Artikel

Ein Dialog schaut anders aus
Spectrum

Darf man in Zeiten der Pandemie über Ästhetik schreiben? Eines ist sicher: Wir werden danach eine architektonische Sprache brauchen und nicht nur formale Routine. Über die schreiende Sprachlosigkeit in der Architektur der Gegenwart.

14. April 2020 - Christian Kühn
Das Gebaute hat immer recht. Es setzt Maßstäbe durch seine bloße Existenz, während die Kritik in den Archiven verschwindet. Die normative Kraft des Faktischen verschiebt auch im Reich der Ästhetik die Grenzen: Was lange unvorstellbar war, ist plötzlich neue Normalität. In den vergangenen Jahren habe ich im „Spectrum“ einige Projekte besprochen, die man als Vorboten einer neuen Normalität in der Architektur verstehen könnte, gerade weil sie unter unterschiedlichen Bedingungen zu ähnlichen Resultaten führen. Zwei Projekte sind bereits in Betrieb: der Zubau zur Wotrubakirche in Wien-Mauer und das Belvedere-Stöckl im Schwarzenberggarten; der Flakturm im Esterházypark, der für das Haus des Meeres erweitert wird, steht kurz vor der Fertigstellung. Gemeinsam ist den Projekten ein anspruchsvoller Kontext, der höchste Sensibilität im Dialog mit dem Bestand verlangt hätte. Daran sind die Projekte auf unterschiedlichem Niveau gescheitert. Ein Besuch bei den ausgeführten Bauten bestätigt die Vermutung, dass es dafür einen gemeinsamen Grund gibt. Sie sind formal und technisch routiniert gemacht, aber es mangelt ihnen an einer architektonischen Sprache, die nicht nur Formen produziert, sondern auch einen Gedanken ausdrückt.

Die höchsten Ansprüche an sich stellt von den drei Projekten jenes für einen halb in den Hang gegrabenen Zubau zur Wotrubakirche, entworfen vom Architektenteam f2p. Jahrelang wogte ein Streit zwischen der Kirchengemeinde, die einen barrierefreien Zugang zu der auf einer Anhöhe gelegenen Kirche verlangte, und dem Bundesdenkmalamt und kritischen Architekten, die forderten, den monumentalen Bau und sein Umfeld unangetastet zu lassen. Die Entscheidung fiel schließlich vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Richterin urteilte für die Erfüllung der Alltagsbedürfnisse der Gemeinde in der geplanten Form. Die auch von mir geäußerte Befürchtung, die Kirche könnte von der Glashaube des Liftes bedrängt werden, bestätigt sich in der Realität nicht. Wer den bisherigen Weg bergauf zum Eingang einschlägt, nimmt höchstens eine ins Gelände gefaltete Zierleiste aus Beton wahr, die zuerst die Dachkante des im Hang versenkten Zubaus bildet und dann in eine Sitzbank ausläuft. Vom Ende der Zufahrtsstraße her bietet sich aber ein anderer Eindruck, der auch prominent auf der Webseite der Architekten gezeigt wird und den Kritikern recht gibt. Der um über eine Million Euro errichtete Bau übernimmt hier die Formensprache eines hochklassigen Wellnessresorts. Darüber schweben wie auf einem Präsentierteller die Betonquader der Kirche. Ein Dialog sähe anders aus.

Auch beim „Stöckl im Park“ im Schwarzenberggarten geht es um Dialog, nicht mit einem anderen Bauwerk, sondern mit einem barocken Garten, in den ein Großrestaurant mit 270 Plätzen im Inneren und 610 Plätzen im Freien zu integrieren war. Errichter und Betreiber ist derselbe Unternehmer, der mit dem Salm-Bräu bereits das andere Ende des Belvedere-Areals gastronomisch besetzt hat. Das „Stöckl im Park“ besteht aus einem Bestandsbau aus den 1920er-Jahren, der in eine Kleinbrauerei verwandelt wurde, und einem Neubau für das Restaurant. Die Architektur gehorcht hier der einfachen Formel, ein Maximum an Restaurantplätzen in jenem Maximum an Kubatur herzustellen, das widmungsgemäß an diesem Ort zulässig ist. Dass dieses Projekt in dieser Form realisiert werden konnte, ist ein Multiorganversagen, nicht zuletzt der öffentlichen Hand, aber auch der Eigentümer des Gartens. An diesem Standort hätte bei entsprechender Koordination und Planung ein einzigartiger gastronomischer Ort entstehen können. Jetzt müssen wir uns mit einem Lokal zufriedengeben, das in einem der schönsten Gärten Wiens den Charme einer Autobahnraststätte verströmt.

Der Flakturm im Esterházypark war – mit fünf weiteren ähnlichen Türmen – Teil eines NS-Festungssystems und seit Kriegsende eines der eindringlichsten Mahnmale gegen den faschistischen Terror in Wien. Obwohl mehrfach für das „Haus des Meeres“ adaptiert, das den Turm seit Jahrzehnten nutzt, blieb die Wirkung bisher erhalten. Erst seit der jüngsten Sanierung nach Plänen der Pumar-Architekten ist es damit vorbei. Ein monströser, mit Glas und Metallpaneelen verkleideter Körper schiebt sich so massiv vor den Bestand, dass man glauben könnte, der Flakturm hätte sich in Luft aufgelöst, wären da nicht die runden Plattformen, die der Faschingsmaske der neuen Glasfassade als Ohren dienen. So viel unfreiwilligen Humor bei einem Haus sehen zu müssen tut weh, mehr noch, wenn es sich mit 570.000 Besuchern jährlich um eine der großen Attraktionen Wiens handelt.

Die drei angesprochenen Projekte haben eine auffällige Gemeinsamkeit. Sie überfordern sich massiv, indem sie versuchen, eigentlich unlösbare Aufgaben zu bewältigen. Würde man das „Haus des Meeres“ neu denken, wäre ein Flakturm wohl kaum der Standort erster Wahl. In diesem Korsett immer weiter zu expandieren musste schließlich zu einem Monster führen. Das „Stöckl im Park“ hätte einen neuen Bebauungsplan und die Einsicht gebraucht, dass dieser Ort für ein permanentes Oktoberfest nicht geeignet ist. Und bei der Wotrubakirche bleibt zumindest die Frage im Raum, ob Aufwand und Ergebnis noch in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen.

Nach der Pandemie wird die Architektur gefordert sein, Probleme aus größerer Distanz zu betrachten und nach radikalen Alternativen zu suchen, statt viel zu rasch vor Sachzwängen einzuknicken. Wenn meine Vermutung stimmt, dass die diskutierten Beispiele für eine neue Normalität stehen, ist die Architektur darauf nicht gut vorbereitet. Sie ist mehr und mehr geprägt von marktgängiger Routine, der es nicht an Formen oder an Technologie fehlt, aber sehr wohl an architektonischen Gedanken, die anschlussfähig in die Vergangenheit und in die Zukunft sind. Es passt gut ins Bild, dass der österreichische Kunstsenat Laurids und Manfred Ortner als Preisträger des heurigen Großen Österreichischen Staatspreises für künstlerische Leistungen gekürt hat. So viele Verdienste sie sich vor 50 Jahren als Haus-Rucker-Company erworben haben, stehen Ortner & Ortner inzwischen für erfolgsträchtigen Pragmatismus. Der Preis sei ihnen gegönnt. Vorbilder, Leitbilder für morgen sehen heute anders aus.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: