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«Die Inspiration für unser Bürokonzept waren Klubs weltweit: Schachklubs, Debattierklubs, Fussballklubs»
Neue Zürcher Zeitung

Nora Fehlbaum, CEO des Designunternehmens Vitra, spricht über Zusammengehörigkeit und Austausch im Büro und darüber, warum es in Zukunft wichtiger sein wird, den eigenen Arbeitstyp zu kennen.

31. August 2021 - Sabine von Fischer
Frau Fehlbaum, das neueste Bürokonzept heisst bei Ihnen «Club Office», alles dreht sich um Austausch. Lancieren Sie nun statt einer Kaffeemaschine im Büro ein ganzes Café?

Die Kaffeemaschine, oder im englischen Sprachraum der Water-Cooler, ist ganz sicher ein wichtiger Treffpunkt, diese Orte spielen eine wichtige Rolle im Arbeitsleben. Der Kaffeetresen kann dabei helfen, dass ein geplantes Meeting in einen weiteren, lockeren Austausch übergeht. Der Klub aber ist sicher mehr als ein Café – er bietet Möglichkeiten für formellen und informellen Austausch und inkludiert selbst das Home-Office.

Die Bezeichnung überrascht. Der Klub wird sonst eher mit Freizeit assoziiert.

Die Inspiration für unser Bürokonzept waren Klubs weltweit: Schachklubs, Debattierklubs, Fussballklubs. Im Zentrum der Idee stehen die Hingabe und die Begeisterung, mit denen die Menschen ihre Freizeitaktivitäten ehrenamtlich gestalten. Diese Menschen brennen für ein Thema und wollen ihre Sache weiterbringen. Und das Klubhaus steht im Zentrum der Aktivitäten, es dient dem Zusammenkommen von Gleichgesinnten bei der Verfolgung eines gemeinsamen Ziels. Von dieser tiefen Verbindung mit der Organisation können auch kommerzielle Unternehmen lernen.

Wie funktioniert ein solches Büro?

Die Grundidee des Club Office sind das Zusammentreffen und der Austausch, die soziale Interaktion steht für uns im Mittelpunkt. Je nachdem, was man vorhat, sucht man bewusst den passenden Ort für die jeweilige Arbeit auf: Wenn ich mich austauschen möchte und noch gar nicht genau weiss, wer überhaupt im Büro ist, setze ich mich in den ersten, öffentlichsten Bereich. Hier bin ich für alle gut sichtbar. Das kann wichtig sein, wenn ich zum Beispiel schon länger nicht mehr da war. Der halböffentliche Bereich eignet sich für geplante Treffen in Gruppen. Und wenn ich zum Beispiel einen Text schreiben möchte, arbeite ich im abgeschirmten, privaten Bereich oder von zu Hause. Mit der Entscheidung für einen Ort setze ich ein klares Signal, ob ich einen Austausch möchte oder nicht. Ausserdem dient der Klub der Vermischung aller Bereiche. Hier kommen die verschiedenen Abteilungen, im öffentlichen Bereich auch die Mitarbeiter und Besucher zusammen.

Was machen Leute, die sich bei Lärm nicht konzentrieren können?

Sie arbeiten womöglich eher selten im vorderen Bereich des Klubs, sondern ziehen sich in die anderen Bereiche oder für ein, zwei Tage die Woche ins Home-Office zurück.

Etwas Lärm müsste man also im Klub-Büro schon aushalten?

Diese Sorge höre ich meistens von Kunden, bei denen es vielleicht etwas zu ruhig ist. Wenn nämlich das Grundrauschen fehlt, hört man wirklich den Stift fallen und versteht jedes Wort. Die fehlende Geräuschkulisse nehmen wir oft bei Kunden wahr, deren Kerngeschäft eine hohe Vertraulichkeit verlangt, bei Banken oder der Pharmaindustrie beispielsweise. Diese Zurückhaltung kann Teil der Arbeitskultur sein.

Früher wurde dann ein künstliches Grundrauschen eingespielt, wird das nun wieder nötig?

Nicht wenn es genügend kleine und mittelgrosse Besprechungszimmer gibt, die für seltene, wirklich vertrauliche Gespräche gebucht werden können. Auch mit mobilen Wänden können Räume für spontane Treffen eingegrenzt werden, und sie können sehr einfach umgebaut werden zu einer Magnetwand, einem Whiteboard, einem Büchergestell oder einer Pflanzenwand. Diese Anpassbarkeit kam uns in der Pandemie zugute: Dann wurden die Wände zu Abstandshaltern umfunktioniert. Gute Produkte erlauben es, rasch auf sich ändernde Bedürfnisse zu reagieren – auch schon vor dem Coronavirus. Im Übrigen denke ich auch, dass etwas Klappern von Kaffeetassen oder ein ruhiges Gespräch im Hintergrund Teil einer konzentrierten, produktiven Arbeitsumgebung sein kann.

