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Ein Baumeister, der das Leben feiert
Der Standard

Der Pritzker-Preisträger Balkrishna Doshi ist ein Kenner der Seele und Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen. Zu Besuch in der ersten Ausstellung nach Corona im Architekturzentrum Wien.

23. Mai 2020 - Wojciech Czaja
Wie ein Reptil mit gläsernen Glupschaugen und schimmernden Keramikschuppen ragen die panzergleichen Kuppeln in die Höhe und machen neugierig auf das, was sich wohl im Inneren verbergen mag. Umgeben von Büschen und Bäumen, eingebettet in den grünen Park der CEPT University im Westen Ahmedabads, steigt man sodann hinab in die Tiefen der Anlage und findet sich plötzlich in einer warmen, bunt ausgemalten, weitverzweigten Betonhöhle wieder. Dramatische Lichtkegel fallen von oben in den Raum.

„Wahre Architektur muss uns freudig und feierlich stimmen, sie muss uns im Innersten berühren“, sagt der indische Architekt Balkrishna Doshi, der für seinen Freund Maqbul Fida Husain, einen in Indien berühmten Bildhauer, die unterirdische Galerie Gufa aus 18 kreisrunden und elliptischen, miteinander verschnittenen Kuppeln und windschief im Raum stehenden Säulen entwarf. „Ein gutes Haus lässt sich nicht in Einzelelemente wie Licht, Flächen oder Tragstruktur zergliedern. Ganz im Gegenteil: Es lässt Böden, Wände und Decken zu einem zusammenhängenden Ganzen verschmelzen und erzeugt einen organischen Raum fast wie ein lebendes Wesen.“

Ein riesiges Drahtmodell dieses beeindruckenden Wesens im Maßstab 1:2 sowie viele weitere Projekte Doshis, der 2018 als erster indischer Architekt überhaupt mit dem renommierten Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde, sind nun als Post-Corona-Premiere im Architekturzentrum Wien (AzW) zu sehen. Kommenden Freitag wird die Wanderausstellung eröffnet. Aufgrund des verspäteten Starts ist die Ausstellungsdauer diesmal auf einen Monat beschränkt, bevor die Exponate nach Chicago weiterverschifft werden müssen.

„Für Balkrishna Doshi ist Architektur die Feier des Lebens“, sagt Angelika Fitz, Direktorin des AzW, die die Ausstellung mit dem programmatischen Untertitel Architektur für den Menschen von der Vastushilpa Foundation und vom Vitra-Design-Museum übernommen hat. „Seine Bauten sind von der Überzeugung getragen, dass die gebaute Umwelt einen entscheidenden Einfluss auf das Wohlergehen, auf das Zugehörigkeitsgefühl und auf den gesellschaftlichen Gemeinsinn hat. Zudem vereint seine Vorstellung von Nachhaltigkeit die soziale, kulturelle, ökologische und wirtschaftliche Dimension.“ Schon 1956, als er sein eigenes Architekturbüro gründete, nannte er dieses Vastushilpa. Der Sanskrit-Begriff lässt sich am ehesten mit „Umwelt gestalten“ übersetzen.

Umwelt gestalten

Bis heute richtet der inzwischen 92-jährige Balkrishna Doshi – neben perfekter Lichtchoreografie, der Verwendung regionaler Materialien und der Einbeziehung lokaler Man- und Woman-Power – genau darauf den Fokus. Seine Bauten kommen ohne Klimatisierung aus, arbeiten mit natürlicher Belüftung und thermischen Strömungen im Innenraum und nutzen altbewährte Methoden stromloser Kühlung mittels gesammelten Regenwassers. Ins Tonnengewölbe seines 1980 errichteten Architekturstudios Sangath ließ er wie in vielen anderen Projekten Tonröhren einbauen, die bei Bedarf mit kaltem Wasser gefüllt werden und das Haus auf diese Weise kühlen. Damit hat er die heute in Europa gebräuchliche Bauteilaktivierung als Lowtech-Variante um Jahrzehnte vorweggenommen.

Doshi, der zu Beginn seiner Karriere für Le Corbusier, später auch mit Louis Kahn und Kenzo Tange arbeitete, war immer schon eine Art Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen. Für einkommensschwache Menschen, die in Indien als Economically Weaker Sections (EWS) bezeichnet werden, errichtete er 1989 in Indore, Zentralindien, die superkompakte Wohnsiedlung Aranya mit jeweils 30 Quadratmeter großen Einzelparzellen, die in einer Regierungslotterie an bedürftige EWS-Familien verlost wurden. Fundament, Grundmodul, Sanitärblock sowie Strom- und Kanalanschluss waren bereits fertiggestellt, den Rest der Häuser konnten die Bewohner nach eigenen Wünschen erweitern. Die möglichen Bebauungsvarianten stellte Doshi den Bewohnern in einem Formenkatalog sowie in 60 Musterhäusern zur Ansicht.

Flexibel, organisch, nah an der Natur

„Doshi hat hier sehr früh realisiert, was auf diversen Architektur-Biennalen in Venedig mit einigen Jahren Verspätung oft untersucht und durchdacht wurde“, sagt Fitz. „Das mit dem Menschen mitwachsende Minimalhaus ist aufgrund der knapper werden Grundstücksressourcen und den damit verbundenen hohen Bau- und Wohnkosten in den Großstädten heute aktueller denn je.“ Doch im Gegensatz zu den meisten Selbstbau-Projekten, die früher oder später wie eine Schrebergartensiedlung aussehen, gelingt es Doshi, die selbstbestimmten Überformungen so zu choreografieren, dass sie tatsächlich eine gestalterische, dörfliche Einheit bilden.

„Das Leben ist im Fluss“, sagt Doshi, der in der westindischen Stadt Ahmedabad lebt und arbeitet. „Ich wurde in eine Großfamilie mit 17 Menschen hineingeboren, die sich ständig wandelte und weiterentwickelte, und so kam mir in den Sinn, dass ein festes, statisches Gebäude diesen Veränderungen niemals gerecht werden kann. In meinem Leben ist Architektur etwas Flexibles, etwas Organisches, ganz nah an der Natur.“

Als Balkrishna Doshi vor zwei Jahren mit dem mit 100.00 US-Dollar dotierten Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde, war sein sehnlichster Wunsch die Befähigung und Bevollmächtigung der Menschen. „Das geht nicht mit Ziegel und Beton. Das geht nur mit Bildung, Technologien und einem freien Geist in der Gesellschaft. Und vielleicht mit einem internationalen Preis, der mir nun eine gewisse kulturelle Macht verleiht – und die möchte ich als Werkzeug nutzen, um die indische Regierung zum Umdenken zu bewegen.“

[ „Balkrishna Doshi. Architektur für den Menschen“ im AzW im Museumsquartier. Zu sehen von 29. Mai bis 29. Juni 2020. ]

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