Artikel

Ein Landhaus für Unbehauste: Ein Luxusdomizil beherbergt Obdachlose
Spectrum

In Mayerling baut das Architekturbüro Gaupenraub das einstige Luxushotel „Hanner“ zur VinziRast am Land um. Wo einst die Habenden residierten, sollen sich nun Obdachlose bei der Arbeit mit Pflanzen und Tieren erden können.

25. November 2021 - Isabella Marboe
Mayerling 1 war einmal eine erste Adresse. Scharenweise pilgerten die Gourmets zum „Hanner“ im Wienerwald, wo Heinz Hanner auf Drei-Hauben-Niveau kochte. „Ich bin in Mayerling 2 aufgewachsen“, sagt Ludwig Köck, Bürgermeister von Alland, dem die Katastralgemeinde angehört. „Heinz Hanner war mein Nachbar, wir spielten hier gemeinsam Tennis.“ Restaurant und Seminarhotel zählten zu Relais & Châteaux und Les Grandes Tables du Monde. Wo früher der Tennisplatz war, ist heute ein Hühnerstall. „Hauptsache, kein Leerstand“, sagt Köck. „Das ist das Schlimmste für eine Gemeinde.“ Nun baut das Architekturbüro Gaupenraub das einstige Luxushotel zur „VinziRast am Land“ um. Dort sollen Unbehauste wieder Boden unter den Füßen finden. Im Herbst lud die VinziRast zum Fest: Freiwillige und Obdachlose verkochten Gemüse vom Feld und führten über das Gelände. Viele aus der künftigen Nachbarschaft kamen, auch Bürgermeister Köck. Ein klares Statement zum Projekt.

Umgeben vom Wienerwald, steht die Jausenstation Marienhof seit den 1930er-Jahren an der Straßenkehre Mayerling 1. Ein sympathisches Haus, weiße Holzfassade, grüne Fensterläden, Schleppdach mit Gaupe. 1972 bauten Hanners Eltern rückseitig ein Hotel an, das sich den Bestand teils einverleibt, ihn teils umspült. Etwa 30 Meter lang, elf Meter breit, drei Geschoße, die Dächer gehen ineinander über. 1989 erkochte sich Sohn Heinz die erste Gault-Millau-Haube und erweiterte um einen weiteren Hoteltrakt. Etwa 19 mal 16 Meter im Grundriss, vier Geschoße, Hanner bewohnte das Penthouse unterm Satteldach, 2004 wurde der Betrieb zum Restaurant-Hotel-Meetingpoint „Hanner“ mit Goldfischteich und Hubschrauberlandeplatz. 2016 musste er schließen, 2018 kaufte die ZMI GmbH, eine Privatstiftung von Hans-Peter Haselsteiner, die Liegenschaft. Hanners Eltern dürfen dort lebenslang wohnen, Haselsteiner räumte dem Obdachlosenverein Vinzenzgemeinschaft St. Stephan ein jahrelanges Nutzungsrecht ein.

Alexander Hagner und Ulrike Schartner von Gaupenraub planten bereits in Wien viel für die VinziRast, immer im Bestand: 2004 die VinziRast Notschlafstelle, 2009 eine VinziRast-WG, 2013 machten sie ein Eckhaus in Währing zur „VinziRast mittendrin“. Dort leben Studierende mit Obdachlosen in zehn WGs, auf dem Dach gibt es einen Seminarraum, zu ebener Erde das Lokal „mittendrin“, das künftig von der „VinziRast am Land“ sein Gemüse beziehen soll. Auch dieses Haus hat einst Hans-Peter Haselsteiner erworben; nun gehört es dem Verein.

An einem nasskalten Tag im November 2018 fuhren Gaupenraub und der Vorstand der VinziRast erstmals nach Mayerling, es war gespenstisch. Einrichtung, Möbel, Lampen, alles da. In den Zimmern überzogene Betten mit toten Fliegen. Auf dem Boden Laminat in Mooreichenoptik, an den Wänden Naturstein-Imitat aus Feinsteinzeug, an den Decken abgehängter Gipskarton. Ein Zeugnis des unbedingten Strebens nach dem schönen Schein. Der Marienhof als Nukleus des Bestands wurde ständig erweitert und ein Bauteil in den anderen geschoben. Es gibt viele verschiedene Niveaus, daher ist die Erschließung sehr eigenwillig. Das Stiegenhaus am Eck des Hoteltrakts der 1990er-Jahre wird zum Anker, von dem lange, schmale Gänge mit Stufen und Zwischenpodesten ihre Haken zwischen Bauteilen und Zimmerfluchten schlagen.

