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Tonnenschwerer Leuchtturm
Der Standard

Das Nationalmuseum Oslo, vor kurzem eröffnet, ist optisch und programmatisch ein Kulturmonolith von enormen Dimensionen. Architektonisch kollidieren südliche Romantik und nordische Pragmatik.

18. Juni 2022 - Wojciech Czaja
Eigentlich hätte Klaus Schuwerk jeden Grund, glücklich zu sein. Der deutsche Architekt steht in dem von ihm entworfenen Nationalmuseum in Oslo, 6,05 Milliarden Kronen (rund 600 Millionen Euro) teuer und zwölf Jahre nachdem der weitgehend unbekannte Architekt im Team mit dem Berliner Büro Kleihues + Kleihues den Wettbewerb gewonnen hatte. Die Institution, 2003–2005 durch die Zusammenlegung von fünf Museen entstanden, hatte sich ein prestigeträchtiges Grundstück ausgewählt: auf dem Areal des ehemaligen Bahnhofs Oslo Vest am Ufer des Oslofjords, gegenüber dem monumentalen Rathaus.

Aber Klaus Schuwerk ist nicht glücklich. Dabei wurde sein Entwurf, der die gigantische Baumasse in ein gedrungenes Gebilde aus ineinandergeschobenen Quadern packte, plangemäß umgesetzt, und auch die Massen aus graugrünem norwegischem Quarzit an Fassade und im Foyer verbaut. Doch erstens, sagt er, sei es ein langer Kampf gewesen, einheimischen Stein und nicht billigeren Import zu verwenden, es hätten sich zu viele Beteiligte in seine Kernkompetenzen eingemischt, und überhaupt – er deutet resigniert in den Raum: Diese Möbel! Diese Mistkübel! Schrecklich! Für all das habe er eigene und schönere Entwürfe geliefert und sei ignoriert worden. Und das schwarze „Nm“-Logo auf der Fassade gefällt ihm auch nicht, das Museum sei schließlich auch so als solches erkennbar.

Nationale Identität

Es passiert nicht oft, dass man einen Architekten trösten möchte, sein neues Gebäude sei doch gar nicht so schlecht geworden, wie er sagt. Zugegeben, die tonnenschwere kantige Masse, in die wenige tiefe Fensterlöcher gestanzt wurden, empfängt die Besucher nicht gerade mit offenen Armen, doch ist man einmal drinnen, atmet das hohe, geräumige Foyer mit seinen schweren Eichenholztüren eine zeitlose Eleganz. Wer einmal durch Peter Zumthors berühmte Therme im Graubündner Ort Vals mit ihrer archaischen Steininszenierung wandelte, wird mit einem kleinen Déjà-vu belohnt.

Direktorin Karin Hindsbo wiederum ließ anlässlich der Eröffnung am 11. Juni mit nordisch-lockerer Sachlichkeit jedes Pathos vermissen, obwohl sie von nun an dem größten Museum der nordischen Länder vorsteht: 400.000 Objekte von Malerei über die Antike bis zum Designobjekt, davon 6500 in insgesamt 86 Räumen ausgestellt. Stattdessen betonte sie die gesellschaftliche Verpflichtung: „Das kulturelle Erbe einer Nation ist ihre Identität. Museen spielen hier eine wichtige Rolle, weil die Menschen ihnen vertrauen; mehr noch als Büchern oder Schulen. Diese Glaubwürdigkeit müssen wir erhalten.“

Für die erste Ausstellung I Call It Art wurden in einem Open Call 147 Werke von meist unbekannten Norwegern ausgewählt, um gleich von Beginn an zu vermitteln: Dieses Museum gehört euch allen. Das Ergebnis ist ein etwas anstrengendes Sammelsurium unbändigen Ausdruckswillens, das einen mit Dankbarkeit für die Existenz von Kunsthochschulen zurücklässt. Darüber hinaus lassen Eintrittspreise von 18 Euro diese Inklusionsgeste eher symbolisch erscheinen. Auch Architekt Klaus Schuwerk winkt ab. Er hätte sich stattdessen Werke gewünscht, die den Raum zur Geltung bringen. Vielleicht eine Stahlskulptur des (bei Architekten stets beliebten) Richard Serra.