Sie sind im ersten Lockdown mit Diskussionen und E-Papers zu Corona-tauglichen Bürokonzepten an die Öffentlichkeit getreten. Werden diese Büros nun Teil des neuen Alltags bleiben, oder war das Design für den Ausnahmezustand?

Es ist für jeden schwierig vorauszusehen, was aus dieser Zeit bleiben wird. Ich glaube, dass wir alle gelernt haben, mögliche Orte einer Ansteckung bewusster wahrzunehmen. So verkehrt ist das alles also nicht: Auch weil wir uns die Hände nicht mehr geschüttelt haben, gab es dieses Jahr keine Grippewelle. Wir hoffen natürlich alle, dass dieser Ausnahmezustand mit Abstandhalten und Maske irgendwann ein Ende hat. Aber es gibt öffentliche Bereiche, in denen leicht zu reinigende Oberflächen immer schon ein Thema waren. Wir beliefern auch Flughäfen, Hotellobbys, Universitäten. Da musste die Putzequipe immer schon effizient durchgehen können, insofern brachte uns die Pandemie keine grundlegenden Neuerungen, nur wurde der Hygieneunterschied zwischen einer abwischbaren Oberfläche und einem Polster nun vielen Leuten bewusster.

Die grosse Neuerung durch die Pandemie war das Home-Office.

Die Corona-Pandemie hat einen Wandel beschleunigt, der zwar seit Jahren vorausgesagt wurde, sich aber nur schleppend vollzogen hat: Die Arbeit fern des Büros ist nun plötzlich breit angekommen und akzeptiert. Den Schritt zurück in die alte Welt wird wohl kaum ein Unternehmen vollziehen können, aber das Ausmass des Home-Office muss gesteuert und gemeinsam definiert werden. Denn man hat während der Pandemie auch gesehen, was die Schwierigkeiten sind. Vor allem bei neuen Mitarbeitern gibt es hohe Kündigungsraten. Man hat Leute schnell wieder verloren, die man aufwendig gesucht hat.

Manche denken nun, dass das Home-Office als Sparmassnahme der Unternehmen weitergeführt wird.

Wir sehen beide Fälle: Unternehmen, die mit der Fernarbeit ihren Flächenbedarf reduzieren, und Unternehmen, die ihre Mitarbeiter zurück in die Büros bringen möchten. Für beide Fälle gilt, dass die bestehenden Büros die neuen Ansprüche nicht erfüllen. Ein Team kann auf einer kleineren Fläche arbeiten, wenn diese effizient geteilt wird – dafür braucht es ein gutes Konzept, das mit den Mitarbeitern ausgearbeitet wird, um Vorurteile gegenüber dem Grossraumbüro zu überwinden. Die Verteilung der Flächen eines Büros wird sich verändern: Flächen mit festen Plätzen für individuelle Arbeit können durch das – vom Arbeitgeber unterstützte – Home-Office ersetzt werden. Zonen für Austausch und Begegnung im Büro nehmen hingegen mehr Raum ein. Diese Büros sind attraktiv und atmen mit der Anzahl Mitarbeiterinnen. Ein gutes Büro entwickelt sich entlang der Bedürfnisse des Unternehmens.

Sie sagten auch einmal, dass Sie sich schwertun würden ohne einen Arbeitsplatz, zu dem Sie hingehen könnten.

Viele haben während der Pandemie gemerkt, dass sie die Trennung von Arbeit und Privatleben benötigen. Ich arbeite gerne in den Morgen- und Abendstunden von zu Hause und bin tagsüber im Büro. Für mich ist die Velofahrt ins Büro Teil einer Routine, genauso wie die Begrüssung unseres Teams am Empfang beim Ankommen und in der Kantine an der Kaffeemaschine. Ich würde ohne Büro mein Team weniger sehen und spüren – manchmal weiss man ja, dass etwas nicht stimmt, ohne dass auch nur ein Wort gesagt werden muss.

Es ergibt eben keinen Sinn, dass wir uns alle zu Hause ein Büro einrichten.

Es kommt sehr auf die jeweiligen Bedürfnisse und die individuelle Situation an. Während der Pandemie gab es bei uns in der Schweiz Home-Office-Empfehlungen und -Pflichten. Diese haben Veränderungen beschleunigt, die bereits im Gang waren. Nun wird es vielen an Argumenten fehlen, warum Home-Office nicht möglich sei.

Der Vorteil des Home-Office ist doch einzig, dass das Pendeln wegfällt. Meinetwegen könnte man es wieder abschaffen.

Es ist klar: Nur Home-Office zu machen, ist schwierig. Wenn die Leute sich nicht treffen, fehlt über die Zeit der Zusammenhang der Themen, es wird schwieriger, Konflikte zu überwinden, Zwischentöne werden falsch interpretiert, der ganze Austausch leidet. Vor allem fällt es neuen Mitarbeitern schwer, sich zu integrieren, die Kultur zu verstehen. Stellen Sie sich vor, Sie treten eine neue Aufgabe in einem neuen Unternehmen an und sitzen nur zu Hause vor einem Screen. Wo finden Sie Orientierung? Wen fragen Sie? Wie wissen Sie, ob Sie einen guten Job machen? Ich stelle mir das unmöglich vor!

Sie haben das Home-Office bei Vitra trotzdem als zukünftige Option eingeführt.

Auch bei uns kamen vermehrt Anfragen aus den Teams, ob es möglich sei, weiterhin von zu Hause aus zu arbeiten. Nun haben wir Anfang des Jahres einen Rahmen geschaffen, in dem sich jeder Mitarbeiter in einem offenen Gespräch mit seinem Teamleiter und unserer Personalabteilung auf einen Arbeitstyp verständigt. Die vier Worktypes haben Konsequenzen für die Ausstattung des Arbeitsplatzes. Der erste, der Workplace Resident, ist zu 100 Prozent vor Ort. Dazu gehören sicher unsere Leute in den Werkstätten, die Produktion kann nicht von zu Hause aus geschehen. Der zweite Typ ist der Workplace Enthusiast, der zwar auch einmal einen Tag zu Hause arbeiten könnte, aber grundsätzlich gerne im Büro anwesend ist. Der dritte Typ ist der Workplace Citizen, der gut konzentriert von zu Hause arbeiten kann und bis zur Hälfte der Zeit da ist, beispielsweise unsere IT. Bei mehr als 50 Prozent Abwesenheit funktioniert der Austausch nicht mehr, ausser beim letzten Typ. Das ist der Nomade, der ist eigentlich nie da. Eine Kollegin beispielsweise arbeitet aus Kopenhagen für unser deutsches Team und nimmt an fast allen Meetings virtuell teil. Bei ihr ist es dann klar, dass sie nicht persönlich anzutreffen ist.

Und wie bringen Sie die verschiedenen Arbeitstypen unter einen Hut?

Von den vier Worktypes lässt sich alles Weitere ableiten: Welche Zeit passt für Team-Meetings? Was bekommt diese Person für das Home-Office? Wie viel Fläche braucht das Team im Büro? Wie plant ein Team gemeinsam seine Woche? Es sind zwar viele Regeln, aber ich habe selten eine so enthusiastische Reaktion auf eine Neuerung erfahren, denn sie bringt viel Klarheit und Transparenz.
«Vitra» kommt von Vitrine

In der dritten Generation
svf. Nora Fehlbaum ist seit 2016 die CEO von Vitra und repräsentiert dort, nach ihrem Grossvater und ihrem Onkel, den Schweizer Designmöbelhersteller in der dritten Generation. Der Hauptsitz des Schweizer Familienunternehmens mit Vertriebspartnern und eigenen Schauräumen auf allen Kontinenten liegt seit der ersten Generation in Birsfelden bei Basel.

Erst aus der Nähe ist das vom amerikanischen Architekturstar Frank Gehry 1994 gestaltete Gebäude in der sonst unspektakulären Quartierstrasse sichtbar und zeigt die Designambitionen des Unternehmens. Es war der erste Bau Gehrys in der Schweiz, fünf Jahre nach der Eröffnung des Vitra Design Museum. Dieses wurde ebenfalls nach Gehrys Entwurf gestaltet, auf dem Vitra-Campus im nahe gelegenen Weil am Rhein, wo seit den 1950er Jahren Vitras Produktionsstätten liegen. Nach einem Brand im Jahr 1981 wurde der Campus zum Architekturensemble weiterentwickelt und mit dem Vitra Design Museum dann der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der öffentliche Teil umfasst heute auch das Vitra-Haus und das Vitra-Schaudepot von Herzog & de Meuron, das Feuerwehrhaus von Zaha Hadid, den Oudolf-Garten und weitere kleinere Architekturikonen.
Amerikanische Inspiration

«Vitra» ist von «Vitrine» abgeleitet: Ursprünglich war Vitra das Ladenbaugeschäft von Erika und Willi Fehlbaum in Basel. Auf einer Amerikareise in den 1950er Jahren entdeckten sie zufällig einen Eames-Stuhl in einem Schaufenster. Seither produziert Vitra die Eames Collection, heute in enger Zusammenarbeit mit den Nachkommen von Charles und Ray Eames. Mit Verner Panton entwickelte Vitra dann in den 1960er Jahren den Panton Chair als ersten eigenen Entwurf.

Heute produziert und vertreibt das international tätige Unternehmen Klassiker des Möbeldesigns genauso wie Objekte von zeitgenössischen Designern wie Ronan & Erwan Bouroullec, Konstantin Grcic, Hella Jongerius oder Jasper Morrison. Seit den 1970er Jahren setzt sich Vitra auch mit den Entwicklungen der Büroarbeit auseinander und hat nicht nur einige bedeutende Bürostühle und -möbel, sondern auch wegweisende Konzepte für offene Büroumgebungen entwickelt, einige davon mit der türkisch-britischen Innenarchitektin Sevil Peach.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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