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Das Bauhaus inzenierte sich selbst. Nun bröckelt der Mythos vom schlichten Leben
Neue Zürcher Zeitung

Eine Revolution des alltäglichen Designs kündigte die Bauhaus-Schule an und produzierte am Ende eine kleine Anzahl von Luxusobjekten. Das geht mit der bisherigen Wahrnehmung nicht zusammen. Nicht zuletzt die allen zugänglichen Online-Archive eröffnen eine neue Perspektive.

11. Mai 2019 - Sabine von Fischer
Die Bauhäusler wollten den Alltag umkrempeln und begannen gleich beim Abwasch: Automatisiert wurde Seife durch einen an der Wand montierten Schlauch dem Spülwasser beigegeben, das saubere Geschirr dann mittels Durchreiche an den Esstisch befördert. Wie diese bessere Hygiene aus massenproduzierter moderner Form aussehen würde, demonstrierte der 1926 aufgenommene Film «Wie wohnen wir gesund und wirtschaftlich?». Darin posierten vor allem Arbeiter, Handwerker und Dienstmädchen, denen das moderne Design das bessere Leben bringen sollte.

Der erste Bauhaus-Direktor Walter Gropius, der unter dem Label Bauhaus den Alltag mit Kunsthandwerk und später auch Industrieprodukten für alle reformieren wollte, kontrollierte seinen öffentlichen Auftritt streng. In dieser Mission ging er so weit, das Marmorwaschbecken in seinem Direktorenhaus in der Meisterhaussiedlung – übrigens alles Häuser, die problemlos schon damals als Villen durchgingen – 1930 für eine Publikation zu manipulieren und wie schlicht-weisses Porzellan aussehen zu lassen: ein alltägliches Waschbecken. Auf solche Widersprüche zwischen Selbstinszenierung und Realität verweist die Architekturhistorikerin Robin Schuldenfrei in ihrem im letzten Jahr erschienenen Buch «Luxury and Modernism».

Alltag wird Luxus

Darin erzählt sie auch die Geschichte der silbernen Teekanne mit Elfenbeingriff. Diese ist wohl das berühmteste Objekt der schmalen Produktepalette, entworfen von Marianne Brandt, und bürgte für tropffreies Giessen ­– für die wenigen, die sie sich leisten konnten. Das fünfteilige Teeservice kostete 180 Mark, das entsprach dreimal dem Wochenlohn eines Arbeiters. Die käuflichen Designobjekte im Prospekt der Bauhaus-Werkstätten richteten sich an die Elite.

Der Wassily-Stuhl, die silberne Keksdose, auch die elektrischen Leuchten dienten kaum dem Alltag der einfachen Leute – wo doch die meisten Haushalte um 1920 noch gar nicht elektrifiziert waren. Wohl aber der Verbreitung der Ideen des Bauhauses. So denkt es die Architekturhistorikerin Schuldenfrei in ihrer kritischen Neuerzählung der deutschen Moderne. Sie verurteilt die feinhandwerkliche Produktion von Luxus nicht, sondern analysiert ihr Programm: Diese hochpreisigen Design-Ikonen waren Teil der Verkaufsstrategie der Marke Bauhaus.

Ein Mythos bröckelt

Hundert Jahre seit der Gründung des Bauhauses sind Zeit genug, ein grosses Jubiläum zu feiern, aber sie haben nicht gereicht, ein klares Bild vom Bauhaus zu zeichnen. Über weite Strecken fördert das laufende Jubiläumsjahr alte Klischees zutage. Den Mythos einer formal stringenten, im Alltag verankerten Schule, wie ihn Walter Gropius in den Publikationen der 1920er Jahre in Deutschland und später in Amerika prägte.

Über den Vorkurs, den ich einst selbst an der Zürcher Schule für Gestaltung absolvierte, sagte ich jeweils stolz, dass er nach Johannes Ittens Vorkurs am Bauhaus modelliert sei. Alle waren beeindruckt, ich am meisten. Und wie ernüchtert stand ich dann einige Jahre später vor Gropius’ Wohnhaus in Lincoln, Massachusetts, vor einer didaktischen Box ohne viel Schwung oder Geste. War dies nun der vielzitierte «Bauhausstil», der auch schon als Vorläufer der «Ikeaisierung» unserer Wohnwelten bezeichnet wurde? Die vor hundert Jahren initiierte Rhetorik der Bauhäusler hat sich verselbständigt und bis in unsere Generation fortgesetzt.

Was der Mythos Bauhaus vergisst: Es gab nicht ein Bauhaus, sondern mehrere. Der zweite Direktor, der Schweizer Hannes Meyer, schrieb 1930 in seinem offenen Brief anlässlich seines Hinauswurfs über die Konflikte zwischen Alltagstauglichkeit und Kunstanspruch: «So entstand meine tragikomische Situation: Als Bauhausleiter bekämpfte ich den Bauhausstil.»

Weshalb also hat sich die Vorstellung, das Bauhaus sei eine Einzahl und ein Stil, so hartnäckig gehalten? Man könnte denken: wegen des Namens, weil er so einprägsam ist. Doch schon die Assoziationen, die in dieser Namensgebung angelegt sind, erweisen sich als unüberschaubar. «Bauhaus» lehnt sich an die Handwerkergemeinschaften der mittelalterlichen Bauhütten genauso an wie an die Neue Sachlichkeit, die sich im Wortbild der meist kleingeschriebenen Bestandteile «bau» und «haus» spiegelt. Diese Ambivalenz setzt sich während der ganzen vierzehn Jahre der Bauhaus-Schule fort. Dort wurde nämlich über wenig, nicht einmal über die gerne zitierte Knoblauchdiät, so viel gestritten wie über die richtige Form.

Die Meinungen über die pädagogische Verbindung von Kunst und Handwerk gingen schon in den frühen Jahren in Weimar auseinander, unter der Leitung von Walter Gropius, den Paul Klee wegen seines aristokratischen Auftretens mit früh ergrautem Haupt «Silberprinz» taufte. Später in Dessau wurde zwar endlich auch gebaut und im Zusammenschluss mit der Industrie die Massenproduktion erforscht. Doch als die Leitung 1928 an den charismatischen und polarisierenden Hannes Meyer überging, waren die inneren Konflikte bereits virulent. Für ein letztes kurzes Semester zog das Bauhaus mit Mies van der Rohe als drittem Direktor nach Berlin, wo man hoffte, die Schule mit einem apolitischen Auftreten zu retten – vergeblich.

Keines der Ziele, weder die kostengünstige noch die Produktion für alle, wurde erreicht. Dass der Versuch so kurzlebig war und nach vierzehn Jahren schon abgebrochen wurde, hatte bestimmt auch mit der fehlenden Finanzierung und der zunehmenden Einflussnahme der Nationalsozialisten zu tun. Vor allem aber waren es die eigenen Widersprüche, an denen das Bauhaus scheiterte: dass es Alltag und Luxus nicht auseinanderhalten konnte. Dies allerdings bringt erst die jüngere Forschung ans Licht, denn der Mythos eines alltagstauglichen Bauhauses wurde aus verschiedenen Quellen lange genährt.

Amerika schrieb Bauhaus-Geschichte

Jede Epoche schreibt die Geschichte nach ihrer eigenen Einschätzung. So stellt sich die Frage, welche Bauhaus-Geschichte das 21. Jahrhundert will. Sucht man nach den Ursprüngen dieser Reduktion der Bauhaus-Vergangenheit auf den schlichten Lebensstil und die formal stringente Form, landet man rasch in Amerika.

Hannes Meyer verliess das Bauhaus Richtung Osten und widmete sich neuen Themen, jedenfalls nicht der retroaktiven Konsolidierung der Bauhaus-Programme. So verblasste seine Sicht auf die Dinge in der historischen Wahrnehmung. In Amerika dagegen, am New Bauhaus in Chicago, am Black Mountain College in North Carolina und vor allem an der Universität Harvard in Massachusetts, wo Walter Gropius lehrte, war die Erinnerung selektiv. Die Verflachung der Bauhaus-Idee für die Nachwelt war hausgemacht von den Bauhaus-Protagonisten selbst. Der «New Yorker» formulierte es kürzlich so: «Das Bauhaus wurde in dem Moment ein internationaler Stil, als es aufhörte, eine Schule zu sein.»

Das Bauhaus stellte durch seine universalen Ansprüche eigenhändig sicher, dass es so weitherum akzeptiert, aber gleichzeitig missverstanden wurde. So analysierte es die «New York Times». Als langjähriger Kurator des Museum of Modern Art in New York versteht der Autor Barry Bergdoll genau, dass diese Institution schon lange die globale Meinungsmacherin in der Architektur ist.

Einen fulminanten Start solcher Einflussnahme auf die postume Wahrnehmung des Bauhauses machte das Museum 1932 mit «The International Style». Kurator war damals der 27-jährige Philip Johnson, der auch in der späteren Wahrnehmung des Bauhauses eine zentrale Rolle spielte. 1938 folgte, im selben Museum, die Ausstellung «Bauhaus 1919–1928», in der Walter Gropius ein entschlossenes, geeinigtes und formal prägnantes Bauhaus skizzierte, das sich in der Folge in die kollektive Erinnerung eingeschrieben hat.

Plattgewalztes Nachbild

Das Crescendo der Geschichtsmanipulation lieferte schliesslich sarkastisch und mit dem eingängigen Titel «From Bauhaus to Our House» 1981 der Mitbegründer des New Journalism Tom Wolfe. Die Phantasielosigkeit, mit der die amerikanische Bauindustrie auf Gropius’ Ideen reagierte, schilderte er erbarmungslos, auch wie in direkter Linie auf den Silberprinzen die amerikanischen «Grays» und «Whites» (also Architektengruppen, die auf Farblosigkeit beharrten) folgten. Dass die amerikanischen Architekten den «weissen Göttern» – gemeint sind die Bauhaus-Emigranten – hörig gewesen seien, erklärt Wolfe in einem wortstarken Rundumschlag, der übrigens in Harry Rowohlts Übersetzung noch absurd-irrer erscheint, als er es im Original schon ist. Am Ende bleibt nur ein plattgewalztes Nachbild einer aus Europa importierten Moderne namens Bauhaus.

