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Bauanleitung Weltuntergang
Der Standard

Heute, Samstag, wird die Architektur-Biennale in Venedig eröffnet. Das Motto des Kurators Hashim Sarkis lautet „How will we live together?“. Doch die Beantwortung dieser Frage ist so verstörend und dystopisch, dass es im Hirn wehtut.

22. Mai 2021 - Wojciech Czaja
Eine riesiges Trumm aus Edelstahl. Eine abstoßende, chirurgische Kälte. Alle paar Sekunden öffnen sich irgendwelche Laden, rollen hinaus wie in einem Leichenschauhaus, bleiben kurz stehen zur Betrachtung, werden mit einem blechernen Surren wieder eingezogen. Zwar liegen darauf keine toten Menschen, immerhin aber jede Menge ausgestopfter oder in Formaldehyd eingelegter Tiere: Wildschweine, Schwarzziegen, Bären, Reiher und Taranteln. Es sind jene Spezies, die in Israel in den letzten Jahrzehnten aus ihrem natürlichen Habitat verdrängt, ja manchmal sogar nahezu ausgerottet wurden.

„Die politische Situation in Israel ist dieser Tage besonders angespannt“, sagt Rachel Gottesmann. „Doch in diesem Land fügen nicht nur wir Menschen uns gegenseitig Schaden zu, unser Verhalten hat auch immense Auswirkungen auf Fauna und Flora.“ Eine der größten ökologischen Katastrophen mit weitreichenden Folgen für die Biodiversität Israels war die Trockenlegung des Hule-Sees und der umliegenden Sümpfe in den 1950er-Jahren, um damit Wasser für die Landwirtschaft zu gewinnen.

„Außerdem haben wir den Kampf zwischen den weißen und den schwarzen Ziegen erforscht“, erzählt die Kuratorin des israelischen Pavillons. „Die schwarzen, von jeher einheimischen Ziegen waren für die Palästinenser von Anbeginn an eine wichtige Quelle für Milch und Fleisch. Doch als die europäischen Juden nach Israel kamen, waren sie entsetzt, ein so karges, felsiges Land vorzufinden – und gaben kurzerhand den schwarzen Ziegen die Schuld daran.“

Schwarz und weiß

1934 wurde die Haltung von schwarzen Ziegen – ohne wissenschaftliche Fundierung und Verifizierung wohlgemerkt – stark reguliert, 1950 wurde sogar eine eigene Tötungsverordnung verabschiedet, die viele arabische Bauern in den existenziellen Ruin trieb. Stattdessen ließen die neu angesiedelten Juden weiße Ziegen aus Europa importieren. Erst 2018, nach knapp 70 Jahren, wurde das nicht nur absurde, sondern auch sozial und ökologisch desaströse Gesetz wieder rückgängig gemacht. „In diesem Land ist alles schwarz und weiß, voller Angst und voller Hass“, sagt Gottesmann. „Daher stellt sich unweigerlich die Frage: Werden wird es jemals schaffen, friedlich miteinander auszukommen?“

Der politisch zutiefst selbstkritische israelische Pavillon unter dem Titel „Land Milk Honey“ zählt zu den schrägsten und zugleich besten und einprägsamsten Beiträgen der Architektur-Biennale 2021. Zwar hatte der diesjährige Biennale-Kurator Hashim Sarkis, seines Zeichens Dekan der School of Architecture and Planning am Massachusetts Institute of Technology (MIT), mit der Frage „How will we live together?“ ein wirklich eindeutiges, unmissverständliches Motto vorgegeben, doch mit deren Beantwortung haben sich die Architekturschaffenden aller Frauen und Herren Länder sichtlich schwergetan.

Einige Kunst- und Architekturbeiträge fliehen statt in die Zukunft schnurstracks in die Vergangenheit und reproduzieren verklärte und romantische Bilder von Häuslichkeit, Gemütlichkeit und harmonischem Miteinander in Form von Großfamilien, Co-Housing-Modellen und ästhetisch durchorchestrierten Nachbarschaften. Andere Länder wiederum machen das Gegenteil, widmen sich der zunehmenden Digitalisierung und Virtualisierung unserer Umwelt und verzetteln sich – wie etwa Österreich, Uruguay und die Niederlande – in Theorien und Philosophien mit aberhunderten Film- und Soundinstallationen, bis einem die Augen tränen und die Ohren glühen. Das virtuelle Geschwurbel geht so weit, dass Kanada und Deutschland auf Materialität und bauliche Manifestation sogar komplett verzichten und ihre Pavillons mit QR-Codes tapezieren. Das stellt jede physische Präsenz in der Lagunenstadt infrage. Wirklich mühsam.

