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Alles für die Fische?
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Seit Jahrzehnten dient der Flakturm im Esterházypark dem „Haus des Meeres“ als Quartier. Vor der Wahl zwischen Mahnmal und Aquarium hat sich Wien nun für Letzteres entschieden. Kann man mit dieser Entscheidung leben?

7. April 2018 - Christian Kühn
Was ist das: Es ist grau wie ein Elefant, hat Ohren wie die Mickymaus und meterdicke Wände aus Stahlbeton? Die meisten alteingesessenen Wiener werden erraten, dass einer der sechs Flaktürme gemeint ist, die während des Zweiten Weltkriegs jeweils als Paare von Geschütz- und Leitturm errichtet wurden. Die Standorte – zwei im Arenbergpark, zwei im Augarten und zwei im sechsten Bezirk – sind strategisch so gewählt, dass sie ein Dreieck um die Innere Stadt ergeben. Ursprünglich war das Dreieck weiträumiger geplant; die zentrumsnahe Anordnung erfolgte schließlich weniger aus militärischen Gründen, sondern vor allem, um Präsenz in der Stadt zu zeigen. Nach dem „Endsieg“ sollten die Türme zu Denkmälern werden, verkleidet in schwarzem Marmor, mit eingemeißelten Namen gefallener Soldaten. Die charakteristischen auskragenden Plattformen wären in runden Ecktürmen verschwunden.

Die Flaktürme sind herausragende Mahnmale des Faschismus in Österreich. Sie waren Teil des totalitären Machtapparats des NS-Regimes und sind daher Erinnerungsorte, die mit größter Sensibilität zu behandeln sind. Fünf der Türme stehen unter Denkmalschutz und werden weitgehend im Zustand von 1945 erhalten. Die Ausnahme bildet der Turm im Esterházypark, einer kleinen Grünoase im sechsten Bezirk. Sie geht auf einen Barockgarten zurück, zu dem auch ein 1970 abgerissenes Barockpalais gehörte. Der Turm im Esterházypark ist von allen Flaktürmen jener mit der größten öffentlichen Präsenz und war daher seit 1945 Anlass zahlreicher Vorschläge zu einer Umnutzung oder Erweiterung. Die ersten Projekte aus den frühen 1950er-Jahren laufen auf ein Verstecken des Turms in einer Ummantelung aus Wohnungen hinaus. Die Arbeitsgruppe 4 (Holzbauer, Kurrent und Spalt) projektierte 1958 bis 1962 mehrere Varianten, die vorsahen, alle sechs Türme als Sockel für Hochhäuser zu nutzen. Aus der militärstrategischen Anordnung im Dreieck wäre so eine städtebauliche Großfigur geworden. Hans Hollein skizzierte 1960 skulpturale Aufbauten auf dem Turm im Esterházypark, Christo wollte ihn in den 1970er-Jahren temporär verhüllen.

Unbeeindruckt von diesen Ideen wuchs im Inneren des Turms das Haus des Meeres zum Hauptnutzer heran, der sukzessive das gesamte Gebäude in Anspruch nahm. Bei der Gründung 1956 teilte man sich das Haus noch mit den Wiener Volkshochschulen und richtete auf zwei Geschoßen die ersten Meerwasserbecken ein. Träger des Unternehmens war ein privater Verein, dessen Mitglieder mit großem persönlichem Einsatz am Ausbau ihres Aquariums zu einer Institution arbeiteten, die 2015 mit knapp 570.000 Besuchern den achten Platz unter den touristischen Zielen Wiens einnahm. Sie ist als GmbH und Privatstiftung organisiert und erwarb den Turm, den die Stadt Wien im Jahr 2000 vom Bund übertragen bekam, 2015 um einen Euro im Eigentum.

Das für die heutige Situation wichtigste Projekt für eine Erweiterung stammt von Wilhelm Holzbauer und geht auf das Jahr 1998 zurück. Es sah eine Aufstockung um mehrere Geschoße für eine Mischung aus Hotelnutzung und Kaffeehausmuseum vor. Zur Erschließung sollten dem Turm ein Panoramalift und ein Treppenhaus vorgesetzt werden; an der Rückseite schlug Holzbauer eine Art Rucksack aus Glas vor, ein dreiecksförmiges Tropenhaus für das HdM. Die Aufstockung scheiterte am Widerstand des Bezirks; umgesetzt wurde nur das Tropenhaus, das im Jahr 2000 eröffnet wurde und heute eine zentrale Attraktion des HdM ist, obwohl es dort kaum Fische gibt; dafür Vögel und frei laufende Affen.