Nun sind Unterschiede zwischen Bauherr und Architekt nichts Außergewöhnliches, hier jedoch sind sie Indiz für ein grundsätzliches kulturelles Missverständnis. Auf der einen Seite die romantisch-mediterrane Vorstellung des Architekten als Gesamtkünstler. Sein ideales Museum: hehr und heilig, erhaben und ewig, nobel und solide. Auf der anderen Seite die nordische Tradition der Offenheit, Teamarbeit und Inklusion. Hier elitäres 19. Jahrhundert, dort demokratisches 21. Jahrhundert. Hier Tempel, dort Sitzkreis. Selbst im düsteren Edvard-Munch-Saal laden didaktische bunte Bauklötze die kleinen Besucher ein, den Schrei nachzubauen.

Doch diese Widersprüche kann das Museum schon angesichts seiner schieren Größe gut aushalten, und die klassische Enfilade von Räumen lässt allen Exponaten der Dauerausstellung (Ausstellungsarchitektur: Guicciardini & Magni Architetti) genügend Raum. Gibt man den Anspruch auf, alles sehen zu wollen, hat das Megamuseum durchaus seinen Reiz. In der Malerei kann man sich ebenso verlieren wie in der fantastischen Design-Ausstellung und ihren großen Glaskabinetten, in denen Textilien, Möbel, Grafik und Objekte thematisch klug kombiniert werden und wo auch das berühmte Animationsvideo zu a-has Take on Me seinen Platz findet.

Quarzit-Gebirge

Mit einer nennenswerten Ausnahme: Das Quarzit-Gebirge bekam eine verglaste Halle aufgesetzt, die für Wechselausstellungen dient und nachts als horizontaler Leuchtturm aufglüht. Klaus Schuwerk nennt sie den „Alabaster Room“, doch die antike Erhabenheit, die dieser Name suggeriert, stellt sich nicht ein. Mit 130 Meter Länge ist die Halle im Inneren von ermüdender Endlosigkeit, die sieben Meter hohe transluzente Fassade drängt sich unruhig in den Raum und nimmt der Kunst die Freiheit zur Entfaltung. „Man kann an das Glas zwar keine Bilder hängen, aber es sieht gut aus“, sagt Sammlungsdirektorin Stina Högkvist lakonisch. Der nordische Pragmatismus wird es schon hinbekommen.

Möglicherweise sind die beiden Direktorinnen auch so entspannt, weil der größere Plan, in den sich das Nationalmuseum einordnet, mit Sicherheit aufgehen wird. Auch wenn es auf eine ikonische Großform verzichtet, mit der Stadt verschmilzt und seine kulturelle Bedeutung fast ausschließlich im Inneren zeigt, ist es ein Schlüsselelement in der Osloer Waterfront, deren Wiederentdeckung die Stadt komplett umkrempelt.

Ein Prozess, der 1993 mit Renzo Pianos leichtfüßigem Astrup-Fearnley-Museum begann und mit dem 2007 eröffneten, sofort zum Wahrzeichen gewordenen Opernhaus den Turbo einschaltete. 2020 kam die exzellente städtische Deichmann-Hauptbibliothek dazu, 2021 der recht emotionslos-anämisch geratene Stahl-Glas-Stapel des Munch-Museums. Das Nasjonalmuseet komplettiert diese Reihe und soll Oslo nun endgültig in die Königsklasse der globalen Kulturdestinationen katapultieren. Auch wenn der granitschwere Kunst-Leuchtturm, unter seinem eigenen Gewicht fast versinkt, dürfte er wie geplant Einheimische und Touristen an den Fjord locken. Und vielleicht macht auch der Architekt eines Tages seinen Frieden damit.

Die Reise nach Oslo erfolgte auf Einladung der norwegischen Botschaft Wien.

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