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Wahlkampf mit urbanem Benefit
deutsche bauzeitung

Außenraumgestaltung »Schwimmende Gärten« an der Kaiserbadschleuse in Wien (A)

Im Rekordtempo wurde an der Kaiserbadschleuse des ­Donaukanals der öffentliche Freiraum durch die »Schwimmenden Gärten« erweitert. Das Projekt ist nicht nur Resultat eines etwas provinziell wirkenden Wahlkampfs, sondern glücklicherweise auch einer strengen und zugleich überaus erfrischenden Handschrift der Wiener ­Landschaftsarchitektin Carla Lo. Der urbane Benefit ist enorm.

11. Mai 2021 - Wojciech Czaja
Ein sonniger Freitag Ende März. Der erste heiße Nachmittag dieses Jahres. Im gefühlt zehnten Corona-Lockdown wird die Kaiserbadschleuse, die bis vor Kurzem ungenutzte Betoninsel im Wiener Donaukanal, von Dutzenden ­Menschen belagert. Ohne T-Shirt, ohne Schuhe und ohne jede Hast, dafür aber mit dunklen Sonnenbrillen, in denen sich der wolkenblaue Frühlingshimmel spiegelt.

Carla Lo ist eine von ihnen. Die 44-jährige Landschaftsarchitektin, weites ­Leinenhemd, zerrissene Patchwork-Jeans, liegt inkognito inmitten der sich sonnenden Menge und freut sich über den sozialen Erfolg ihrer »Schwimmenden Gärten«. Nie hätte sie gedacht, dass ihr Büro dieses Projekt eines ­Tages wirklich realisieren würde, und meint: »Nun sitzen wir da, und ich bin froh darüber, dass dieser städtische Raum von den Wienerinnen und Wienern so gut angenommen wird.«

Angefangen hat alles im Jahr 2016. Kurz vor der Wiener Gemeinderatswahl wünschte sich die damalige Umweltstadträtin Ulli Sima als »Wahlzuckerl« ein paar coole Renderings, die auf stadtromantische Weise darstellen, wie man die Kaiserbadschleuse aus ihrem mehr als 100-jährigen Dornröschenschlaf reißen und endlich einer urbanen Nutzung zuführen könnte. Errichtet wurde das massive Bollwerk mit 125 m Länge und 10 m Breite ursprünglich anstelle des ehemaligen Kaiserbads in den Jahren 1904 bis1908 für die Schiffbarmachung und Regulierung des Donaukanals. In Betrieb genommen wurde die Schleuse, die sich gegenüber von Otto Wagners (1841-1918) berühmtem Schützenhaus befindet, allerdings nie.

»Also haben wir einen Entwurf gemacht und uns überlegt, wie wir die Insel mit Plattformen zugänglich machen und mit Pflanzentrögen und großen Holzdecks zum Sitzen und Liegen aufwerten würden«, erinnert sich Carla Lo. Mit einer Handvoll attraktiv gerenderter Visionen ging die Wiener SPÖ dann tatsächlich ins Rennen. Nach dem Wahlsonntag war dann allerdings jahrelang Funkstille. Das Projekt wurde auf Eis gelegt, bis wenige Monate vor der darauffolgenden Gemeinderatswahl. Aus den Medien erfuhr die Landschaftsarchitektin, dass die Schwimmenden Gärten nun tatsächlich umgesetzt werden sollten. Vom verbindlichen Anruf der Stadträtin bis zur geplanten Fertigstellung blieben wiederum genau sechs Monate. Ein straffer Zeitplan. Damit wurde das fiktive Wahlzuckerl von 2016 zu einem konkreten Wahlversprechen für 2020 aufgewertet.

Am Holzdeck neben uns liegt eine Gruppe Jugendlicher. Ein paar Dosen Bier werden gerade »aufgepoppt«. Es wird gelacht, getrunken, foto­grafiert. In den Mülleimern nebenan manifestiert sich der hohe Stellenwert des Projekts als buchstäbliche Zufluchtsinsel vor dem Virus und den damit verbundenen ­Sicherheitsmaßnahmen: Prosecco-Flaschen und Pizzakartons. »Es funk­tioniert«, sagt die aus Heidelberg stammende Landschaftsarchitektin, die in der Regel v. a. öffentliche und halböffentliche Freiräume im geförderten ­Wohnungsbau plant. »Mehr kann man sich nicht wünschen, oder?«

Kräftig dimensioniert

Im Zuge der Neugestaltung wurde die denkmalgeschützte Schleuseninsel über zwei breite Brückenbauwerke mit massiven T-Trägern aus Stahlbeton an den Uferweg des Donaukanals angebunden. Die Tragwerksplanung des ­Wiener Ingenieurbüros Gmeiner Haferl hat es mit der statischen Sicherheit dabei sehr genau genommen und orientiert sich weniger an sommerlicher Leichtigkeit als leider vielmehr an den brutalistischen Dimensionen talüberspannender Autobahnbrücken. Gut, dass sich die Blicke der Flaneure nur ­selten unterhalb des Wegeniveaus verirren.

Viel ansprechender ist da schon das urbane Leben darüber. Auf beiden Verbindungsplattformen eröffnet sich eine Gehlandschaft aus Beton mit Besenstrich-Oberfläche und daran angrenzenden Holzdecks, die sich mit eckig ­eingefassten Böschungen zu einer polygonalen Sitz- und Liegelandschaft auf zwei Ebenen hochentwickelt. Die Neigungen mit mal 45°, mal 60° sind ergonomisch gut gewählt, die Sitzhöhen könnten kaum komfortabler sein.

