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Der Zukunftsmacher
Der Standard

John Portman war einer der erfolgreichsten und bedeutendsten Architekten des späten 20. Jahrhunderts. Er prägte die Skylines vieler asiatischer und amerikanischer Städte und erfand einen neuen Hoteltypus. Nun ist er gestorben.

5. Januar 2018 - Wojciech Czaja
Das Marriott Marquis in Downtown Atlanta ist eines der aufregendsten Hotels der Welt. Wenn sich der gläserne Lift in Bewegung setzt und durch die Schlucht der wie eine Lunge geformten Betongalerien nach oben saust, scheinbar immer schneller werdend, scheinbar immer surrealer durch Raum und Zeit sich fortbewegend, dann ist man gefangen zwischen Faszination und Übelkeit, und der Magen beruhigt sich nicht, ehe die Liftkabine im 52. Stock, 143 Meter über der winzig klein erscheinenden Hotellobby wieder zum Stillstand kommt.

„Ein normales Haus bauen und mit Zimmern befüllen, das kann jeder“, sagte John Portman. „Aber das interessiert mich nicht. Ich möchte in den Menschen Enthusiasmus, ein gewisses Feuer entfachen.“ Das ist ihm gelungen. John Portman hat die amerikanische und asiatische Stadt mitgeprägt – in Atlanta, Georgia, in einem Ausmaß wie kein anderer – und hat mit der schwindelerregenden Atriumlobby einen gänzlich neuen, oftmals kopierten Hoteltypus erfunden. Vergangenen Freitag, am 29. Dezember 2017, ist der Pionier und Ausnahmearchitekt im Alter von 93 Jahren gestorben.

Portmans Stil ist ein Bekenntnis zum großen Maßstab, zum Megastädtischen, zum sogenannten Neofuturismus. In Fachkreisen ist sein Werk bis heute umstritten. Die Gebäude seien brutal, sie würden sich von der Stadt abwenden und dem öffentlichen Raum stets den Rücken kehren, heißt es. Architekturkritiker in aller Welt haben in seinen Bauten Festungen und Betonbunker gesehen. Und so mancher international renommierte Architekt wie etwa Ieoh Ming Pei, der Erbauer der Louvre-Pyramide, hat ihn sogar öffentlich an den Pranger gestellt.

Erstaunlicherweise waren es immer schon die Nutzer, die Bewohner, die Spaziergänger, die Städtereisenden, die ganz normalen Architekturlaien, die sich von seinem brutalistischen Werk aus Beton, Beton und Beton angezogen fühlten. Im Onlinekondolenzbuch, das am Wochenende auf der Website des Architekturbüros eingerichtet wurde, ist die Rede von Vision, von Geschenk, von Dankbarkeit. Einmal wird seine Architektur sogar als „Portman-Magie“ bezeichnet.

„Im Grunde genommen ist es ganz einfach, dem Menschen zu dienen“, sagte Portman 2011 in einem Interview mit der britischen Tageszeitung The Times . „Nehmen Sie einmal als Beispiel den gläsernen Lift. In einer geschlossenen Liftkabine schaut jeder beschämt auf den Boden. In einer gläsernen Liftkabine jedoch kann sich der Geist frei entfalten, und die Leute kommen miteinander ins Gespräch. Architektur sollte wie eine Symphonie sein!“ Seine Häuser sind mehr als nur Begleitmusik. Sie bestehen aus Wasserfällen, kilometerlangen Balkonen und sich drehenden Panoramarestaurants auf dem Dach.

1924 in South Carolina geboren, studierte Portman am Georgia Institute of Technology und gründete 1953, im Alter von nur 29 Jahren, sein eigenes Architekturbüro. Die ersten Jahre waren hart und undankbar. Er hielt sich mit kleineren Projekten für die Jugendorganisation YMCA und Apotheken über Wasser. Ende der Fünfzigerjahre beschloss er, seinem Schicksal einen Tritt zu geben, gründete Americas Mart, eine bis heute florierende Möbelkaufhauskette, eine Art Südstaaten-Ikea, und bildete sich im Bereich Finanz- und Immobilienwesen fort. Er kaufte sein erstes Grundstück und agierte von da an als sein eigener Bauherr, verschaffte sich seine eigenen Aufträge, war Architekt und Developer zugleich.

„Man kann die größten, die schönsten Visionen haben, aber wenn man diese Visionen nicht mit der Realität verheiraten kann, dann bleiben sie nur ein Tagtraum“, sagte Portman. „Für mich ist das wie Yin und Yang, wie Künstler und Businessman in Personalunion, eigentlich sehr praktisch!“ Mit dieser Verve entwickelte und errichtete er unzählige Büro- und Hotelkomplexe in New York, Detroit, Los Angeles, San Francisco – und buchstäblich die halbe Innenstadt von Atlanta.

50 Jahre lang baute er in der Hauptstadt von Georgia ein Hochhaus nach dem anderen, zwei Millionen Quadratmeter in Summe, darunter kein einziger Cent an öffentlichen Geldern, wie er in seinen Vorträgen immer wieder betonte, und verband sie nach und nach mit Plätzen, Stiegen und abenteuerlichen Brücken im 20. Stock. Manche sagen, er hätte auf diese Weise den Prototyp der amerikanischen Downtown vor dem Aussterben bewahrt. Dafür bekam er schon zu Lebzeiten eine ganze Straße gewidmet: den John Portman Boulevard, eine Hochhausschlucht mitten durch sein eigenes Lebenswerk.

In den Achtzigerjahren gründete er eine eigene Hotelkette, The Portman, die er bald an Marriott verkaufen musste. Er erlitt mit seinen immer größer werdenden Developments, mit seinen immer höher werdenden Hochhäusern fast Schiffbruch, häufte Schulden in der Höhe von rund zwei Milliarden US-Dollar an und konzentrierte sich von da an auf den asiatischen Immobilienmarkt, auf Jakarta, Schanghai sowie Singapur.

Bis zuletzt verbrachte John Portman, der das Unternehmen 1998 seinem Sohn Jack übergab, fast jeden Tag im Büro. „Ich schaue nicht gern zurück. Ich habe mein ganzes Leben lang damit verbracht, nach vorn zu blicken und nach vorn zu gehen. Das werde ich bis zuletzt tun, denn ein Fisch muss schwimmen, und ein Vogel muss fliegen.“ In der Skyline der Stadt hinterlässt er ein enormes Erbe.

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