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Bühnenreife Stücke
Der Standard

Man kann Großprojekte in der Tat auch ganz ohne Drama realisieren – ohne Skandale, ohne Kostenexplosionen, ohne jahrelange Bauverzögerungen. Eine Ausstellung zeigt die interessantesten Opern- und Theaterhäusern Europas.

7. April 2018 - Wojciech Czaja
Die Verfolgung seines Kriegsgegners Pompejus treibt Julius Caesar nach Alexandria. Allein bei seiner Ankunft ist das geplante Mordeswerk bereits vollbracht. Zur Begrüßung überreicht ihm der ägyptische König Ptolomäus eine Suppenschüssel, aus der er des Feindes Kopf mit weit aufgerissenen Augen an den Haaren zieht. Pompejus ist tot. Der erste Akt hat soeben erst angefangen.

Als Carl Heinrich Grauns Stück Cleopatra e Cesare am 7. Dezember 1742 uraufgeführt wurde, war das Hofopernhaus, die heutige Staatsoper Unter den Linden, noch nicht einmal fertiggestellt. Der Auftraggeber Friedrich II. hatte es offenbar eilig. Ganze zehn Monate vor der geplanten Fertigstellung drängte der preußische König ohne Rücksicht auf finanzielle und baulogistische Verluste, das von Architekt Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff geplante Haus provisorisch zu eröffnen, während die Baustelle hinter den Kulissen, so erzählt man sich, noch lange Zeit im Argen lag.

Mit der Nachhaltigkeit, wie sich noch weisen sollte, nahm man es damals nicht so genau. Nachdem sich das schnell errichtete Opernhaus im Betrieb zum Teil als unpraktisch erwiesen hatte, musste es bereits 1788 zum ersten Mal umgebaut werden. Friedrich Wilhelm II., der Nachfolger Friedrichs II., ließ die Bühne und den Zuschauerraum von Carl Gotthard Langhans, dem Architekten des Brandenburger Tors, rigoros umgestalten. Zum ersten Mal nach 46 Jahren hatten nun auch die Besucher außerhalb des Königshauses die Möglichkeit, Platz zu nehmen und den Vorstellungen sitzend beizuwohnen.

„Opern- und Theaterhäuser waren immer schon spezielle Bauaufgaben, die in der Architektur der Stadt eine besondere Rolle einnahmen“, sagt Andrea Jürges, Kuratorin und stellvertretende Direktorin des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt am Main. „Und offenbar sind Kostenüberschreitungen, Bauverzögerungen und Skandale auch damals schon an der Tagesordnung gestanden. Doch es geht auch anders, und daher haben wir uns entschieden, einen Blick auf dieses architektonische Genre zu werfen und unterschiedliche Bauten dieser Art miteinander zu vergleichen.“

Der Staatsoper Unter den Linden in Berlin, die in den vergangenen Jahren generalsaniert und mit einer Anhebung der historischen Saaldecke akustisch ertüchtigt wurde (Foto links), stehen Opernhäuser und Theaterbauten in ganz Europa gegenüber: Gezeigt werden unter anderem der Kulturpalast Dresden, das Düsseldorfer Schauspielhaus, die Elbphilharmonie Hamburg, die Opéra de Lyon, die Philharmonie de Paris, das National Theatre in London, das Shakespeare-Theater in Gdańsk sowie das 2013 nach Plänen des britischen Architekten Terry Pawson sowie der österreichischen Partnerbüros Architektur Consult und Dworschak Mühlbachler Architekten errichtete Musiktheater in Linz (Foto rechts).

„Ein großer Unterschied zwischen damals und heute ist der Kontext zwischen Stadt und fiktiver Welt“, erzählt Jürges. „War es zu Zeiten Wilhelms noch üblich, den Besucher bereits am Haupteingang von der Wirklichkeit abzuschneiden und in eine Fantasiewelt zu entführen, findet der Übergang heute meist erst am Eingang in den Theatersaal statt. Wir beobachten, dass das Foyer und die Pausenräumlichkeiten der neuerrichteten Häuser immer stärker mit dem öffentlichen Raum kommunizieren – manchmal über bewusst gesetzte Stadtfenster, manchmal über großzügig verglaste Fassaden wie etwa im Falle des Linzer Musiktheaters, das selbst schon wie eine Loge in die Stadt wirkt.“

Ein weiterer Wandel liegt im zunehmend größer werdenden Backstagebereich. Früher waren Bühnenraum und Zuschauerbereich meist gleich groß. In den vergangenen Jahrzehnten jedoch wird der für den Besucher unsichtbare Bühnen- und Technikbereich mit Hinter- und Seitenbühnen, die im Betrieb mit wechselndem Repertoire für die Parkierung der Prospekte nötig sind, immer größer und größer. Hinzu kommt, dass ein modernes Opernhaus logistisch reibungslos funktionieren und bereits über diverse Probebühnen und sämtliche Werkstätten verfügen muss.

„Früher, als man Opern- und Theaterstücke noch en suite aufgeführt hat, waren die Theaterwerkstätten meist ausgelagert, oft auch außerhalb der Stadt. So etwas wäre in einem Neubau heute undenkbar. Wer wettbewerbsfähig sein will, der muss den gesamten Betrieb nach Möglichkeit unter einem Dach bündeln.“ Die Berliner Staatsoper beispielsweise wurde im Zuge der Sanierungsarbeiten um eine neue Montage- und Lagerhalle unter dem angrenzenden Bebelplatz erweitert.

Davon kann man sich in der Ausstellung Große Oper, viel Theater? – so der offizielle Titel der kürzlich eröffneten Schau – ein konkretes historisches und zeitgenössisches Bild machen. Anlass für die ungewöhnlich zusammengestellte, lediglich auf Europa fokussierte Ausstellung ist die geplante Neuorganisation der Städtischen Bühnen Frankfurt, die aufgrund ihres teilweise desolaten Zustands hinter den Kulissen in den kommenden Jahren saniert, umgebaut oder auch völlig neu errichtet werden sollen. Über die unterschiedlichen Bauvarianten liegt eine vor wenigen Monaten der Öffentlichkeit präsentierte Machbarkeitsstudie vor, die die Vor- und Nachteile sowie die jeweiligen Bau- und Betriebskosten einander gegenüberstellt.

„Oper, Theater und Bühne sind heute ein viel offenerer und demokratischerer Raum als noch vor zehn oder zwanzig Jahren“, sagt Andrea Jürges. „Es sind öffentliche Gebäude, die den Bürgern der Stadt gehören und auch von ihnen finanziert werden. Daher finde ich die transparente Vorgehensweise der Frankfurter Stadtregierung sehr begrüßenswert. Wir möchten uns an diesem Diskussionsprozess aktiv beteiligen.“ Es ist eine minutiös gestaltete Ausstellung mit Lernpotenzial für Otto Normalverbraucher, aber auch für Auftraggeber und Entscheider.

Nach einigen Termin- und Budgetskandalen rund um deutsche Großprojekte bricht nun eine Zeit der zivilgesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Emanzipation an. So eine bühnenreife Vorgehensweise würde man sich auch für so manch österreichisches Bauvorhaben wünschen.
„Große Oper, viel Theater? Bühnenbauten im europäischen Vergleich“ im Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main. Zu sehen bis 13. Mai 2018.

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