„Man verläuft sich ständig“, sagt Ulrike Schartner. „Wir suchten wie die Trüffelschweine nach Qualitäten.“ In Hanners Gastroküche wurden sie fündig. „Das ist der stimmigste Ort. Die Köche schauten hier Parapet-frei von den Zehenspitzen aufwärts in die Landschaft.“ Es ist derselbe Blick über Alland, den man auch vom Maierhof hat: nach Westen, zur Abendsonne. Die Küche bekommt noch eine neue Terrasse, sonst bleibt alles unverändert. Insgesamt 77 Betten in einem Gebäudekonglomerat mit 3500 Quadratmeter Nutzfläche, dazu 2,7 Hektar Grund. Die Architekten waren geplättet von der Größe des Bestands, dann traten sie die Flucht nach vorn an. Sie erweiterten die VinziRast um 700 Quadratmeter Glashaus, etwa 98 Quadratmeter Stall und 150 Quadratmeter Volieren für Vögel. Dennis Reitinger, ein Boku-Absolvent, legt hier eine Permakultur an, bis auf die Samen ist nichts zuzukaufen. Seit zwei Jahren lebt er auf der Baustelle, Freiwillige und Obdachlose aus der „VinziRast mittendrin“ leerten den Bestand, rodeten, jäteten und pflanzten; das Glashaus fand per Crowdfunding nach Mayerling, ein Malermeister aus Etsdorf am Kamp spendete den Hühnerstall. Tischler Josef Kleinrad, Thomas Radatz, Andreas Stangl und über 40 weitere Lehrer:innen und Schüler:innen der HTL Mödling bauten ihn ab und als Luxusherherge für Hühner wieder auf. Deren Kot ergibt den besten Dünger für die Pflanzen in den Glashäusern.

Gaupenraub verkehrten einen flüchtigen glamourösen Ort für besonders wohlhabende in einen dauerhaft authentischen Lebensraum für Bedürftige. „Wir brauchen hier tragfesten Grund, kein Fake“, sagt Alexander Hagner. Der Bestand wird auf seine Struktur zurückgeführt, alle Leichtbauwände werden entfernt, Durchbrüche geschaffen, damit man in die Umgebung blicken und sich besser orientieren kann. Der Betonschneider hat viel zu tun, Peter Bauer vom innovativen Statikbüro Werkraum Wien hat viel zu rechnen. Alles, was Identität stiftet, wird verstärkt. Bezug zur Natur und Heterogenität des Bestands – je unterschiedlicher die Räume und Situationen, umso mehr Menschen werden sich wohlfühlen. Synergien finden sich zuhauf: So hat das Stift Heiligenkreuz oft zu wenige Betten für Pilger und kann das Altersheim in Alland künftig die Hotelwäscherei nutzen.

Die Zimmer sind zwischen zwölf und 30 Quadratmeter groß. In Letzteren wurden die Interieurs maßgetischlert, unter den großzügigen Bettpodesten aber ist kein Bodenbelag mehr. Die Fehlstellen werden nicht mit Eichenparkett gefüllt, sondern einfach geflickt. Ehrlichkeit ist angesagt – und Mut zur Lücke. Das Zimmer mit der türkis verfliesten Badezimmerkapsel, die wirkt, als sei sie für Barbarella gemacht, bleibt Hotel, andere sind zu permanenten Kleinwohnungen für etwa 30 Obdachlose zu adaptieren. Gaupenraub nutzen, was brauchbar ist, denn ein ungeahnt großer Teil des Budgets fließt in Mängelbehebung. So gingen Grau- und Regenwasser in denselben Kanal, waren die Brandabschnitte nicht korrekt abgetrennt, musste der Lift behördlich gesperrt werden, weil sich Entlüftungsgitter über dem Maschinenraum als Fake entpuppt hatten. Das zehrt am betagten Ehepaar Hanner: Es wollte kein Ausweichquartier und lebt nun auf der Baustelle. Ein Ende ist in Sicht, im Sommer 2022 soll die „VinziRast am Land“ fertig sein. Dann werden sich Pflanzen an den Fassaden emporranken und so den Bestand zu einem Teil des Wienerwaldes machen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: