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Da stöhnt der Geist des Wien Museums
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Denkmalschutz führt sich ad absurdum, wenn er nicht nur pragmatisch, sondern prinzipienlos vorgeht. Was passieren kann, wenn die nötige Einfühlung fehlt, zeigt sich aktuell am Umbau des Wien Museums am Karlsplatz.

2. Juli 2021 - Christian Kühn
Die Passanten am Wiener Karlsplatz kamen aus dem Staunen nicht heraus. Was passierte da vor ihren Augen mit dem Wien Museum? Im Laufe weniger Wochen verwandelte es sich in eine Ruine, die ohne Dach, Fensterrahmen und Natursteinfassade dastand und das rohe Tragwerk aus Stahlbeton und Ziegelmauerwerk zum Vorschein kommen ließ. Wie konnte man mit einem Haus, das doch unter Denkmalschutz steht, so umgehen? Auch der ORF griff das Thema auf und berichtete im „Kulturjournal“ über die Hintergründe. Der Bericht gab einerseits Entwarnung: Der ruinöse Anblick sei nur temporär, alle Maßnahmen seien mit dem Denkmalamt abgestimmt. Andererseits vermittelte der Bericht in den Kurzinterviews diverser Experten den Eindruck, dass es zwei Arten von Denkmalschutz gibt: eine fundamentalistische, die keinerlei Änderung an einem Baudenkmal akzeptiert, und eine pragmatische, die davon ausgeht, dass ein Denkmal „lebendig“ bleiben und sich daher an veränderte Nutzungsansprüche und Normen anpassen muss.

Das Wien Museum ist exemplarisch für das angesprochene Dilemma. Es zeigt aber auch, dass sich der Denkmalschutz ad absurdum führt, wenn er nicht nur pragmatisch, sondern prinzipienlos vorgeht. Im konkreten Fall beginnt das Problem schon damit, dass der Denkmalschutz in der Ausschreibung des Wettbewerbs im Jahr 2015 explizit festgehalten hat, dass „sowohl eine Aufstockung als auch ein weiterer Anbau an das Bestandsgebäude aus Sicht des Bundesdenkmalamtes als nicht möglich erachtet werden“. Dem Siegerprojekt gelang es, gegen beide Vorgaben zu verstoßen: Es schlug die Aufstockung des Hauses um zwei Geschoße und einen Zubau ans Foyer an der Hauptfassade vor. Das Denkmalamt hatte zwar keine Stimme in der Jury, aber man darf annehmen, dass seine Meinung vor der Juryentscheidung sondiert wurde. Offensichtlich gab es grünes Licht. Hätte das Denkmalamt auf seinen Positionen beharrt, wäre die Politik am Zug gewesen: Der zuständige Minister hätte den Denkmalschutz aufheben müssen, so wie es die damalige Bildungsministerin Elisabeth Gehrer im Fall eines anderen Museums, der Albertina, entschieden hatte, bei dem eine historische Deckenkonstruktion dem Expansionstrieb des Hausherren im Weg stand.

Wäre es fundamentalistisch gewesen, es auf ein solches politisches Urteil ankommen zu lassen? Nein: Fundiert und fundamentalistisch sind nicht dasselbe. Auch ein pragmatischer Zugang zum Denkmalschutz, der seinen Schutzgegenstand „lebendig“ halten möchte, braucht Prinzipien und muss sich diesen Gegenstand durch Forschung und Bewertung erarbeiten, bevor er dem „Leben“ seine Bahn lässt. Diese Arbeit ist nicht nur analytisch, sondern auch kreativ. Sie schließt eine emotionale Beziehung zu ihrem Gegenstand ein, zu dem, was „Genius Loci“ oder im Fall eines Baudenkmals der „Geist des Hauses“ genannt werden kann, mit dem so respektvoll wie möglich umzugehen ist. Um ein analoges Beispiel aus einem weniger hoch kulturellen Bereich zu wählen: Wer ein Automobil aus den 1950er-Jahren kauft und instand setzt, kann es mit neuem Motor, Metallic-Lackierung, besseren Scheinwerfern und einem Rolls-Royce-Kühlergrill ausstatten, um dann mit 220 Kilometern pro Stunde über die Autobahn zu brettern. Das Ergebnis mag spektakulär sein, aber es steht für eine Haltung, die mit Denkmalschutz völlig unverträglich ist, selbst wenn wesentliche Elemente des Alten erhalten bleiben.

