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Wie man einen Regenbogen baut
deutsche bauzeitung

Kirchenneubau in Brünn (CZ)

Die Kirche der Seligen Maria Restituta in Brünn ist eine Skulptur aus Licht und Beton. Architekt Marek Jan Štĕpán hat sich an Vorbildern des 20. Jahrhunderts orientiert und einen ambivalent großartigen Ort geschaffen, bei dessen Anblick die Reaktion zwischen Begeisterung und Enttäuschung oszilliert.

7. März 2022 - Wojciech Czaja
Kaum hat man die Banalität des Außenraums hinter sich gelassen, kaum ist die gläserne, mit Holzlatten verkleidete Brandschutztür mit Panikbeschlag wie aus dem Baumarktkatalog mit einem metallischen Klick zugefallen, überfällt einen eine Mischung aus Schock und zauberhafter Überraschung. Man steht plötzlich mitten in einer Raum-Zeit-Maschine, in Millisekunden reist man nach Ronchamp zu Le Corbusiers Notre-Dame du Haut. Nackter Beton in unterschiedlichen Qualitäten und Oberflächen, mal glatt, mal rau, mit Besenstrich gekratzt oder konzentrisch in kleinen, 8 cm breiten Holzlatten geschalt, und über genau jene Fläche, die sich mit einem magischen Licht-Schatten-Spiel in 18 m Höhe über den Kirchenraum stülpt, legt sich wie ein dematerialisierter Schleier aus Licht ein kreisrunder Regenbogen in allen Farben dieser Welt.

»Schon seit Jahrhunderten beschäftigen sich die Menschen damit, wie man höhere, spirituelle Kräfte darstellen kann, und auch Umberto Eco bezeichnete die Identität Gottes einst als einen Lichtstrom, der das ganze Universum durchdringt«, sagt Architekt Marek Jan Štěpán. »Genau darum geht es in dieser Kirche. Die eigentliche Lichtquelle ist von unten betrachtet unsichtbar, und doch dringt dieses wunderbare sphärische Licht in den Innenraum und breitet sich auf der gesamten, im Durchmesser 25 m großen Kuppel aus. Das ist meine ganz persönliche Art und Weise, Spiritualität und universelle Kraft darzustellen. Es geht um Immaterialität und um eine fast uterushafte Sanftheit und Sicherheit.« Štěpán, 54 Jahre alt, selbst praktizierender Christ und Professor für sakrale Räume an der Technischen Hochschule Brünn, beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit mit Kirchenarchitektur. Sein Portfolio umfasst katholische, evangelische und jüdische Gotteshäuser sowie zahlreiche Entwürfe für Altäre, Tabernakel und diverse liturgische Geräte. Mit besagtem Standort in Lesná, einer modernen Wohnsiedlung im Norden Brünns, die in den 60er Jahren von František Zounek und Viktor Rudiš nach dem Prinzip einer Gartenstadt errichtet wurde, hatte er schon mal während seines Diplomstudiums 1991 zu tun. Damals wurde ein öffentlicher Wettbewerb für eine Kirche und ein Glaubens- und Gemeindezentrum ausgeschrieben, den er gemeinsam mit Zdeněk Bureš gewinnen konnte. Das Gemeindezentrum von Bureš wurde realisiert, der Entwurf für die Kirche der Seligen Maria Restituta allerdings blieb in den Akten.

»Es vergingen 25 Jahre mit weit über 30 Entwurfsvarianten vieler beteiligter Architekten, doch die Diözese von Brünn konnte sich auf keine Lösung einigen«, erinnert sich Štěpán. 2016, ein Vierteljahrhundert später, wurde daher ein zweiter Wettbewerb ausgeschrieben. Und: »Ich konnte es kaum glauben, aber den habe schon wieder ich gewonnen! Es gibt einige Analogien zu meinem Erstentwurf, vieles ist ähnlich, aber im Großen und Ganzen ist das Projekt wohl reifer und erwachsener geworden. Während ich mich als Student noch mit einer expressiven Holzkonstruktion verewigen wollte, die ein wenig an Moby Dicks Skelett erinnert, ist meine Sprache im Laufe der Jahre ruhiger und in gewisser Weise entmaterialisierter geworden. Es geht um Baustoff in seiner reinsten Form und um Licht – um viel Licht.«

Zu ebener Erde liegt glatter Granit, an den Wänden ist die archaische Sprache Štěpáns ablesbar, sei es in Form von bauüblichen Betonfertigteilen, sei es in Form von unterschiedlich behandelten Kratztexturen und Schalungsadrücken. An zwei Stellen, die einen vagen rechten Winkel markieren, ragen organische, konvex geformte Emporen in den Kirchenraum, und fast scheint es, als habe Štěpán die beiden charakteristischen Betonvordächer in Ronchamps Kapelle mit einem bildhauerischen Kunstkniff von außen nach innen gestülpt. Unter den Kratzstrukturen verbergen sich vorgespannte Balkonplatten mit einer schiffsbauartigen Unterkonstruktion aus Holzleichtbau. Da ist er also wieder, Moby Dicks Bauch. Die erste Empore dient als erweiterter Sitzbereich, falls die Messe mal mehr Besucher locken sollte, die zweite, leicht höhenversetzte Galerie gehört den Chören und Organisten. Das räumliche Angebot dürfte nicht übertrieben sein. Nach Auskunft des Architekten besuchen rund 500 bis 600 Gläubige regelmäßig die beiden Sonntagsmessen. »Zwar gibt es in Mähren bloß 4 % praktizierende Christen, und tatsächlich befinden sich in der Brünner Altstadt viele Kirchen, die oft leer stehen, aber gerade in so dicht besiedelten Wohnquartieren wie hier in Lesná ist der Bedarf an gotteshäusern meist nicht gedeckt.« Rund 20 000 Menschen leben hier, und der Blick auf die Häuser, Lokale und Geschäfte, auf die waghalsig konstruierte Schwimmhalle und auf das heterogene atmosphärische Straßenbild lässt vermuten, dass die Bewohnerschaft von Lesná eine sozial, kulturell und demografisch durchmischte ist.

