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Späte Würdigung der endlosen Stadt
Der Standard

Der Pariser Architekturdenker Yona Friedman erhält den österreichischen Friedrich-Kiesler-Preis

27. Februar 2018 - Wojciech Czaja
In seinem Atelier in der Rue Garibaldi, nur vier Metro-Stationen vom Eiffelturm entfernt, stapeln sich seit Jahrzehnten schon Fotos, Faxe, Zeichnungen, Collagen sowie Draht- und Kartonmodelle utopischer Städte. Es sind Denkmodelle, die dazu beitragen sollen, die Probleme in der oftmals aus allen Nähten platzenden globalen Großstadt in den Griff zu kriegen.

Für die seit 1950 entwickelten Visionen, die in vielen theoretischen Schriften, aber auch in konkreten architektonischen und stadtplanerischen Projekten Niederschlag gefunden haben, wurde der 94-jährige Visionär Yona Friedman mit dem Friedrich-Kiesler-Preis 2018 ausgezeichnet.

„Yona Friedman ist ein Agent auf der Suche nach neuen Lösungen des menschlichen Zusammenlebens im urbanen Raum“, sagt Peter Bogner, Direktor der in Wien beheimateten Friedrich-Kiesler-Stiftung, die den mit 55.000 Euro dotierten Preis biennal vergibt. „Mit seinen Ideen setzt er in unglaublicher Weise in Architektur, Kunst, Soziologie, Ökologie und neuen Medien das fort, womit sich schon Friedrich Kiesler zeit seines Lebens befasste. So wie Kiesler das Endless House in Gedanken errichtete, so baut Friedman seit Ewigkeiten an der endlosen Stadt. Das ist ein enorm essenzieller Beitrag zur Architektur und Stadtplanung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und doch hat Friedman nie den Ruhm bekommen, der ihm eigentlich gebührt.“ Das soll sich nun ändern.

Yona Friedman wurde am 5. Juni 1923 in Budapest geboren, wo er an der technischen Hochschule Architektur studierte. Er flüchtete während des Studiums nach Israel, um seine Ausbildung fortzusetzen. 1956 präsentierte er auf dem Congrès International d’Architecture Moderne in Dubrovnik sein Konzept einer mobilen Architektur. 1957 zog er nach Paris, wo er bis heute lebt. Kurz darauf veröffentlichte er das Manifest L’Architecture Mobile und gründete die Groupe d’etude d’architecture mobile. Zu seinen wichtigsten Projekten zählt die Ville Spatiale.

Über den Dächern

Anders als bei seinen Zeitgenossen Le Corbusier, Archigram und den japanischen Metabolisten, die historische Stadt am liebsten abgerissen und neu gebaut hätten, handelte es sich bei der „Räumlichen Stadt“ – so die wörtliche Übersetzung – niemals um einen Ersatz der historisch gewachsenen Metropole, sondern immer nur um eine Ergänzung, um eine dreidimensionale Struktur über den Dächern.

Damit hat Friedman schon früh vorweggenommen, was sich in den Achtziger- und Neunzigerjahren in der europäischen Großstadt in Form von Dachgeschoßausbauten und Aufstockungen als Realität erweisen sollte. „Ich glaube, dass Ideen wichtiger sein können als die Objekte selbst“, sagt Friedman, der an der Harvard University, an der Princeton University sowie am Massachusetts Institute of Technology (MIT) lehrte und bis heute publizistisch tätig ist. „Eine Auffassung, die 2500 Jahre zurückreicht, aber oft vergessen wird.“ Nun wird genau dieser Ansatz gebührend gewürdigt. Der Preis soll am 5. Juni, am 95. Geburtstag Friedmans, in Wien überreicht werden.

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