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«Als wir mit weniger Technik bauten, war die Qualität höher»
TagesAnzeiger

Shigeru Ban hat für Swatch einen Neubau realisiert. Er glaubt, dass die Digitalisierung die Architektur nicht verbessert.

7. Oktober 2019 - Andres Herzog
Das Gebäude, das Sie für Swatch entworfen haben, ähnelt einer Schlange oder einem Wurm. Doch ein Haus ist kein Tier. Was hat diese aussergewöhnliche Form zu bedeuten?
Die Form ist natürlich. Sie folgt dem L-förmigen Gelände und verbindet den Haupteingang mit der Laderampe für die Lastwagen. Was die Menschen in die Geometrie hineininterpretieren, überlasse ich ihnen. Nayla Hayek verglich sie mit einem Drachen. Die Form hat aber überhaupt keine symbolische Bedeutung.

Sie hätten auch ein rechtwinkliges Gebäude bauen können.
Wir wollten so wenig Holz wie möglich verwenden. Eine Schalenkonstruktion trägt sparsamer als eine rechteckige Struktur. Der Bogen ist die effizienteste Form in der Konstruktion. Das habe ich vom deutschen Architekten Frei Otto gelernt, mit dem ich an der Expo 2000 in Hannover zusammengearbeitet habe.

War Frei Otto eine wichtige Inspiration für dieses Gebäude?
Nicht nur für dieses Projekt, sondern für meine ganze Arbeit. Ich habe von ihm gelernt, wie man eine Form findet, anstatt sie zu kreieren. Viele Architekten zeichnen lustige Geometrien. Eine Form zu finden, bedeutet jedoch, sie auf natürliche Weise aus dem Material, dem Ort, der Funktion und den Anforderungen des Bauherrn zu entwickeln.

Das Gebäude fällt auf, sucht Aufmerksamkeit. Wie passt dieser Ansatz zu Biel?
Swatch unterscheidet sich von anderen Unternehmen. Die Marke ist sehr organisch, sie ändert die Modelle je nach Zeit und Mode laufend. Das Gebäude für Omega hingegen ist geradlinig, weil die Marke traditioneller ist.

Sollte die Architektur generell organischer sein?
Nein. Eine Form muss immer einen Sinn haben. Das hängt vom Ort und vom Bauherrn ab.

Die Schlangenform ist von aussen sichtbar. Was bringt sie für den Innenraum?
Anstatt die Menschen auf jedem Stockwerk zu separieren, wollte ich sie vertikal und diagonal verbinden. Es gibt viele Öffnungen und Atrien, damit die Menschen einander sehen können.

Das Holzdach und die weissen Büros darunter sind sehr unterschiedlich. Warum hat die spezielle Form den Innenraum nicht direkter beeinflusst?
Das Design eines Uhrenmodells ist frei, die Mechanik im Inneren hingegen fix. Gleiches gilt für das Gebäude: Die Haut ist von der inneren Logik getrennt.

Das Dach besteht aus Holz, einem nachwachsenden Material. Warum ist der Rest des Hauses betoniert?
Das hat mit den Baugesetzen zu tun. Bei einem Gebäude dieser Grösse ist Holz nicht mehr erlaubt. Auch die Kosten wären höher gewesen. Zudem haben wir in den Betondecken ein Heiz- und Kühlsystem integriert, das für ein Bürogebäude besser geeignet ist.

Die Holzkonstruktion ist an der Grenze der technischen Möglichkeiten. Waren Sie nie nervös, ob alles funktionieren wird?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe schon zuvor mit der Holzbaufirma Blumer Lehmann zusammengearbeitet und wusste, dass sie dies schaffen. In Deutschland und in der Schweiz gibt es mehrere Unternehmen, die so etwas bauen können. Aber nicht in Japan.

Warum nicht?
Japan war im Holzbau früher sehr fortschrittlich. Heute hinken wir hinterher. Wir haben nicht die Technologie und die Ingenieure, um ein solches Gebäude zu bauen. Und es gibt unnötige Gesetze. Nach dem Zweiten Weltkrieg verbot die Regierung den Bau von Holzhäusern.

Solche Formen zu planen und zu bauen, ist nur mit dem Computer möglich. Beeinflusst die Digitalisierung die Architektur positiv?
Nein, ich glaube nicht. Der technologische Fortschritt verbessert die Architektur nicht. Als wir vor vielen Hundert Jahren mit weniger Technik bauten, war die Qualität der Architektur höher. Heutzutage entwerfen wir dank des Computers einfach und schnell, aber die Bauqualität nimmt ab.

Tatsächlich? Die 4600 verschiedenen Träger des Daches konnten nur mit digitaler Technologie so präzise vorgefertigt werden.
Aber ich habe alles von Hand entworfen. Nur die Pläne haben wir am Computer gezeichnet, weil es einfacher ist.

Wie können Architekten ihr Handwerk im digitalen Zeitalter aufrechterhalten?
Wir brauchen mehr Zeit zum Entwerfen, Planen und Bauen. Als ich den Pritzker-Preis erhielt, gab mein Freund, der chinesische Architekt Wang Shu, eine gute Antwort auf diese Frage: «Wer am Computer zeichnet, ist direkt mit dem Gehirn verknüpft. Wer von Hand skizziert, ist direkt mit dem Herzen verbunden.»

Traditionelle Architektur war besser, sagten Sie. Was hat der Neubau mit der japanischen Bautradition zu tun?
Am Gebäude ist nichts japanisch. Ich habe in den USA Architektur studiert und bin in Tokio aufgewachsen, einer modernen Stadt ohne alte Gebäude. Der Swatch-Neubau ist mein Gebäude. Er ist ein internationales Gebäude.

Es gibt keine Verbindung zur Schweiz?
Ich beziehe mich nicht auf traditionelle Gebäude, wenn ich in einem städtischen Kontext baue. Auf dem Gelände in Biel gibt es keine traditionellen Bauwerke. Das Dach des Omega-Hauses daneben jedoch ist geneigt wie bei vielen Altbauten in der Schweiz.

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Für den Beitrag verantwortlich: TagesAnzeiger

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