Echt jetzt?

Doch die größte Kritik muss man an jenen Kommissären und Kuratorinnen üben, die der aktuellen Covid-Pandemie verfallen sind und ihre Kernkompetenz hinter sich gelassen haben. Statt Wohnkonzepte, Zusammenlebensmodelle und innovative Architekturtypologien für morgen zu liefern, mutieren sie zu großen Kindern und überbieten sich in der Reproduktion von Aliens, Avataren, prothetischen Künstlichkeiten, in Schläuchen und Bubbles eingeschweißten Naturen und so dystopischen Bildern, dass man bisweilen das Gefühl hat, in einem Sci-Fi-Museum zu Matrix, Brazil und HR Giger zu stehen. How will we live together? Echt jetzt? Für Menschen, deren Job es ist, unsere bauliche Zukunft zu gestalten, ist diese Weltuntergangsmodenschau ein mehr als jämmerliches Armutszeugnis.

Umso erfreulicher, dass in dieser Biennale der kapitalen Themenverfehlungen einige Preziosen umso besser zur Geltung kommen. Irland beispielsweise zeigt sich auf dieser Biennale von einer in der Öffentlichkeit wenig bekannten Seite. Mit 63 Serverfarmen und Datenzentren allein in Dublin zählt die Insel zwischen Europa und Nordamerika zu den Data-Hotspots dieser Welt.

„Das sind mehr Einrichtungen als in jeder anderen Stadt in Europa“, sagen die beiden Kuratoren David Capener und Fiona McDermott. Viele weitere sind bereits in Bau. 2027, so die Prognose, werden die Serverfarmen ein Drittel der gesamten Energie Irlands verbrauchen.

„Das sind gigantische Mengen. Bis heute haben wir dafür kein Klimakonzept. Wenn wir von Klimaschutz und der Reduktion von CO₂ sprechen, dann müssen wir in Zukunft auch über Facebook, Twitter und Tiktok sprechen.“

Ökologisch desaströs

Eine superkonkrete Lösung für ein supergroßes CO₂-Problem liefern – Überraschung – ausgerechnet die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Der in Dubai stationierte Architekt und Kurator Wael Al Awar hat mit der University of Tokyo, der New York University in Abu Dhabi und der American University of Sharjah in den letzten drei Jahren einen neuen Beton entwickelt, bei dem statt Portlandzement zum Binden eine spezielle Salzverbindung, nämlich Magnesiumoxid (MgO), verwendet wird.

„Die Emirate sind der drittgrößte Entsalzer der Erde“, sagt Al Awar. „Bis heute wird die hochkonzentrierte Salzlösung, die am Ende des Prozesses übrig bleibt, ins Meer zurückgeschüttet. An einigen Stellen im Persischen Golf liegt die Salzkonzentration mittlerweile bei zehn Projekt. Das ist ökologisch desaströs. Stattdessen kommt das Abfallprodukt nun auf konstruktive Weise zum Einsatz.“ MgO bindet im Aushärtungsprozess nicht nur Kohlendioxid, sondern ersetzt zugleich klassischen Portlandzement, der wiederum zu den größten CO₂-Emittenten unserer denaturierten Zivilisation zählt.

„Das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen“, so Al Awar. „Aber ich bin optimistisch, wir sind dran.“ In Tests weist der MgO-Beton eine ähnliche Druckfestigkeit auf wie klassischer Beton. Wenn alles gutgeht, könnte damit ein Drittel der Bautätigkeit in den VAE abgefedert werden, so der Kurator. Zukunftsmusik? Ja. Utopisch? Ja. How will we live together? Dafür aber liefert der Beitrag einen der wenigen konstruktiven Lösungsansätze dieser Biennale.

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