Etwa zur selben Zeit, 1997 bis 2002, erfolgte eine Umgestaltung des Parks nach Plänen von Dimitris Manikas und den Landschaftsarchitekten Auböck und Kárász. Der Park wurde besser nutzbar, der Zugang über eine breite Freitreppe und eine Rampe von der Gumpendorferstraße, in die eine Brunnenskulptur integriert ist, erleichtert. Seit vergangenem Jahr ist die Begrenzungsmauer dieser Skulptur knallblau übermalt und mit Fischen verziert, eine ästhetische Verirrung, die offensichtlich mit Unterstützung von Bezirk und Behörden erfolgt ist. Das HdM bezeichnet das Tropenhaus, vor dessen Eröffnung es nur 150.000 Besucher jährlich gab, als Wendepunkt seiner Entwicklung. Seit 2003 darf es sich offiziell als „wissenschaftlicher Zoo“ bezeichnen und ist damit eine von nur sechs solchen Institutionen in Österreich. Im Jahr 2003 entließ das Bundesdenkmalamt den Turm aus dem Denkmalschutz, was vom HdM als klares Signal interpretiert wurde, dass die Bedeutung des Turms als Mahnmal in den Hintergrund treten darf. Zur Erinnerung an die Geschichte wurde ein Gedenkraum im Inneren eingerichtet. Weitere Baumaßnahmen, wie die Anbringung eines zweiten Glashauses für das Krokodilbecken im Jahr 2007, das den Holzbauer'schen Zubau etwas unglücklich spiegelt, sollten in erster Linie die neue Funktion eines städtischen Zoos zum Ausdruck bringen.

Diesem Anliegen stand eine Beschriftung des Turms im Weg, die auf das Jahr 1991 zurückgeht und vom amerikanischen Konzeptkünstler Lawrence Weiner stammt. In riesigen Buchstaben nimmt sie auf die Novemberpogrome des Jahres 1938 Bezug: „SMASHED TO PIECES (IN THE STILL OF THE NIGHT)“. Die Schrift war temporär konzipiert, wurde aber vertraglich in ein dauerhaftes Kunstwerk umgewandelt und spielte daher bei weiteren Überlegungen immer eine Rolle. Unter diesen Voraussetzungen begann ein Prozess, der vom HdM – aus dessen Perspektive verständlich – als Leidensgeschichte gesehen wird. Ausgehend von Holzbauers Idee einer Aufstockung und eines vorgesetzten Liftturms, versuchte der Zoo eine Expansion nach oben. Ein Projekt, das die Aufstockung um ein großes Haifischbecken, ein Restaurant und einen relativ zarten Liftturm vorsah, wurde vom Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung abgelehnt. Bewilligt und ausgeführt wurde schließlich nur das Restaurant mit umlaufender Terrasse. Im Jahr 2016 kam ein neues Projekt für einen Lift und weitere Anbauten vor den Fachbeirat, eine inakzeptable gestalterische Entgleisung, die vom Beirat zu Recht mit dem Argument einer „Überfrachtung“ abgelehnt wurde.

An dieser Stelle wäre die Magistratsabteilung 19, zuständig für Architektur und Stadtgestaltung, gefordert gewesen, die Dimension des Projekts auf ein Ausmaß zurückzuführen, das die Interessen des Zoos mit jenen des Stadtraums und des Mahnmals verträglich macht. Am Ende hätte ein geladener Wettbewerb auf der Basis eines interdisziplinären Fachgutachtens stehen können. Stattdessen trat die MA19 die Flucht nach vorne an und ließ in einem Prozess, der von den Architekten des HdM als „kooperatives Verfahren mit der MA19“ bezeichnet wird, eine Lösung erarbeiten, die den Flakturm hinter einem teilweise verglasten Volumen verschwinden lässt, das Lift, Treppen und Kubaturen für spätere Erweiterungen integriert. Gekrönt wird es vom aktuellen Symbol ökologischen Fortschrittsbewusstseins: einem Flugdach mit Solarzellen. Auf eine Neuvorlage vor dem Fachbeirat, der vom Projekt aus der Zeitung erfuhr, hat die MA19 verzichtet.

Dieses Projekt ist aus Perspektive der Gedenkkultur eine Schande und aus architektonischer Perspektive eine Banalität. Die Stadt Wien und das HdM hätten Besseres verdient. Sollte es tatsächlich realisiert werden, kann sich die MA19 selbst den „Schorsch“ verleihen, die Trophäe für die 20 besten Bauten eines Jahres, ausgewählt von einer Jury aus eigenen Beamten. Die kleine Skulptur dafür wird jedes Jahr von einem Mitarbeiter der MA19 neu gestaltet. Wenn es so weit ist, sollte man auf den Schorsch des Jahres 2016 zurückgreifen, der die Hände vor dem Gesicht zusammenschlägt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

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