Denkmalschutz muss ein Sensorium dafür haben, was einem Denkmal zugemutet werden kann, bevor es seine Integrität verliert. Wenn die Nutzungsansprüche oder der Wunsch nach „zeitgenössischem“ Ausdruck über das vertretbare Maß hinausgehen, muss der Denkmalschutz diesen Ansprüchen fundiert eine Absage erteilen, oder – in Fällen, in denen die Unterschutzstellung disputabel erscheint – auf den Denkmalschutz verzichten. Wäre es nicht wirksamer, weniger Objekte unter Schutz zu stellen, diese aber konsequent und kompromisslos zu schützen. Dass man ausgerechnet in Wien, wo im frühen 20. Jahrhundert die theoretischen Grundlagen der modernen Denkmalpflege von Größen wie Alois Riegl und Max Dvořzák entwickelt wurden, an solche Prinzipien erinnern muss, ist besonders schmerzlich. Für das Wien Museum hätte es mehrere Wege gegeben: einerseits der lange Zeit diskutierte andere Standort für einen Neubau, der es erlaubt hätte, für das Bestandsgebäude eine adäquate Nutzung im Rahmen des Denkmalschutzes zu finden; oder dessen Aufhebung, die einen radikalen Neubau am Karlsplatz zugelassen hätte, oder auch einen, der Elemente des Bestandes integriert, wie es im Wettbewerb einige Projekte vorgeschlagen hatten. Im Unterschied zu diesen Projekten, die offensichtlich nicht mit dem Denkmalschutz kompatibel waren, gelang es dem Siegerprojekt den Eindruck zu vermitteln, den Bestand fast unangetastet zu lassen.

Dieses Versprechen kann das Projekt in der Umsetzung nicht einlösen. Von der alten Substanz bleibt wenig übrig, Baukörperproportion und Raumabfolgen sind bestenfalls fragmentarisch erhalten, explizit geschützte Elemente wie der alte Lift werden funktionslos an eine andere Stelle versetzt, weil sie mit dem neuen Tragsystem kollidieren. Vom „Geist des Hauses“ wird trotz beachtlichen Aufwands nicht viel überleben. Ob unter diesen Umständen eine Kombination von Alt und Neu erreicht werden kann, die den angekündigten höchsten museologischen Ansprüchen genügt, wird man spätestens bei der Wiedereröffnung des Museums beurteilen können.

Überraschenderweise findet das Wien Museum auch prominente Erwähnung in der Stellungnahme der Unesco zum Stand des Welterbes Wien Innere Stadt, die gerade als Entwurf für die ab dem 16. Juli in Fuzhou in China geplante Sitzung des Welterbe-Komitees publiziert wurde. Neben dem Heumarkt-Areal wird dort die Entwicklung am Karlsplatz thematisiert und eine Neuplanung entsprechend den Empfehlungen der Unesco aus dem Jahr 2018 gefordert. Diese Forderung bezieht sich auf das benachbarte Gebäude der Zurich-Versicherung, das über zwei „Brücken“ direkt mit dem Museum verbunden ist. Im Ausgleich für den Abbruch dieser Brücken, der das Museum wieder als eigenständigen Baukörper freistellen würde, erhielt die Versicherung im Flächenwidmungsplan das Recht auf Aufstockung ihres Gebäudes um drei Etagen. Die Unesco kritisiert deren Auswirkung auf die Karlskirche, immerhin eine der wichtigsten Barockkirchen der Welt.

Wie die Stadt Wien auf die Idee kommt, den Beschluss-Entwurf der Unesco in einer Presseaussendung als „so positiv formuliert“ zu bezeichnen, dass mit einer Streichung von der „Roten Liste“ 2022 gerechnet werden darf, ist ein Rätsel, da alle bisherigen Forderungen der Unesco aufrechtbleiben und um methodische Vorgaben ergänzt wurden. Die Illusion, Stadt und Unesco würden sich in ihren Verhandlungen „auf halber Höhe“ treffen, wird sich nicht mehr lange aufrechterhalten lassen. Aber was passiert dann? Bisher ist das Projekt mit jedem Schritt der Weiterbearbeitung nur schlechter geworden. So schmerzlich das nach rund zehn Jahren auch sein mag: Nur ein Neustart, der von der Frage ausgeht, wie viel zusätzliches Bauvolumen diesem Ort zuzumuten ist, kann hier noch zu einem guten Ergebnis führe.

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