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Mit Backrohr und Kühlschrank zur Miete
Der Standard

Die Wientalterrassen der WBV-GPA bauen auf dem Prinzip von CO2 -Neutralität und Kreislaufwirtschaft auf. Geheizt wird mit Geothermie und Wärmerückgewinnung. Die Haushaltsgeräte können im Haus angemietet werden.

17. November 2021 - Wojciech Czaja
Eingeklemmt zwischen Westbahngleisen und Hadikgasse, die kurz darauf zur Wientalautobahn mutiert, errichtet die Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA) auf einem ehemaligen ÖBB-Grundstück in der Käthe-Dorsch-Gasse eine Wohnhausanlage mit 196 klassisch geförderten Mietwohnungen und 99 Smart-Wohnungen. Die Bebauung ist recht kompakt, eine kammartige Struktur mit fünf Höfen, doch dafür gibt es – quasi als Kompensation für die hohe Dichte und die räumlich eng gesteckten Grenzen – drei riesige Dachterrassen im fünften, sechsten und siebten Stock mit Blick auf Wienfluss, Wienerwald und Lainzer Tiergarten.

Doch die wahren Vorzüge der sogenannten Wientalterrassen liegen nicht oben am Himmel, sondern tief verborgen unter der Erde. Über 60 Erdsonden, die bis zu 150 Meter in die Tiefe reichen, wird genug geothermische Energie gewonnen, um damit alle Wohnungen beheizen zu können. Mithilfe von Wärmepumpen und Bauteilaktivierung in den massiven Deckenplatten gelangt die Wärme schließlich in die Wohnbereiche. Unterstützt wird das Niedrigenergiekonzept durch Solarthermie auf dem Dach und ein in Österreich in diesem Maßstab erstmals angewandtes Wärmerückgewinnungssystem, das die Restwärme aus dem Abwasser der gesamten Wohnhausanlage entnimmt und über Wärmetauscher wieder ins Netz zurückspeist.

„Auf diese Weise können wir auf fossile Brennstoffe komplett verzichten“, sagt Michael Gehbauer, Geschäftsführer der WBV-GPA, die das Konzept in Zusammenarbeit mit Ingenieuren des Austrian Institute of Technology (AIT) entwickelte. „Für uns gemeinnützige Bauträger in Österreich ist dieses System neu, in der Schweiz allerdings sind derartige Abwasserwärmerückgewinnungskreisläufe bereits gang und gäbe. Daher haben wir uns im Rahmen einer Exkursion einige Projekte live angeschaut – und uns mit den verantwortlichen Bauträgern und Genossenschaften über ihre Erfahrungswerte im alltäglichen Betrieb ausgetauscht.“

Das physikalische Gleichgewicht der Kräfte sorgt für einen buchstäblich coolen Nebeneffekt: „Wenn die Erdbatterien am Ende des Winters leer und ausgekühlt sind“, sagt Architekt Alfred Berger, der gemeinsam mit seiner Partnerin Tiina Parkkinen das Büro Berger+Parkkinen leitet und das Projekt in Kooperation mit Architekt Christoph Lechner (CEHL) geplant und umgesetzt hat, „müssen wir sie für die kommende Saison wieder mit Energie auffüllen. Daher nutzen wir die Geothermie, um die Wohnungen im Sommer um ein paar Grad zu kühlen. Das ist ein überaus komfortables Angebot, das im geförderten Wohnbau Seltenheitswert hat.“

Eine weitere Besonderheit ist das gemeinsam mit dem Verein Rusz (Reparatur- und Servicezentrum) betriebene Reparaturcafé, in dem die Bewohner mit der Instandsetzung von Haushaltsgeräten vertraut gemacht werden sollen. Weiters wird die WBV-GPA die Haushaltsgeräte in den Waschküchen und in den bereits möblierten Wohneinheiten von Rusz anmieten. Auf Wunsch soll das nachhaltige Kreislaufwirtschaftskonzept auch auf die Wohnungen übertragen werden. Wer möchte, kann – statt in neue Elektrogeräte zu investieren – eine Art Nutzungsvertrag mit dem Verein Rusz abschließen und seine Elektrogeräte über eine monatliche Gebühr anmieten, servicieren und bei Bedarf auch kostenlos reparieren und erneuern lassen.

„All in Penzing“

Der Eigenmittelanteil beläuft sich auf 298 Euro pro Quadratmeter, die monatliche Miete auf 7,97 Euro pro Quadratmeter. In den Smart-Wohnungen reduzieren sich die Kosten ganz klassisch auf 60 Euro Eigenmittelanteil und 7,50 Euro Miete. Hinzu kommen diverse Verbandswohnungen für Alleinerziehende, Garçonnierenverbünde, eine WG für Kinder und Jugendliche, Werkstätten und Büros für den Verein Balance sowie ein Intergenerationenzentrum unter dem Namen „All in Penzing“, das vom Kuratorium Wiener Pensionistenwohnheime betrieben wird und die lokale Nachbarschaft von Jung und Alt stärken soll. Geplante Fertigstellung: November 2022.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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