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Noch was zu bestellen?
Noch was zu bestellen?, Foto: L. Schneider
Noch was zu bestellen?, Plan: Karl S. Chu
Spectrum

Zwei Symposien, eines zum Thema „Cyberspace“, eines zum Thema „Peripherie“ – ein Befund: Als Großmeister der Fell-Ordnung haben Architekten ausgespielt. Stadt Ihre Zukunft liegt in einem kritischen Eingehen auf konkrete Lebenswirklichkeiten.

4. Juni 1999 - Christian Kühn
Von zwei Veranstaltungen ist zu berichten, die Ende vergangener Woche in Wien stattfanden: Im Museumsquartier wurde im Rahmen der Ausstellung „Synworld“ ein Symposium abgehalten, bei dem auch Architekten zum Thema „Cyberspace“ zu Wort kamen. Parallel dazu veranstaltete die „Sargfabrik“, eines der innovativsten Wiener Wohn- und Kulturprojekte der letzten Jahre, ein Symposium unter dem Titel „Peripherie im Fokus“, bei dem es um die Bedeutung von Randzonen und Randgruppen für die Entwicklung der Städte ging.

Daß die Ausstellung im Museumsquartier mehr Zulauf hatte, ist klar. Neue Medien sind zu Recht ein „Mainstream“-Thema: Sie sind Voraussetzung für die fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft und für die rasche Transformation unserer Berufs- und Freizeitwelt. „Playwork:Hyperspace“ hieß der Untertitel der Ausstellung, die der Medienindustrie die Möglichkeit bot, sich im Kontext von Kunst und Wissenschaft zu präsentieren. Die Illusion, daß durch die neuen Medien Spielen zum Lernen wird und produktive Arbeit zum Spiel, wurde einmal kräftig genährt.

Es verwundert nicht, daß der Hauptsponsor der Veranstaltung Libro Online hieß. Die Förderung der Medienkompetenz, die der Sponsor laut Presseaussendung als Grund seines Engagements angibt, wird es ohne Kritik aber nicht geben können. Nur in den tieferen Ästen der CD-Rom zur Ausstellung finden sich Ansätze in diese Richtung. Interessant sind vor allem die Beiträge über Japan, wo sich aus einer anderen visuellen Kultur auch ein anderer Zugang zum Cyberspace und zur virtuellen Realität entwickelt. Die Beiträge der Architekten zum Symposium waren beispielhaft für die Tendenz, in einer unsicheren Welt zu einer neuen Handlungsbasis für die Architektur zu kommen. Mit dem Funktionalismus, der eine klare Beziehung zwischen Form und Funktion definieren wollte, hätte sich auch die Idee der stabilen Form aufgelöst. An ihre Stelle tritt das parameterabhängige Feld, das seine Gestalt dauernd ändert.

Für Lars Spuybroek von der niederländischen Architektengruppe NOX – der in dieser Hinsicht stellvertretend ist für eine Generation von Architekten wie Winy Maas oder Greg Lynn – können sich die Parameter architektonischer Formen aus allen möglichen, am besten zufälligen Einflußfeldern herleiten: Fußgängerströmen, dem Sonnenstand, den Geräuschen von Fahrzeugen auf einer Autobahn. Dem Dilemma, daß die gebaute Realität dann doch wieder statisch ist, entzieht er sich elegant: Architektur im engeren Sinn ist die Formel, das Bauwerk nur eine zufällige Momentaufnahme.

Das dürfte den Bewohner eines solchen Objekts freilich wenig interessieren. Man gewinnt den Eindruck, daß die Architekten dieser Richtung ihre zentrale Position als Großmeister der Ordnung nicht aufgeben wollen, sondern versuchen, sie in geänderter Form – abgesichert durch Chaostheorie und Fraktale –zu erhalten.

Deutlich wurde das beim Vortrag von Karl S. Chu, einem amerikanischen Theoretiker und Architekten, der diesen kosmologischen Anspruch der Architektur direkt ansprach und die Verwendung des Computers als neue Chance für das alte „gnostische Streben nach Erfüllung“ bezeichnete, ein Gedanke, den auch Charles Jencks, früher erster Kammerdiener der Postmoderne, in seinem jüngsten Buch, „The Architecture of the Jumping Universe“, ausführt. Was Chu dann präsentierte, sind zweifellos schön anzusehende Verräumlichungen mathematischer Formeln, die aber völlig irrelevant werden, wenn man die beigepackte esoterische Theorie nicht zu akzeptieren bereit ist.

Wer über Architektur und Stadtleben etwas Konkretes erfahren wollte, war mit einem Besuch in der Sargfabrik besser bedient. In einem ersten, ebenfalls von Roland Schöny konzipierten Symposium im Mai hatte sich „Peripherie im Fokus“ mit der Wiener Peripherie und mit dem eigenen Wohnumfeld auseinandergesetzt. Spannend waren dabei vor allem Diskussionen über die Hausbesetzerszene und ein Vortrag des deutschen Soziologen Wolfgang Pohrt, der das soziale Konzept der Sargfabrik mit einer heftigen Polemik bedachte: Zu sehr geschützt, zu sehr Altersheim, zuwenig Blick auf das weitere soziale Umfeld. Gerade den letzten Vorwurf widerlegte der zweite Teil des Symposiums, der sich mit Peripherien in London, São Paulo und auf dem Balkan auseinandersetzte.

Es ging dabei einerseits um die soziale Peripherie, um den Umgang mit Randgruppen in England und Deutschland beziehungsweise auch um die unterschiedlichen Formen der Selbstdefinition dieser Randgruppen. Da war zu hören, wie wenig Positives der Begriff der Integration für eine britische Kulturtheoretikerin mit pakistanischem Hintergrund beinhaltet: Integration hätte in England stets den Beigeschmack des sozialen Drucks; für englische Asiaten und Schwarze sei kulturelle Konkurrenz auch im Rahmen einer gemeinsamen Sprache ein wesentlich verständlicherer Ansatz.

Im Falle São Paulos ging es auf der anderen Seite um globale Peripherie. Wie gewinnt eine Stadt mit 16 Millionen Einwohnern Identität angesichts des langsamen Verfalls des Mittelstands und immer stärker werdender sozialer Gegensätze? Daß die klassischen Mittel der Architektur dazu nicht mehr taugen, zeigte ein Beitrag über das America Latina Memorial, ein Spätwerk von Oscar Niemeyer, das mit Bibliothek, Theatersaal und Ausstellungsräumen ein identitätsstiftendes Monument sein wollte und dabei völlig an der Realität gescheitert ist. Viel überzeugender waren Beiträge von Künstlern, etwa von Giselle Beiguelmann, die mit ihrer Gruppe eine Ausstellung in einer von ihr umgestalteten Fabrik durchführte und das Publikum ausschließlich mit angemieteten Eisenbahnwaggons dorthin brachte – eine subversive Aktion in einer Stadt, deren Autoindustrie gezielt den Verfall des öffentlichen Verkehrswesens bewirkt hat.

Architekten hatten auch auf diesem Symposium nur wenig Spannendes beizutragen. Aber vielleicht müssen sie akzeptieren, daß sie zu einer kulturellen Randerscheinung werden. Das ist weniger tragisch, als es vielleicht klingt: Von den Rändern her –das konnte man beim Symposium in der Sargfabrik lernen – kommen die wesentlichen Entwicklungen.

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