So facettenreich wie das Lichtspiel an der Decke

Die Geometrie der gesamten Kuppelkonstruktion ist so gelöst, dass das Fensterband von unten unsichtbar bleibt. Vor den thermischen Fenstern – kleine, handelsübliche Kippflügel, mit denen der Raum entlüftet werden kann – befindet sich die farbgebende Fassadenebene aus 4 m hohen Verbundsicherheitsgläsern, 120 Stück an der Zahl, die mit durchgefärbten Klebe- und Verbindungsfolien ihr volles Regenbogenspektrum entfalten. Zwischen Fenster und Kuppelvolute gibt es eine schmale Galerie, die über Turm und Stahlbrücke zu Wartungs- und Reparaturzwecken der Beleuchtungsanlage erreicht werden kann. Welch Freude, dass sich diese irdischen Funktionen dem perfekt inszenierten, illusorischen Bild des Betrachters entziehen.

Anders sieht es leider aus, sobald man den Innenraum verlassen hat. Im Anschluss an Štěpáns Neubau der Seligen Maria Restituta – benannt zu Ehren der Ordensschwester und Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime, die 1943 hingerichtet und 1998 seliggesprochen wurde – befindet sich das bestehende Gemeindezentrum von Zdeněk Bureš, das im Zuge der Kirchenbauarbeiten lediglich in einem unauffälligen Grauton überstrichen wurde. Errichtet wurde die kreisrunde Kirche daneben auf einem rechteckigen Betonpodest, in dessen Mitte kleine Bäumchen gepflanzt wurden. Darunter befindet sich eine Tiefgarage mit rund 40 Stellplätzen und mechanischer Belüftung. Flankiert wird der mit Granit verkleidete Vorplatz schließlich von einem 31 m hohen Glockenturm mit dreieckigem Grundriss. Die Wendeltreppe im Innern des Turms dient in den unteren Metern als Garagenzugang und im oberirdischen Bereich als Erschließung der Fenstergalerie und des 16-teiligen Glockenspiels.

Und leider, spätestens hier, kippt die Euphorie über dieses sinnliche, spirituelle, mit wenig Budget und viel Leidenschaft gestaltete Projekt ins Gegenteil. Die euklidische Mengenlehre aus kreisrundem Zylinder, rechteckiger Garagenschachtel und dreieckigem Turm, die banale Kombination aus weißer Putzfassade, buntem Glasband und gelb-roter Glockenloggia am höchsten Punkt des Turms entwickelt an dieser Stelle des Gebäudes banale, ja fast naive Momente pseudo-postmoderner Gestaltungslehre. Marek Jan Štěpáns Erläuterungstext zum Konzept und zur architektonischen und religiösen Bedeutung des Kreises als perfekter, ganzheitlicher, formvollendeter Körper macht die Sache auch nicht besser. Verstärkt wird das kindliche Erscheinungsbild durch ein zum Teil technisch bedingtes Kunstprojekt an der Kirchenaußenwand. Um auf klassische Dehnungsfugen zu verzichten, legte der Künstler Petr Kvíčala ein amorphes, sich immer wieder überschneidendes Liniengeflecht über die gesamte Vollwärmedämmsystemfassade. Die linearen Mulden dienen der 3 cm dicken Putzschicht bei Temperaturschwankungen als Dehn- und Sollbruchstelle. Dazwischen schweben hieroglyphenartige, ebenfalls in den Putz hineingekratzte Piktogramme, die Aufschluss über das Leben und die Vorlieben der Ordensfrau Maria Restituta Kafka geben sollen: Sonnen, Kerzen, ‧Fische, Weintrauben, Blumen, Bücher und sogar ein Glas Bier, das über dem Eingang zu entdecken ist. Man ist hin- und hergerissen zwischen Schmunzeln und Schnaufen. Eigentlich schade.

Seinen Frieden schließen kann man mit diesem Bauwerk erst wieder aus der Entfernung. Wenn man den Ort verlassen und sich in die Straßenbahn gesetzt hat, ragt über den Baumkronen von Lesná – in einer fast schon wieder Le-Corbusier-haften Weise – der Kirchturm der Seligen Maria Restituta empor. Die zwei gelben und roten, weit in die Ferne hinausleuchtenden Glockenloggien ganz oben sind ein schöner, sympathischer städtebaulicher Orientierungspunkt. Und so bleibt der letzte Eindruck eines Hauses, das im sehr Kleinen und sehr Großen überzeugt – und dazwischen Abbild eines einst klerikal-kommunistischen Dilemmas ist, in dem die Bautypologie Kirche jahrzehntelang architektonischen Entwicklungsstillstand erleiden musste. Das Projekt in drei Worten: Himmel, Hölle, Himmel.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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