Wolfes Grand Tour durch die amerikanische Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts führte es allen vor: Das Geld bestimmt den Stil. War das Bauhaus noch notorisch pleite gewesen, verfügte dann aber Philip Johnson dank seinem Erbe von Aluminiumindustrie-Aktien über ein riesiges Vermögen. Als Kurator und Mäzen wurde er zum Königsmacher der amerikanischen Architektur, als Architekt dann zum allerersten Pritzkerpreisträger.

Johnson nahm sich von der Bauhaus-Schule nur die Stildefinition. Die Rhetorik zu Alltag und Volksgesundheit, die sozialen und gesellschaftlichen Aspekte liess er kurzum beiseite. Sein berühmtes Glashaus in New Canaan, mit dem er sein Vorbild Mies van der Rohe übertreffen wollte, ist heute restauriert und von Zigarrenrauch und Schimmel in den Ledertapeten befreit.

Doch wozu taugte die Glasbox à la Bauhaus américaine? Nicht zu allem: Für seine privaten Affären zog sich Johnson jeweils in ein blickdichtes Backsteinnebengebäude zurück. Darüber, und auch über seine Begeisterung für den Faschismus, redete man erst postum, nachzulesen in Mark Lamsters «The Man in the Glass House» aus dem Jahr 2018 – als der Mythos des Bauhauses zu bröckeln begann.

Mythenbildung am unscharfen Objekt

Diese in der amerikanischen Emigration verflachte Moderne, von Museen und Mäzenen zum Bauhausstil nobilitiert, wurde nach Europa zurückexportiert und globalisiert. Es ist nicht nötig, die ganze Wolfe-Erzählung des Bauhaus-Vermächtnisses zu lesen, um zu verstehen, dass die derzeitige Stilisierung des Bauhauses zur universalen Quelle aller gestalterischen Ideen seit 1920 hinterfragt werden muss.

In der Architekturgeschichte gibt es eine Parallele, in der ein Mythos die Disziplin lang beherrschte und unter geschärftem Blick auf die Tatsachen dann rasch verblasste: Bevor der für die Weltausstellung im Jahr 1929 von Mies van der Rohe entworfene Barcelona-Pavillon rekonstruiert wurde, gab es ihn nur auf unscharfen Fotografien. Er war Projektionsfläche und Objekt der Begierde für zwei Generationen von Architekturkritikern. Seit er 1986 wieder steht, inspiriert er kaum mehr Theorien oder Phantasien. Elegant und erhaben ist der kleine Bau noch immer – doch seine Wirkungskraft hatte er nur so lange, wie er nicht existierte.

Mythenbildung funktioniert am besten am unscharfen Objekt, und das war das Bauhaus lange. Ein genauerer Blick ist dank der umtriebigen Euphorie zum Hundert-Jahre-Jubiläum nun für alle möglich: Von Berlin (Bauhaus-Archiv) bis Los Angeles (Getty Archives) wurden viele und vielfältige Dokumente online gestellt, es kann also durch die Originalmaterialien gesurft werden, sogar auf dem Handy. In jeder einschlägigen Buchhandlung können Reprints der bisher in Bibliotheken meist nur mit weissen Handschuhen greifbaren Bauhaus-Publikationen gekauft werden – weltweit. Lars Müller Publishers beispielsweise haben bisher vier der vierzehn gedruckten Bauhaus-Bücher und Faksimile der Bauhauszeitschriften neu herausgegeben. Jetzt, da so viel (auch der digitalisierte Film «Wie wohnen wir gesund und wirtschaftlich?», dem die Abbildungen entnommen sind) für alle abrufbar ist, könnten wir die Bauhaus-Klischees revidieren.

Wer noch nicht ermüdet ist, hat im Jahr 2019 viele Möglichkeiten zu entdecken, wie experimentell, vielfältig und kreativ die Bauhaus-Schule war. Damit eröffnen sich neue Wege, die Gegenwart zu inspirieren, ganz ohne Selbstzensur oder Beschönigung, sondern so wild und widersprüchlich, wie es auch das Bauhaus war.
Back to the roots. Bauhaus: Building the New Artist, Getty Archives, ab 11. Juni (nur online: http://www.getty.edu/visit/cal/events/ev_2520.html)

Bauhaus-Zeitschrift 1926–1931: Faksimile, Hrsg. Lars Müller in Zusammenarbeit mit Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung (deutsch und englisch).

Bauhaus-Bücher 1, 2, 5, 8, Hrsg. Lars Müller (englisch, z. T. erstmals übersetzt)

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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