Mit 55 mm Dicke weisen die Eichenbohlen, die auf einer Unterkonstruktion aus Holz und Stahl montiert sind, einen im Zeitalter steigenden ökonomischen Drucks ungewöhnlich hohen Materialeinsatz auf. Dies ist der Lang­lebigkeit geschuldet: Bei Vandalismus durch Graffiti und motorische Beschädigungen, so der Plan, lässt sich das Holzpodest diverse Male abschleifen und sogar -hobeln.

Auf Kopfhöhe der Sitzenden, Liegenden und Lümmelnden entspinnt sich ein kleiner grüner Dschungel mit heterogener Bepflanzung. 15 verschiedene Pflanzenarten – darunter Gräser, Kräuter und Blumen – werden mit den nun ins Land ziehenden Sommermonaten dank automatischer Bewässerung stattliche Höhen erreichen und prächtige Farben entfalten. Dazwischen tauchen immer wieder mehrstämmige Bäume auf: Wildäpfel, Felsenbirnen und zart­rosafarbene Zierkirschen.

Grüner als entworfen

Carla Lo wirkt glücklich. Doch dann verändert sich die Laune ein wenig. In ihrem mitgebrachten Aktenordner finden sich Pläne, die dokumentieren, wie alles hätte aussehen sollen, bevor es so wurde, wie es heute ist. »Meine Vision war, dass wir die Schleuseninsel revitalisieren, sie aber in ihrer archaischen, nutzungsoffenen Erscheinung erhalten«, sagt Lo. Geplant war, die Kaianlage lediglich mit ein paar Ulmen zu bepflanzen und mit schlichten Stahlplatten, die die Kontur der historischen Insel säumen, zu belegen. Die restliche Fläche zwischen den riesigen »Vorlegeplatten« sollte ungeordnet gepflastert werden.

Doch die Wiener Umweltstadträtin wollte es grüner. Mehr Bäume, mehr Grasbeete, mehr bewachsene Pflanzentröge an den Kaimauern. Ein paar ­Bänke und punktuelle Sitzelemente mussten auch noch her. Und gusseiserne Einfassungen der grünen Grasrabatte, wie sie vom Stadtgartenamt klassischerweise in ganz Wien eingesetzt werden. Und selbstredend Mülleimer sowie gepflasterte Segmentbögen, um noch ein bisschen mehr italienischen Romantizismus hineinzubringen. Und am Ende ist alles so vollgestellt und vollgegrünt und mit notwendigen Verkehrswegen vor­definiert, dass kaum noch Platz bleibt, um in den warmen Sommermonaten irgendwo eine Picknick-Decke auszubreiten.

»Es hört sich eigenartig an, dass ausgerechnet ich als Landschaftsarchitektin so viele Monate gegen Grün gekämpft habe«, erklärt Carla Lo. »Aber tatsächlich ist die zur Verfügung stehende Sitz- und Liegefläche für die Menschen auf ein Minimum geschrumpft. Die alte Schleuseninsel ist nutzungstechnisch bis zum letzten Quadratmeter durchgeplant und durchmöbliert. Innovative Freiraumplanung sieht für mich anders aus.«

Absturzgesichert

Während der gesamte Donaukanal an seinen beiden Uferkanten auf vielen ­Kilometern Länge ohne Geländer auskommt, mussten die Schwimmenden Gärten rundherum auch noch eingezäunt werden. Der Grund – und damit erreicht der politische Zynismus seinen Höhepunkt: Aufgrund der vielen ­definierten Sitzelemente sei die Insel keine nutzungsoffene Verkehrsfläche mehr, sondern ein möblierter Stadtplatz, für den man nun entsprechende ­Absturzsicherungen vorsehen müsse. Glücklicherweise fand sich mit den schlanken Holmen und dem kaum sichtbaren Edelstahl-Netz eine sensible, ortsverträgliche Lösung.

Die Schwimmenden Gärten (Baukosten 3,5 Mio. Euro) sind ein durch und durch politisches Projekt. Sie zeigen auf, wie die Gestaltung öffentlichen Freiraums in dieser Stadt funktioniert. Für die meisten Menschen jedoch sind ­diese Anekdötchen und Provinzpossen unsichtbar und irrelevant. Übrig bleibt ein Projekt, das trotz aller Querelen und trotz des immensen Zeitdrucks zu den gelungensten und sym­pathischsten Freiraum-Oasen Wiens zählt. Zu verdanken ist dies wohl der krisenerprobten Handschrift einer Landschaftsarchitektin, die gelernt hat, selbst im ­geförderten Wohnbau unter enormem Kostendruck überaus ­passable Freiraumkonzepte zu realisieren.

»Ich glaube, das war die stressigste und zugleich schönste Baustelle meines Lebens«, sagt Carla Lo. „Die Stimmung vor Ort war ausgelassen, und die ­Brückenbauer, die üblicherweise Autobahnbrücken an irgendwelchen schwer erreichbaren Unorten errichten, haben sich gefreut, dass sich ihr Arbeitsplatz erstmals inmitten der Wiener Innenstadt befindet.« Die Freude am Prozess überträgt sich auf das Resultat. Die Sonne wird immer wärmer. Die Menschen werden mehr. Die Selfies nehmen zu.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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