Artikel

Mit Luft lässt sich nicht bauen, nur darum herum
Neue Zürcher Zeitung

Die Eröffnung des Bauhaus-Museums in Dessau gilt als einer der Höhepunkte der laufenden Hundert-Jahr-Feier. Allerdings zeigt seine starre Architektur wenig von der bewegten Geschichte.

11. September 2019 - Sabine von Fischer
Ein ungeheurer Klotz liegt mitten in der Innenstadt von Dessau. Eine blanke Glasfassade säumt mit über hundert Metern Länge und zwölf Metern Höhe die Kavalierstrasse und den Stadtpark. Das Versprechen im Wettbewerbsprojekt war ein anderes: Transparenz und Leichtigkeit, ein Gebäude fast aus Luft.

Passanten, Strassenbahnen, Automobile, Plattenbauten, die Marienkirche und ein Einkaufszentrum aus ausdrucksloser Investorenarchitektur, wie sie Deutschlands Osten in den 1990er Jahren überrollt hatte, spiegeln sich im Glas. Der lange Riegel, entworfen von den spanischen Jungarchitekten Addenda Architects, deutet keine Bewegung an, er greift nicht aus, er liegt starr mitten in der Stadt. Getönt, beschichtet, bedampft und mit einem Nadelstreifenmuster für den Vogelschutz bedruckt, wirkt das Glas massiv und teilnahmslos. Die Reflexionen erscheinen beliebig und bedeutungslos. Die puristische Idee eines transparenten Glaskörpers ging im realisierten Museum verloren.

Dabei hatte die Architektur in Dessau einst bewiesen, wie leicht und luftig eine Glasfassade sein kann. Die abgehängte Flachglasfassade an der Front des historischen Bauhaus-Werkstattflügels von 1926 lässt einen denken, dass Architektur eigentlich Licht und Luft sein will. Fensterreihen mit Drehscharnieren lassen sich in Serie aufklappen, in der Grossform und bis ins Detail scheint Walter Gropius’ Architektur tanzen zu wollen. Denn Theater gab es am Bauhaus nicht nur in den Aufführungen von Oskar Schlemmers «Triadischem Ballett», vielmehr sollte das ganze Leben drehen und springen.

Dessau war der zweite und auch der produktivste Standort des Bauhauses. Am letzten Sonntag, 87 Jahre nach der Verlegung der 1919 in Weimar gegründeten Schule von Dessau an ihren letzten Standort Berlin, wurde in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel das Museum eröffnet. In der riesigen erdgeschossigen Halle sass die zahlreiche Prominenz aus Kultur und Politik. Vor der Glasfassade entlang der Kavalierstrasse versuchten alle andern, durch die getönten Glasscheiben ins Innere des Neubaus zu sehen. Doch es gelang nicht so gut, wie einst in den Wettbewerbsvisualisierungen versprochen. Mit seiner tagsüber fast opaken Fassade macht sich das Haus auf den ersten Blick nicht wirklich verständlich.

Gläserne Moderne

Auf einen zweiten Blick, von innen nämlich, hat es dann doch einiges zu bieten. Im offenen Raum im Erdgeschoss beflügelt das neue Museum die Phantasie durchaus, allein schon durch die Grosszügigkeit der Halle und auch mit Momenten wie der Kunst-am-Bau-Installation von Lucy Raven. Sie führt mit verschiebbaren farbigen Gläsern vor, wie die Kunst die Wirklichkeit sehr wohl verändern und einfärben kann.

Die Stiftung Bauhaus Dessau verfügt mit 49 000 Objekten über die zweitgrösste Sammlung historischer, am Bauhaus produzierter oder für das Bauhaus-Erbe als relevant gewichteter Objekte. Die grösste Bauhaus-Sammlung befindet sich weiterhin im Berliner Bauhaus-Archiv, wo ebenfalls letzte Woche eine grosse Schau eröffnet wurde. Der Erweiterungsbau für Berlin lässt noch auf sich warten, auch dort: ein Turm aus Glas.

In Weimar wurde bereits im Frühjahr ein kleineres Bauhaus-Museum eröffnet. Der Bau wurde für seine triste und verschlossene Betonfassade weitherum kritisiert. Ganz im Gegensatz dazu versprach das Dessauer Museum eine Transparenz fast ohne Grenzen. Das gläserne Nichts, dem die Moderne so viele Spielarten widmete, ist zum Trauma der Architektur geworden.

Für die Dessauer Sammlung gibt es nun also ein Haus auf dem Stand der Zeit, in dem die empfindlichen Originale gemäss den europäischen konservatorischen Vorgaben für Kulturgüter museal gezeigt werden können. Die Eröffnungsausstellung «Versuchsstätte Bauhaus. Die Sammlung» fokussiert auf die gegenseitigen Inspirationen zwischen einzelnen Bauhaus-Figuren, wie beispielsweise Gunta Stölzl und Paul Klee, und regt schon allein mit dieser thematischen Setzung eine Bewegung durch die Fülle der Objekte an.

Aus den beiden Treppenhäusern kann die Schau wahlweise von Süden oder von Norden her betreten werden, jeweils durch einen Schlüsselmoment der Dessauer Bauhaus-Geschichte: am einen Ende durch eine Klangwolke akustisch inszenierter Debatten aus der Zeit um 1925 für und wider das Bauhaus und vorbei am zauberhaft inszenierten «Licht-Raum-Modulator» von Laszlo Moholy-Nagy. Am anderen Ende des Baus dokumentieren angekaufte Fotografien und Briefe, wie das Bauhaus Dessau 1976 in der damaligen DDR wieder als wissenschaftlich-kulturelles Zentrum aktiviert wurde.

Das Geheimnis der Black Box

Das Bauhaus war eine Gemengelage aus verschiedensten Künstlern aus aller Welt, die Schule stand allen «ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht» offen und entwickelte eine internationale Ausstrahlung. So war es nur konsequent, diese Offenheit beizubehalten. Vor viereinhalb Jahren wurde ein offener Wettbewerb ausgelobt, in dem aus 831 Einreichungen das Projekt von drei jungen Architekten aus Barcelona ausgewählt wurde. Das Team erweiterte sich im Lauf der Planungen auf fünf Personen und heisst heute Addenda Architects, bestehend aus Roberto González, Anne Hinz, José Zabala, Cecilia Rodríguez und Arnau Sastre.

Ihr siegreicher Vorschlag bestach durch seine Klarheit, die zugleich pragmatisch und radikal ist. Die Idee war bestechend: Die Black Box dient der Sammlung, das ganze Haus aber der Öffentlichkeit. In einem puristischen Glaskubus hängt weit oben ein massiver, dunkler Körper aus Beton. Diese pragmatischen Zuordnungen haben die jungen Architekten räumlich spektakulär angelegt: Die Black Box schwebt stützenfrei, wie eine Brücke auf den beiden Treppenhäusern aufgelagert, und sollte von weither sichtbar sein. In fünf Metern Höhe nimmt sie dem öffentlichen Raum im Erdgeschoss keinen Platz weg. Aussenherum dann nur noch ein Glasschleier, eigentlich fast nur Luft – das war das Bild, das der Öffentlichkeit bis letzte Woche vorgeführt wurde und das nun einer ganz anderen Realität gewichen ist.

Grenzen der Transparenz

Der Geist Mies van der Rohes, des dritten und letzten Direktors des Bauhauses und wohl des bekanntesten Verfechters von «less is more», stand dem Projekt der jungen Architekten in vielerlei Aspekten Pate. Barcelonas Architekturszene hat sich eingehend mit Mies auseinandergesetzt, nicht zuletzt wegen seines 1929 anlässlich der Weltausstellung entworfenen, weltberühmten Barcelona-Pavillons. Der Repräsentationsbau ist ein Lehrstück zu Transparenz und Spiegelung, zuerst als Mythos, als er nur noch auf unscharfen Fotos existierte, nach seiner Rekonstruktion dann als Pilgerort mehrerer Generationen von Architekten.

Josep Quetglas, der in seinem Buch «Der gläserne Schrecken» den Barcelona-Pavillon kritisch untersucht hatte, war ein Lehrer der Addenda Architects. Er hatte auch die Abgründe beschrieben, die sich im rekonstruierten Barcelona-Pavillon auftun, wenn man statt eines Nichts aus Glas eine undurchlässige, harte, spiegelnde Wand antrifft. Doch seine Lektion blieb ungehört.

Das junge Team aus Barcelona berief sich mehrfach auf Mies’ Tradition – auch in einer Inversion, als es Mies’ berühmte Phrase als «more with less» zum Motto seiner Arbeit erhob. Dies nicht zuletzt in Reaktion auf die finanziellen Bedingungen des Projekts, dessen angesichts der Anforderungen doch knapp bemessene 28 Millionen Euro je zur Hälfte aus Bundes- und Landesmitteln gesprochen waren.

Während der dreieinhalb Jahre Bauzeit gingen collagierte Bilder eines Museums, das Kavalierstrasse und Stadtpark durch seine beiden Glasfassaden durchschimmern lässt, um die Welt. Ein geheimnisvoller schwarzer Körper hängt in diesen Bildern in einem filigranen, fast aufgelösten Nichts, das mehr Luft als Gebäude ist. Die Realität hat aber auch diese Idee eingeholt: Am eingeweihten Museumsbau wiederholt sich nun der gläserne Schrecken. Glas ist ein festes Material und keine Luft.

Architektur der Freiheit

Der moderne Traum vom offenen Raum, der sich mit Stadt und Strasse verbindet, wurde mehrfach gebaut, am radikalsten wohl im Kunstmuseum von São Paulo (Masp) von Lina Bo Bardi. «Das ist die Architektur der Freiheit», soll John Cage ausgerufen haben, als er das Masp besuchte. Die jungen Architekten aus Barcelona entdeckten den Bau während ihrer Arbeit als wichtigste Referenz. Im brasilianischen Klima schwebt der verglaste Museumskubus ganz ohne «Wintermantel» über dem offenen Erdgeschoss. Dieser Vergleich der Hochleistungsverglasung mit einem Kleidungsstück ist zwar liebevoll, aber auch naiv: als ob man ihn drapieren oder abnehmen könne. Cages Freiheit ist in der äusseren Erscheinung des Bauhaus-Museums nicht zu spüren.

Der Dessauer Glaspanzer markiert das Ende einer Ära, in der eine gläserne Fassade wie ein lichter Vorhang oder fast nur Luft sein konnte. Glas ist mehr als ein Baustoff, es ist auch eine Idee, die in ein der jeweiligen Zeit angemessenes Konzept umgesetzt werden muss. Gropius’ feingliedrig tanzende Vorhangfassade am historischen Bau von 1926 wurde zum Meilenstein der architektonischen Moderne und zum Markenzeichen des Bauhauses. Addendas statischer Panzer wurde zu ihrem Gegenstück.

[ Das Bauhaus-Museum Dessau wurde am 8. September 2019 eröffnet. Der Wohntrakt im historischen Bauhaus-Gebäude von 1926 (seit 1996 Unesco-Weltkulturerbe) kann zu günstigen Konditionen für Übernachtungen gebucht werden und wird beworben mit: «Wohnen im Weltkulturerbe – Schlafen wie die Bauhäusler:innen». ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: