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Palast der Hoffnung
Spectrum

Ein Schulgebäude, das auch als Headquarter eines internationalen Unternehmens gute Figur machen würde – eine unmögliche Gleichung, mit Erfolg gelöst in Hard am Bodensee.

19. Januar 2019 - Christian Kühn
Die Headquarter großer Unternehmen sind die Paläste von heute. In Vorarlberg, das schon früher in der postindustriellen Gesellschaft angekommen ist als der Rest Österreichs, finden sich einige schöne Exemplare dieser Gattung. Sie sind nicht nur Nutzbauten, sondern auch Monumente, mit denen die Auftraggeber ihrer unternehmerischen Leistung ein Denkmal setzen wollen. Das gilt für kleinere Unternehmen wie SIE-Solutions, das sich von Marte/Marte einen Turm in Lustenau planen ließ, für Großunternehmen wie Doppelmayr, dem das Wiener Büro AwG ein Stück Skyline nach Wolfurt in die Ebene des Rheintals verpflanzte, oder für mittelgroße Unternehmen wie die Elektronikfirma Omicron, die sich im Ort Klaus von Dietrich/Untertrifaller eine Hofstruktur für 200 Arbeitsplätze planen ließ.

Das neue Gebäude am Ortsrand von Hard könnte sich problemlos als Headquarter eines mittelgroßen Unternehmens verkaufen. Einige Ähnlichkeiten mit dem Omicron-Gebäude sind frappant, etwa die u-förmigen, an drei Seiten gefassten Höfe, deren vierte Seite von einer großzügigen, überdeckten Terrasse gebildet wird, die es den Nutzern erlaubt, ihren Aufenthalt jederzeit ins Freie zu verlegen. Verwandt sind auch die umlaufenden Balkone und die weitgehend verglaste Außenhaut, in der sich fixe Verglasungen und Öffnungsflügel abwechseln. In beiden Fällen sind viele der Innenwände in Glas aufgelöst und erlauben so den Sichtkontakt zwischen den Nutzern.

Dass es sich bei dem vom Büro Baumschlager Hutter entworfenen Gebäude in Hard nicht um einen Unternehmenspalast, sondern um ein Schulgebäude handelt, eine Volksschule für 350 Kinder und eine Neue Mittelschule für 300, würde man auf den ersten Blick nicht vermuten. Die Assoziation zwischen Palast und Schule muss freilich nichts Negatives sein: „Wer Kindern Paläste baut, reißt Kerkermauern nieder“, hat schon Julius Tandler, Wohlfahrtsstadtrat des Roten Wien, Ende der 1930er-Jahre postuliert. Aber sollte ein Haus für Kinder nicht kindgerechter aussehen, bunt und ein bisschen wie ein Spielzeug? Ist die Monumentalität dieses Gebäudes, in dessen Grundriss es keinen schiefen Winkel gibt, nicht ein Schritt zurück ins 19. Jahrhundert?

Wer das Haus während des Schulbetriebs besucht, wird einen anderen Eindruck gewinnen. Diese Schule mag ein Palast des 21. Jahrhunderts sein, aber sie ist zugleich ein offenes Gerüst, das es jeder Altersgruppe ermöglicht, sich den Raum bestmöglich anzueignen. Farben und Bewegung werden von den Kindern selbst in die Räume gebracht, Möbel und Einrichtung sind an die Bedürfnisse der jeweiligen Altersgruppe angepasst. Kindgerecht ist diese Architektur: in den angenehmen Materialien und Oberflächen und vielfältigen Lichtstimmungen. Alle Details sind mit großer Sorgfalt geplant und ausgeführt; die Haustechnik ist bewusst „lowtech“ gehalten. Eine Besonderheit der Schule ist der gemeinsame Unterricht von mehreren Jahrgängen in einem sogenannten „Cluster“, also einer Raumgruppe mit einer gemeinsamen Mitte. Jeder Cluster verfügt über einen Teamraum für die Lehrer, drei Klassenzimmer mit Glaswänden und drei kleinere Räume für Sonderunterricht oder Projekte. Die gemeinsame Mitte kann flexibel bespielt werden. Die Schule ist in neun solche Cluster organisiert, von denen jeweils drei übereinandergestapelt und einem Hof oder einer Terrasse zugeordnet sind: Auf der untersten Ebene werden die Sechs- bis Achtjährigen zusammengefasst, auf der mittleren die Neun- bis Elfjährigen und auf der obersten die Zwölf- bis 14-Jährigen. Der jahrgangsübergreifende Unterricht erlaubt es den Lehrerinnen und Lehrern, besser auf die individuellen Bedürfnisse einzugehen, und bietet allen Kindern Erfolgserlebnisse, wenn sie einmal als älteste in einem Cluster den jüngeren beim Lernen zur Seite stehen können.

Diese Aufteilung der Schüler bedingt, dass im mittleren Cluster ein Drittel der Schüler noch der Volksschule zugeordnet ist und zwei Drittel bereits der NMS. Die pädagogischen Leiter der beiden Schulen, Karin Dorner in der Volksschule und Christian Grabher von der NMS, haben diese Form bereits am alten Standort sehr erfolgreich mit einem Teil der Schüler getestet und zur Grundlage des Raumkonzepts für den Neubau gemacht. Der Gemeinderat hat sich von der Begeisterung der Pädagogen für dieses Modell anstecken lassen, das die österreichische Lösung einer Bildungsselektion im Alter von zehn Jahren unterläuft. In einem Bundesland, das sowieso eine gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen anstrebt, ist das freilich keine Überraschung.

Dass im Wettbewerb für die Schule ein Projekt mit einer gewissen Monumentalität gewonnen hat, liegt nicht zuletzt am Standort der Schule unmittelbar neben dem großen Volumen eines Sportzentrums, das Hard für seine bekannte Handballmannschaft errichtet hat. Die Schule ergänzt dieses Zentrum um eine Dreifachturnhalle, die von den Architekten vom Boden abgehoben und auf Stützen gestellt wurde. Unter der Halle befinden sich Pkw-Abstellplätze und eine öffentliche Durchfahrt für einen Radweg, der gewissermaßen direkt durch die Schule führt, vorbei am ersten der drei Höfe, der mit großen Findlingen als Steingarten angelegt ist. Hier können die Kinder ihre Kletterkünste erproben.

Zwischen der Sporthalle und der Schule entsteht ein fast urbaner Straßenraum, der einen schönen Ausblick auf den See im Hintergrund bietet. In der Weite der Landschaft wirkt die Schule hier wie ein Schiff, das nur Segel setzen müsste, um zu einer Reise aufzubrechen. Mit etwas Fantasie kann man diese Segel in den Markisen aus weißem Stoff sehen, mit denen die Beschattung der Schule hergestellt wird. Aus Sicht der Bauphysik sind diese Markisen nicht mehr als eine technische Notwendigkeit, um die Überhitzung des Gebäudes zu verhindern. Aus Sicht der Kinder sind sie viel mehr: Sie machen das Haus zu einem Organismus, der auf die Umgebung reagiert, seine Sonnensegel ausfährt und dabei über den umlaufenden Balkonen noch einen eigenen, besonders geschützten Raum erzeugt.

Den Bauherren und ihren Architekten ist mit diesem Projekt etwas Besonderes gelungen: Kindern und Jugendlichen und ihren Lehrerinnen und Lehrern einen ebenso einprägsamen wie wandlungsfähigen Ort zu schenken, einen Palast der Hoffnung auf ein besseres Leben. Viel mehr kann man von einer Schule heute nicht verlangen.

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