Artikel

Mitmachen sollen alle. Beim Preisgericht aber darf keiner zuhören
Neue Zürcher Zeitung

Die Stadt Zürich verleiht zum zweiten Mal einen Publikumspreis für gute Bauten. Auch die Architekturbewertung soll partizipativ werden – debattiert wird aber längst nicht so offen wie beispielsweise in Klagenfurt.

23. Juni 2021 - Sabine von Fischer
Wenn Preise vergeben werden, geht es meist diskret zu und her. Niemand soll erfahren, wer dafür und wer dagegen stimmt. Hinter verschlossenen Türen (oder während der letzten Monate: in hackersicheren Videokonferenzen) tagt die Jury. Unter äusserster Geheimhaltung der einzelnen Meinungen wird dann präsentiert, was wir unter Qualität zu verstehen haben.

Gerade wenn es um die Interessen aller geht – bei Architektur und Stadtbild ist dies unbestritten der Fall –, wäre eine transparente Diskussion wünschenswert. Die «Auszeichnung für gute Bauten der Stadt Zürich» beispielsweise wird seit siebzig Jahren verliehen, im Fünfjahresrhythmus, und auch hier wird im stillen Kämmerlein verhandelt. Die nächste Runde der «guten Bauten», die besten eben, werden am 20. September ausgezeichnet, dies aufgrund von «städtebaulichen und architektonischen Qualitäten sowie in Bezug auf ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und auf ihren verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt».

Transparente Diskussion

Bis dann allerdings werden die Experten in dieser Sache nicht mehr von sich hören lassen. Leider: Gerne wüssten wir, welche Gebäude als besonders wertvoller Lebensraum erkoren werden und ob andere sogar wieder abgerissen gehörten. Ob manche nur einen bunteren Anstrich brauchten oder ein komplett neues Innenleben. Stoff für eine laute, breite, eben öffentliche Debatte gäbe es genug. Würde nämlich eine solche Diskussion entfesselt, könnten alle Beteiligten ihre Ansichten weiter schärfen. Die Argumente würden an Brisanz und Aktualität gewinnen – und das Resultat einer Auswahl von besten Bauten ebenfalls.

Nicht nur die Preisverleihung wäre dann öffentlich, sondern auch der Austausch im Vorfeld würde transparent. Immerhin, mit dem Publikumspreis, der dieses Jahr zum zweiten Mal ausgerichtet wird, versucht die Stadt Zürich eine gewisse Öffnung. Dieser Publikumspreis wird dann, wie bei den Likes auf Social Media, zusätzlich zu den von Fachleuten bestimmten Auszeichnungen verliehen. Partizipation wird in letzter Zeit fast überall grossgeschrieben, sie soll in alle Bereiche des Lebens eindringen: warum nicht in die Preisvergaben?

Vor laufender Kamera

In der Literatur beispielsweise wird immer wieder öffentlich gestritten. Würde dies auch für Architekturpreise versucht, wären Szenen wie neulich an den Klagenfurter Literaturtagen denkbar: Die Jury verhandelt dort jeweils vor laufender Kamera und entscheidet so, neben anderen Literaturpreisen, über den renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis. Dem Ranking der Juroren widmete die Presse letzte Woche mindestens so viel Aufmerksamkeit wie den Autoren: Welcher Preisrichter hatte die besten Argumente, wer fühlte sich ein, und wer inszenierte nur sich selbst?

Vor laufender Kamera könnte ein Fachgespräch über Architektur durchaus an Fahrt aufnehmen. Nach einer solchen Fernsehübertragung wüssten alle, wer aus der Jury mit der sozialen Nachhaltigkeit und wer mit wirtschaftlichem Aufschwung argumentiert. Oder wer sich für die Mehrgenerationenstadt und wer für die Tanzklubs starkmacht. Und wer die ganze Zeit fast nichts, dafür Entscheidendes gesagt hat. Das soll es ja auch geben.

Klicken für die Besten

Einen kleinen Schritt in Richtung Partizipation unternimmt diese Woche die Stadt Zürich mit dem bereits genannten Publikumspreis für gute Bauten. Die Möglichkeiten dafür sind nun aber leider nicht unbegrenzt: Zur Auswahl stehen bei weitem nicht alle der zwischen 2016 und 2020 auf Stadtgebiet fertiggestellten Gebäude, die eingereicht werden durften. Und auch nicht die gut hundert, welche die Architekten oder Bauherren dann ins Rennen geschickt haben. Es ist eine engere Auswahl von 21 Objekten, zu denen Menschen mit Internetzugang um ihre Meinung angefragt werden.

Immerhin, unter diesen 21 gibt es eine gewisse Vielfalt: neben mehreren Wohnbauten ein kleines Hochhaus, einen Bahnhof, ein Sportzentrum, ein Schulhaus und ein Tanzhaus – das eine Tanzhaus eben, das Zürich hat und das nach einem Brand neu gebaut wurde. Auch diese Zeitung hat es bereits mehrfach gewürdigt. Wer es anschauen möchte, kann dort Kaffee trinken gehen, die interaktive Karte zeigt den Standort an. Bitte: Bilden Sie sich selbst eine Meinung!

Der Rahmen für die Online-Meinungsumfrage ist eng gesteckt: So richtig grottenschlecht ist keines dieser 21 Beispiele. Profilieren könnte sich mit Negativbeispielen schliesslich keine Stadt dieser Welt – aus solchen allerdings eine Lehre zu ziehen, täte mancher gut. Aber nein. Das war gar nicht die Frage. Gefragt ist lediglich, welche der Vorzeigebauten aus dem letzten halben Jahrzehnt wir mit einem Herzen markieren. Wer sich nicht entscheiden will, drückt bei mehreren. Bitte: Machen Sie mit!

Klicken ist eines. Debattieren wäre das andere: Was ist nostalgisch verklärt und was futuristisch verblendet? Wo steht stilistisch gelungene, wo komplett unverständlich formulierte Architektur? Ob die Jury der Stadtzürcher Auszeichnung für gute Bauten so redet, werden wir nie erfahren, weil das Preisgericht hinter verschlossenen Türen tagt. Aber immerhin, online dürfen wir im gegebenen Rahmen mitklicken. Die Frage ist nur: Ist das interaktiv genug?

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: