerung und Betonverkübelung der Stadt für höchst zweischneidig“, erklärt Coaffee. „Einerseits fühlen sich manche Menschen dadurch zwar gut aufgehoben, andererseits aber schrecken mindestens genauso viele Menschen vor diesen Maßnahmen zurück, weil sie damit Angst und Terror assoziieren. Ganz generell stellt sich die Frage, die nicht nur technisch und politisch, sondern auch stadtpsychologisch und gesamtgesellschaftlich beantwortet gehört: Wollen wir wirklich, dass das die Zukunft der westlichen Stadt ist?“

Möbel gegen den Terror

Für die Antiterrorgestaltung auf der Wall Street in New York City – längst haben sich in Fachkreisen die Begriffe „Counterterrorism“ und CPTED („Crime Prevention through Environmental Design“) etabliert – hat das lokale Büro Rogers Partners Architects and Urban Designers eine etwas elegantere Tarnung in Form von kubischen Bronzeskulpturen vorgeschlagen (Foto links) . Die gute Nachricht: Die multifunktionalen Stadtmöbel werden von Brokern und Touristen zum Sitzen, Lehnen und Picknicken verwendet. Die schlechte Nachricht: Ihre primäre Counterterrorism-Funktion vermögen die windschiefen Würfel trotzdem nicht zu verbergen.

Dass es auch anders geht, beweist ein Projekt in Paris: Im Herbst starten die Bauarbeiten für die Sicherheitsmaßnahmen rund um den Eiffelturm. Entlang der Verkehrsachsen wird der österreichische Architekt Dietmar Feichtinger, der aus einem Wettbewerb als Sieger hervorgegangen ist, Stahlpoller und 200 Meter lange, transparente Wände aus schusssicherem Panzerglas aufstellen. Ein Eingriff in die Aura der Eisernen Dame ist das 20 Millionen Euro teure Projekt, das bis Sommer nächsten Jahres abgeschlossen sein soll, dennoch.

„Tatsache ist: Wir müssen uns dem Terror stellen und darauf auf architektonischer und stadtplanerischer Ebene reagieren, denn diese Attacken werden so bald nicht verschwinden“, sagt Daveed Gartenstein-Ross, Professor an der Georgetown University in Washington D.C. und Terroranalyst der Foundation for Defense of Democracies, im Interview mit dem STANDARD . „Mehr noch: Die Terrorangriffe nehmen nicht nur in der Häufigkeit zu, sondern auch in der Brutalität und Unvorhersehbarkeit.“

Als einzig mögliche Antwort darauf nennt Gartenstein-Ross den Begriff „Crisis Architecture“, also eine Architektur, die zwar dem Terrorismus geschuldet ist, sich aber ohne Stacheldraht und Nagelsperren harmonisch ins Stadtbild fügt. Prominentestes Beispiel dafür ist der sich derzeit in Bau befindliche Neubau der US-Botschaft in London (Visualisierung rechts) . Dass sich hinter dem von Kieran Timberlake Architects geplanten Projekt ein noch nie dagewesener Sicherheitsbunker verbirgt, ist dem Haus kaum anzumerken.

Nach dem Vorbild von mittelalterlichen Burgen steht das zwölfstöckige Gebäude auf einem leicht erhabenen Hügel, der rundum von Teichen und Wassergräben umgeben ist. Um hohe Zufahrtsgeschwindigkeiten zu vermeiden, sind sämtliche Wege und Straßen spiralförmig angelegt. Hinzu kommen diverse Geländesprünge, als Sitzbank getarnte Barrieren sowie mit Stahlseilen bespannte Büsche und Hecken. Die 15 (!) Zentimeter dicken Fassadengläser können sogar Schussbomben standhalten.

„Das ist ein gutes Beispiel für „Crisis Architecture“, die ihr Potenzial keineswegs in Form von Pollern und Barrieren mächtig nach außen kehrt“, meint Gartenstein-Ross. „Das ist ein holistischer Ansatz, wie wir unsere Städte auf stadtplanerischer Ebene ertüchtigen können, ohne sie dabei gleichzeitig zu brutalisieren. Wir befinden uns heute in einer Situation, in der solche Maßnahmen unerlässlich sind. Leider.“

Soll Barcelona London werden?

Die City of London ist seit vielen Jahren von einem hochkontrollierten „Ring of Steel“ umgeben. Das Stadtgebiet Greater London ist mit 500.000 Videokameras das am dichtesten bewachte Flächengebiet der Welt. Und schon heute bezeichnen viele Fachleute die Stadt an der Themse als „Fortress of London“. Die neue US-Botschaft als Pionierprojekt und womöglich normatives Best-Practice-Beispiel fügt sich perfekt in diese längst reale Paranoiopolis. Ist London die neue Vorzeigestadt für Nizza, Berlin und Barcelona?

„Architektur ist der Wille einer Epoche, ausgedrückt in Raum“, hat Ludwig Mies van der Rohe einmal gesagt. Die Frage, ob und inwiefern wir den Terror zum Planer unserer Städte ermächtigen wollen, ist noch nicht beantwortet.

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