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Wie baut man Hochhäuser?
Spectrum

Ein einprägsamer Ort, der nicht nur den Nutzern und Investoren dient, sondern auch der Allgemeinheit: Henke und Schreieck zeigen mit dem Triiiple in Wien, was Architektur und Städtebau an einer unmöglichen Stelle bewirken können.

13. Oktober 2021 - Christian Kühn
Ist Wien eine Hochhausstadt? Diese Frage lässt sich am besten von einem neuen Aussichtspunkt der Stadt aus prüfen, dem Restaurant auf dem Dach des Flakturms im Esterházypark, dessen umlaufender Balkon einen freien Blick in alle Himmelsrichtungen erlaubt. Von hier aus lassen sich einige prominente Hochhauscluster erkennen: im Norden die Donau City mit dem DC Tower; im Süden der Wienerberg mit den beiden dominanten Twin Towers; ein Stück östlich davon der Stadtteil Monte Laa, errichtet auf und neben der Überplattung der Südosttangente; deutlich näher zum Zentrum die Hochhäuser im Viertel um den Hauptbahnhof und in Wien-Mitte. Dazwischen gibt es eine ganze Reihe von vertikalen Entgleisungen, vom Millenniums- bis zum Florido-Tower, die im Stadtgefüge unruhig aufzeigen. Wien gewinnt seine Identität sicher nicht aus diesen Stadtbausteinen, aber sie gehören inzwischen dazu, wie die Windparks nördlich der Stadt, die sich aus der Vogelperspektive vom Flakturm recht dramatisch ins Bild schieben.

Das Hochhaus ist eine teure und wenig effiziente Form des Bauens, die aber hohe Renditen verspricht, wenn das ökonomische Umfeld passt. Hohe Bodenpreise sind dabei weniger die Ursache fürs hohe Bauen, vielmehr die Wirkung entsprechender Widmungen. Für die öffentliche Hand bieten sich daher Steuerungsmöglichkeiten über städtebauliche Verträge, in denen der Widmungsgewinn der Projektentwickler zumindest teilweise in Leistungen für die Öffentlichkeit umgelenkt wird, etwa durch die Mitfinanzierung sozialer Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten oder die Überplattung von Autobahnen.

Viel größer sind die Einflussmöglichkeiten dort, wo die öffentliche Hand auch Eigentümerin der Liegenschaften ist. Ein Beispiel dafür ist ein weiterer Cluster mit drei Büro- und drei Wohntürmen in der 100-Meter-Klasse, der sich im dritten Bezirk zwischen den U-Bahnstationen Schlachthausgasse und Erdberg entwickelt hat, auf einem Areal, das fast ausschließlich aus Infrastruktur bestand: einer Schnellstraße entlang des Donaukanals; einer Autobahnauffahrt zur Südosttangente; dem Hauptzollamt, das in mehreren Hochhausscheiben untergebracht war; und schließlich einer Remise der U-Bahnlinie U3, über der bereits vor 20 Jahren unter dem Namen Town-Town ein Ensemble von Bürohäusern errichtet wurde.

In dieses Durcheinander Ordnung zu bringen, ist eine fast hoffnungslose Aufgabe, an der die Stadtplanung bei den drei Bürohochhäusern auch postwendend gescheitert ist. Selbst wenn einer von ihnen, der Austro Tower, eine durchaus interessante Geometrie besitzt, kann er die gnadenlose Banalität der beiden anderen Türme nicht wettmachen, die neben ihm wie zufällig abgestellt wirken. Auch die komplexe Doppelfassade hält im Detail nicht, was sie aus der Ferne verspricht: Technische Spitzenleistungen im Hochhausbau sind nur in Städten möglich, wo die Büromieten astronomisch sind. Wien kann da nicht mitspielen, was für visionäre Hochhausarchitektur bedauerlich, für die Stadt insgesamt aber nicht von Nachteil ist.

Von einer ganz anderen Qualität sind die drei Wohnhochhäuser, die auf dem Areal des ehemaligen Zollamts von den Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck entworfen wurden. Als Projektentwickler traten hier die ARE – eine Tochtergesellschaft der BIG, die nach dem Abbruch des Zollamts über die Grundstücke verfügte – und die Soravia-Gruppe auf. Letztere hatte bereits mit der Stadt Wien Town-Town entwickelt. Im Architekturwettbewerb schlugen die Architekten vor, statt der geplanten zwei massiven Wohntürme drei zartere zu errichten, zwischen denen sich auf mehreren Ebenen öffentliche Räume aufspannen: auf Straßenniveau ein öffentlicher Platz, zu dem sich die Lobbys der Hochhäuser und einige Geschäfte orientieren, auf dem Niveau darüber – dessen Höhenlage von acht Metern durch die Überplattung von Remise und Autobahnzufahrt vorgegeben ist – eine ebenfalls öffentliche, großzügige Stadtterrasse, die über eine Brücke mit dem eher tristen inneren Platz von Town-Town verbunden ist. Diese Terrasse reicht auf der anderen Seite zum Donaukanal, wo sich ein kleines Café bis knapp ans Wasser vorschiebt.

Das gestalterische Charakteristikum der drei Türme ist ihre Höhenstaffelung mit dramatischen Überhängen und mehrgeschoßigen Terrassen-Einschnitten. Aus manchen Perspektiven fragt man sich, wie die Türme statisch im Gleichgewicht sein können. Sie wirken wie Turner, die schwierige gymnastische Übungen machen und ihre Muskeln bis zum Äußersten anspannen müssen. Hinter der Fassade sind bei genauerem Hinsehen die diagonalen Zugelemente zu sehen, mit denen die verantwortlichen Tragwerksplaner Gmeiner und Haferl dieses Kunststück zuwege gebracht haben. Den Fassaden sind umlaufende Balkone vorgesetzt, die mit Glasbrüstungen versehen sind; eine aufwendige Lösung, die darauf hindeutet, dass man es hier mit Wohnungen im Luxussegment zu tun hat. Das gilt jedenfalls für zwei der Türme; der dritte beinhaltet 700 Kleinstwohnungen für Studierende. Alle Wohnungen profitieren von der Lage am Wasser, vom Fernblick und davon, dass die drei Türme nicht nur skulptural interessant sind, sondern auch zwischen sich Räume aufspannen, die von den großen gemeinschaftlich nutzbaren Terrassen aus erlebbar sind.

Was hat die öffentliche Hand von diesem Projekt, dessen Bauplatz öffentliches Eigentum war? Einerseits geht ein Teil des Gewinns an die ARE und damit an die Republik. Anderseits finanziert es die Überplattungen und Sozialwohnungen an einem anderen Standort, wo sie rasch benötigt wurden. Dass es mit dem Triiiple gelungen ist, „Millionärswohnungen“ an einem Unort attraktiv zu machen, den man davor selbst für Sozialwohnungen als Zumutung bezeichnet hätte, ist eine Pointe dieses Projekts. Nach dem Viertel 2 mit dem OMV-Hochhaus und dem Erste Campus am Hauptbahnhof haben Henke und Schreieck mit dem Triiiple neuerlich bewiesen, dass sie in der Lage sind, im großen Maßstab einprägsame Orte zu schaffen, die nicht nur den Nutzern dienen, sondern auch der Allgemeinheit. Wien bräuchte mehr von dieser unaufgeregten und uneitlen, vom Städtebau bis zum Detail reichenden Kompetenz.

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